Der Pfarrerverband SČED – geschlagen und doch überlegen
Die bewegte Geschichte des Verbandes der Geistlichen der EKBB (SČED) – seine
Kämpfe und sein inhaftierter und verurteilter Vorsitzender
Motto: Sváťa Karásek – Man müsste eine Geschichte der Solidarität schreiben
Die Anfänge des Berufsverbandes der evangelischen Pfarrer
Die konstituierende Sitzung des „Vereins evangelischer Geistlicher tschechischer Nationalität“ fand am 9. August 1904 in der reformierten Kirche zu Pardubice statt. Der Verein hatte seinen Sitz in Prag und war eine Unterorganisation des „Evangelischen Pfarrervereins für Österreich“ (Satzung vom 15. November 1867, Nr.
134 Reichsgesetz).
In der neuen Tschechoslowakischen Republik
Der österreichische Verein evangelischer Geistlicher tschechischer Nationalität wurde zunächst in den Verein der Geistlichen der evangelischen Brüderkirche und kurz danach in den Verein der Geistlichen der Böhmischen Brüder (SČD) transformiert. Die Rechtmäßigkeit des Vereins wurde am 6. April 1922 von der Politischen Landesverwaltung in Prag bestätigt. Der Pfarrerverein konnte sich frei entfalten. In der Zeit der Ersten Republik gab es keine Probleme des Vereins mit dem Staat oder umgekehrt.
Nach 1938
Der SČD durchlief gemeinsam mit der Kirche und der gesamten Nation kritische Jahre: Münchner Abkommen – Einmarsch der deutschen Wehrmacht – Protektorat Böhmen und Mähren. In dieser Zeit verhielt sich der Vereinsvorstand vorsichtig und pragmatisch, er handelte nach dem Motto: „In unruhigen Zeiten bleibt einem nichts anderes übrig, als sich zu ducken, und wo es möglich ist, Kriegslisten anzuwenden.“
Einige Ereignisse und Informationen aus diesen Jahren
Die vorletzte Jahresmitgliederversammlung des SČD fand vom 1. bis zum 3. Februar 1937 in Prag statt. Gleichzeitig wurde ein theologischer Kurs der Hus-Fakultät veranstaltet. Dr. Rudolf Říčan hielt einen Vortrag zum Thema „Christentum und Nationalität!“. Die Vorlesungen beim theologischen Kurs hielten Prof. Dr. F. Hrejsa, Dekan Dr. S. Daněk und Prof. Dr. J. L. Hromádka. Die letzte Veranstaltung des SČD in der freien Republik war die Jahresversammlung am 31. Januar und 1. Februar 1938 in Prag, wo wiederum gleichzeitig ein theologischer Kurs der Hus-Fakultät stattfand. Vorträge hielten Rudolf Medek (Neue Legenden in Böhmen und Mähren) und Jan Dus (Das Begräbnis des Präsidenten Masaryk!). Vorlesungen beim Kurs hielten darüber hinaus Dekan Dr. F. Žilka und Prof. Dr. F. Bednář.
Während des Protektorats
Der SČD erhielt den Namen „Pfarrerverein der Evang. böhm. Brüderkirche“ und hatte einen eigenen zweisprachigen Stempel. Zusammen mit einigen anderen Orga nisationen und Vereinen stand er unter der Kuratel des „Staatspräsidenten“ Dr. Emil Hácha. Dieser forderte den Leiter des Amtes für Volksaufklärung, Minister Emanuel Moravec, in einem persönlichen Brief vom 20.5.1942 auf, gemäß seinen Richtlinien die Aufsicht über die politisch-kulturelle Tätigkeit in jenen Organisationen und Vereinen zu führen. Mit diesem persönlichen Brief des Präsidenten war die rechtliche Basis für die Aufsicht über die politisch-kulturelle Tätigkeit des SČD gelegt, gemäß den Richtlinien über die Eingliederung der böhmischen Länder (nun des Protektorats) in das Deutsche Reich. Es wird dort ausdrücklich gesagt: „Dieser persönliche Brief des Staatspräsidenten ist zu beachten und als Ausgangspunkt für verschiedene Maßnahmen in diesen Zeiten zu betrachten.“ Im Jahr 1944 wurde ein Rundschreiben des SČD mit einer Information über die Novellierung der Besoldungsgesetze verfasst und an alle Mitglieder geschickt. Am Ende heißt es dort: „Dieser Rundbrief tritt an die Stelle einer Mitgliederversammlung. Es ist sehr erwünscht, dass alle unsere Geistlichen ausnahmslos organisiert sind. Seine Mitgliedschaft bestätigt man durch die Bezahlung des Jahresbeitrags, derzeit in Höhe von 50 K.“ (!)
Nach der Befreiung 1945 dauerte die Freiheit nur drei Jahre. Trotzdem nahm der Verein seine Tätigkeit in vollem Umfang wieder auf, einschließlich der Zusammenarbeit mit den slowakischen Protestanten. Die erste Mitgliederversammlung des SČD nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fand am 6. September 1945 in Prag statt. Der Versammlung ging am 5. September eine Vorlesung von Professor J. L. Hromádka mit dem Titel „Über unsere Orientierung“ voraus. Hier ein Zitat aus dem Eröffnungsvortrag des Vorsitzenden Rudolf Medek: „Lassen Sie uns aus dem Grab steigen, lassen Sie uns das Banner der göttlichen Wahrheit emporheben! Wir versammeln uns hier nach einem Sturm des Gotteszorns … Das Protektorat war das Konzentrationslager der Tschechen, ein Kerker unter der direkten Aufsicht der Gestapo. Anstelle von Recht und Gerechtigkeit herrschte die Willkür der deutschen Ämter... Wir wurden still und warteten die rechte Zeit ab. Dabei bemühten wir uns darum, die Intensität der Gemeindearbeit zu verstärken, besonders unter der Jugend und den Konfirmanden.“
An die Spitze des SČD wurde erneut der alte Vorstand gewählt: Vorsitzender war Jan Dus, stellvertretender Vorsitzender J. B. Jeschke, Geschäftsführer Jos. Závodský, Kassenwart Mir. Růžička, Beisitzer Václav Kejř.
Im Februar 1946 fand ein theologischer Vorlesungszyklus des SČD im Hus-Haus in Prag statt. Die Vorlesungen hielten Dekan František Bednář, Prof. Slavomír Daněk sowie Doc. J. B. Souček. Im März schrieb der SČD einen Brief an die Tschechoslowakische Evangelisch-Theologische Hus-Fakultät mit einem Dank und der Bitte um weitere Zusammenarbeit. Der Verein wolle unverzüglich zur Veröffentlichung der fachwissenschaftlichen Zeitschrift Teologická revue schreiten und strebe eine Zusammenarbeit mit der theologischen Hochschule in Bratislava an. Im April verließen den Synodalrat Briefe an die Vorsitzenden der Pfarrervereine in Tschechien und der Slowakei, Dus und Ďurovič, der begrüßte, dass die Zusammenarbeit zwischen den tschechischen und slowakischen Protestanten nach der sechsjährigen Unterbrechung wieder aufgenommen wurde. Im April wurde eine gemeinsame Konferenz der evangelischen Geistlichen in Uherská Skalice vorbereitet, die im Mai stattfand. Der SČD organisierte dann einerseits Mitgliederversammlungen, andererseits aber auch theologische Konferenzen. Bei der Konferenz im Jahr 1946 in Brandýs nad Orlicí hielt Prof. František Bednář einen Vortrag über den Weltkirchenrat. Bei der Mitgliederversammlung des SČD 1947 in Pardubice war Prof. Dr. Otakar Odložilík zum letzten Mal in seiner Heimat bei einer Vorlesung zu hören (später emigrierte er in die USA). Anfang Februar 1948 fand noch eine Mitgliederversammlung des SČD statt, wiederum in Pardubice. Die Vorträge hielten Synodalsenior Josef Křenek und Dekan J. L. Hromádka.
Die Ereignisse des Februar 1948 – Machtübernahme durch die Kommunisten Die neuen Herrscher setzten sofort einen scharfen Kurs an, der von Klassenkampf und ideologischen Auseinandersetzungen geprägt war. Sie begannen, unbeschränkt zu herrschen und gezielt die Zivilgesellschaft auszumerzen. Die Repressionen und das politische Diktat verstärkten sich zunehmend und erfassten schließlich die gesamte Gesellschaft. Es begann der offene Kampf gegen die Religionen und Kirchen. Das erste Opfer war die Hierarchie der katholischen Kirche. Die religiösen Organisationen konnten aber noch ihre Versammlungen abhalten. Im Mai fand die theologische Konferenz der evangelischen Geistlichen (KED) in Trenčín statt. Auf der Einladung war neben dem Programm auch eine Empfehlung für die nach zwei Jahren endlich erschienene fachwissenschaftliche theologische Zeitschrift Theologia Evangelica zu lesen. In den Ferien 1948 fanden zweiwöchige Kurse des SČD statt. Die Vortragenden waren Synodalsenior Dr. Josef Křenek, Synodalkurator Dr. A. Boháč, Prof. Dr. Rudolf Říčan, Prof. Dr. Josef B. Souček und Prof. Dr. František Bednář, der über die geplante Konferenz des Weltkirchenrats sprach. Die Teilnehmer der SČD-Kurse sandten einen Brief an den Synodalrat der EKBB, der sich kritisch zum Entwurf und zum Inhalt der Neuen Kirchengesetze äußerte: „Uns ist bewusst, dass die Folgen der Verabschiedung oder Ablehnung des Gesetzes im Guten wie im Schlechten in erster Linie die Geistlichen der Kirche zu tragen haben. Wie dem auch sei, wir sind verpflichtet, über die Freiheit und Mündigkeit der Kirche zu wachen. Der Gesetzentwurf gefährdet die gewünschte Eigenständigkeit der Kirche und beendet ihre Selbstverwaltung. Wir halten es deshalb für angemessen und notwendig, dass sich der Synodalrat darum bemüht, dass zumindest jene Anmerkungen, die aufgrund eines mündlichen Gesprächs mit Herrn Minister Čepička an den Gesetzentwurf angehängt wurden, in das geplante Gesetz oder zumindest in die Durchführungsbestimmungen zu diesem Gesetz aufgenommen werden. Wir zweifeln nicht daran, dass sich die Geistlichen unserer Kirche keinesfalls mehr als Diener des Staates denn als Diener der Kirche des Herrn fühlen. Wenn unsere Vorbehalte hinreichend berücksichtigt werden, sind wir für die Annahme des Gesetzes, in dem Wissen, dass die heutige Regierung auch dem Parlament Gesetzentwürfe nicht zur Annahme oder Ablehnung vorlegt, sondern ihm nur eine einzige Möglichkeit lässt, nämlich die einstimmige Annahme.“ Die Befürchtungen der Pfarrer bewahrheiteten sich binnen eines Jahres. Ihre Vorbehalte wurden nicht und schon gar nicht hinreichend berücksichtigt. Die neuen Kirchengesetze wur den vom Parlament einstimmig angenommen und den Kirchen rücksichtslos aufgezwungen – aufoktroyiert.
Die Tätigkeit des SČD wurde vorerst nicht eingeschränkt, auch die Zusammenarbeit zwischen tschechischen und slowakischen Protestanten wurde weitergeführt. Im Jahr 1949 fand in Zlín (Gottwaldov) und im darauffolgenden Jahr in Žilina eine KED-Konferenz statt.
Nicht nur der Februar 1948, sondern auch das Schicksalsjahr 1949
Es war die Zeit des gnadenlosen Stalinismus, nicht nur eine Zeit der Kontrolle und der Direktiven, sondern vor allem der Gewalt und der Repressionen. Die politischen Repressionen mündeten in Hinrichtungen. Bereits im Juni 1949 wurde der Legionär und General Heliodor Píka hingerichtet (erhängt). Ein Jahr später wurde ebenfalls im Juni auf dieselbe barbarische Weise eine Frau hingerichtet, eine Politikerin, die Protestantin Dr. Milada Horáková. Die Stimmen der demokratischen Welt, die um Gnade baten, meldeten sich vergeblich zu Wort. In der Tschechoslowakei riefen dagegen manipulierte Arbeitskollektive nach „Todesstrafen“. Die Gesellschaft wurde von Befürchtungen und Angst überzogen. Auch die Menschen in den Kirchen waren eingeschüchtert und desorientiert. Wie sollten sie das auch nicht sein, wo doch eine Woche nach der Hinrichtung Milada Horákovás an der Burgruine Kozí Hrádek eine „Friedenswallfahrt“ und eine „Manifestation“ stattfanden, bei denen Vertreter aller Kirchen nicht nur anwesend waren, sondern aktiv öffentlich auftraten.(!) Die Predigt, sicherlich zu einem biblischen Text, hielt der Synodalsenior der EKBB Viktor Hájek. Insgesamt waren aber die Gewissens-, Glaubens- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Auch die Übertragung von Gottesdiensten im Rundfunk und die Ausstrahlung religiöser Sendungen wurden eingestellt.
Im Zusammenhang mit den neuen Kirchengesetzen verschärften sich die Beziehungen zwischen dem kommunistischen Regime und der Slowakischen evangelischen Kirche A. B., da die Kirchenleitung nicht bereit war, diese Gesetze ohne die geforderten grundlegenden Änderungen zu akzeptieren. Das änderte sich schon bald, als die protestierenden Mitglieder aus der Kirchenleitung entfernt wurden (einigen wurde die staatliche Genehmigung zur Ausübung ihres Berufs entzogen, andere wurden sogar inhaftiert). Das Regime verfolgte nicht mehr nur die römisch-katholische Kirche, sondern auch andere Kirchen und unterdrückte alles, was mit Glaube und Religion zusammenhing. Es war nicht demokratisch, sondern totalitär.
Vom 28. bis zum 31. 8. 1950 fand ein theologischer Kurs des SČD in Sobotín statt. Dort gab es ein umfangreiches Referat zum Thema „Die Neuen Kirchengesetze und die evangelischen Geistlichen“. Den Vortrag hielt der emeritierte Vorsitzende Rudolf Medek. Am Ende verkündete er zwar optimistisch, aber auch überaus opportunistisch: „Die Neuen Kirchengesetze sind eine wichtige Maßnahme beim sozialistischen Aufbau der Republik. Sie ordnen die kirchlichen Verhältnisse so, dass sich das religiöse Leben im Einklang mit den Grundsätzen der volksdemokratischen Ordnung entwickelt und dass insbesondere die Tätigkeit der Geistlichen rein geistlich und religiös ausgerichtet ist.“ Die Servilität gegenüber dem Regime setzte sich fort. Im September schickte der Synodalrat zwei Briefe an die Senioren, in denen es um Kurse zur politischen Erziehung ging. Dort heißt es: „Laut Mitteilung der Staatsbehörde für kirchliche Angelegenheiten (SÚC) beginnt am 1. Oktober 1950 der erste Kurs zur politischen Erziehung für evangelische Geistliche. Veranstalter sind die Konstanzer Unität (Kostnická jednota) und der SČD. Die Kurse werden jeweils 14 Tage dauern und es sollen an ihnen die Geistlichen aller evangelischen Kirchen in den böhmischen Ländern teilnehmen. Die Kurse finden in Veltrusy bei Prag in einem speziell dafür hergerichteten Gebäude statt. Ziel der Kurse ist es, unsere Geistlichen und andere kirchliche Mitarbeiter mit den politischen Lehren und den Problemen des volksdemokratischen Staates vertraut zu machen.“ Diese Kurse fanden statt, allerdings ohne den vom Regime erwarteten Effekt. Im Gegenteil: Die Pfarrer tauschten untereinander Spottgedichte und Witze über die Vorlesungen und die „Schulung“ aus. Als aber das Regime einen zunehmend härteren Kurs fuhr, keimten nach und nach Befürchtungen und Angst auf. Es entstand eine gesellschaftliche Situation, die direkt zum Opportunismus führte und erzog.
Nach dem Erlass des neuen Vereinsgesetzes Nr. 68/1951 wurden viele Vereine aufgelöst, unter ihnen die Vereine Junák, Sokol, SNAHA, YMCA und weitere nichtkommunistische Vereine und unabhängige Organisationen. Auch dem Pfarrerverein SČD drohte die Auflösung. Dank der Verhandlungsführer, insbesondere des Vorsitzenden Jan Dus, gelang es jedoch, ihn ohne größere Defizite in den „Verband der Geistlichen der EKBB“ (SČED) umzuwandeln. Dieser Berufsverband der Geistlichen befand sich in einem Dilemma. Er wollte ein christliches und demokratisches Organ bleiben, allerdings in einem undemokratischen, atheistischen Staat. In der volksdemokratischen und später auch sozialistischen Republik hatte der SČED immer größere Probleme mit dem von den Kommunisten regierten Staat. Offensichtlich galt dies auch umgekehrt.
In schwerwiegenden Fällen, beim Verstoß gegen Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten wandte sich der SČED oft auch kritisch an die Machthaber. Davon zeugt zum Beispiel ein Brief vom 25. Juni 1952 an den damaligen gefürchteten Stalinisten und Parteiideologen, den Informationsminister Václav Kopecký: „Herr Minister, gestatten Sie uns, Ihnen die Meinung des SČED zu jenem Teil Ihrer Rede anlässlich der Gründungsversammlung der Tschechoslowakischen Gesellschaft für die Verbreitung politischer und wissenschaftlicher Kenntnisse zu übermitteln, der das Verhältnis zum religiösen Empfinden des Volkes betraf. Uns verwundert, dass Sie darin nur zwei Gruppen von Gottesdienstbesuchern erwähnen. Wir kennen die Mitglieder unserer Kirche, die sich am Gemeindeleben beteiligen, wirklich gut genug, um Ihnen versichern zu können, dass es neben Reaktionären und naiven unkritischen Menschen eine sehr viel größere Anzahl gibt, die durch ihre Teilnahme an den Gottesdiensten ihren aufrichtigen Glauben an Gott bekennen, ohne Heuchelei und abseitige politisch-reaktionäre Gedanken und Ziele. Viele von ihnen sind dabei gut mit der wissenschaftlichen Weltanschauung vertraut, helfen aktiv beim Aufbau des Sozialismus und der gegenwärtigen Umgestaltung der Gesellschaft mit und bemühen sich so um die Bewahrung des Weltfriedens, den wir alle so dringend brauchen und wünschen. In Ihrer Rede haben Sie, verehrter Herr Minister, zwar angemerkt, dass die Frage des Verhältnisses zum religiösen Empfinden des Volkes kompliziert ist, und doch verein facht Ihre Rede das Problem bedenklich und erschwert damit uns, den evangelischen Geistlichen, unsere Arbeit unter den Menschen. Nun wird es umso schwieriger, einige unserer Gemeindemitglieder davon zu überzeugen, dass eine wie auch immer geartete reaktionäre Gesinnung keine angemessene christliche Antwort ist. Schließlich war und ist gerade das Christentum gemäß dem Evangelium, befreit vom Aberglauben und dem politischen Missbrauch durch die herrschende Klasse, eine Kraft des sozialen Fortschritts und ein Licht der Wahrheit gegen jede Art des Obskurantismus, wovon die Geschichte, insbesondere unser Hussitentum, zeugt. Wir halten es für unsere Pflicht, Ihnen diesen unseren Standpunkt offen und aufrichtig mitzuteilen. Es würde uns nämlich widerstreben, darüber hinter vorgehaltener Hand zu sprechen – wir wissen, dass Ihre Rede in der ganzen Kirche ein lebhaftes Echo hervorgerufen hat und wir fragen uns, ob sie nicht für viele zu einem Hindernis auf dem rechten Weg zum Verständnis der gegenwärtigen Umgestaltung der Gesellschaft werden könnte.“
Das Ende der fünfziger und die erste Hälfte der sechziger Jahre
Der SČED bemühte sich darum, auch unter den widrigen Umständen eine weltoffene, christliche und demokratische Gemeinschaft zu bleiben. Das war nicht leicht. Wichtig waren dabei Kontakte. Als sich die politische Situation allmählich entspannte, begannen kirchliche Gäste aus dem Westen zu uns zu reisen:
Vom 1. bis zum 6. April 1954 war der deutsche Theologe Martin Niemöller in Prag zu Besuch. Er war an die Evangelisch-Theologische Comenius-Fakultät und in den Synodalrat eingeladen worden. Niemöller predigte und referierte in Prag über das Thema „Die Bekennende Kirche und die gegenwärtige Kirche in Deutschland“. Er war wahrscheinlich der erste in einer ganzen Reihe offizieller Gäste aus dem Westen. Auch in den darauffolgenden Jahren kamen Gäste aus dem Westen zu den SČED-Kursen, um Vorträge zu halten:
- – Prof. H. J. Iwan mit Ehefrau, er hielt einen Vortrag über die „Barmer Thesen“
- – Prof. H. W. Wolf trug eine Exegese zu den „Psalmen und dem Propheten
Jona“ vor
- – Prof. Walter Kreck hielt eine Vorlesung über „Die Barth’sche Lehre“
- – Prof. Wolfgang Schweitzer hielt einen Vortrag über „Theologische Ethik“
- – Prof. Martin Fischer referierte über „Aktuelle Fragen der praktischen Theologie“
- – Prof. Max Geigel hielt eine Vorlesung über „Das christliche Zeugnis im
Atomzeitalter“
- – Pfarrer Martin Schwarz referierte über die „Theologie Karl Barths“
- – Prof. Georg Casalis hielt einen Vortrag über den „Prophetischen Dienst der Kirche“.
Die zweite Hälfte der sechziger Jahre
Als sich die politische Situation zu entspannen begann, konnte der SČED seine Aktivitäten freier entfalten, Konferenzen veranstalten, mit den slowakischen Pfarrervereinen zusammenarbeiten und seine Auslandskontakte pflegen und ausbauen. Auch die Gastvorlesungen bei den theologischen Konferenzen des SČED wurden fortgesetzt:
- – Prof. Martin Schröter referierte anstelle Gerhards von Rad über ein alttestamentliches Thema
- – Prof. van Leeuwen hielt eine Vorlesung zum Thema „Säkularisierung als theologisches Problem“
- – Prof. Jürgen Moltmann hielt einen Vortrag zum Thema „Theologie als Eschatologie“
- – Prof. Rudolf Bohren referierte über das Thema „Der Zuhörer als Faktor bei der Predigt“
- – Honorarprof. Eberhard Bethge hielt eine Vorlesung zum Thema „Die Kirche bei Bonhoeffer“
Noch einmal zurück ins Jahr 1966
Auf der Jahresmitgliederversammlung des SČED kam es zu einem mutigen und denkwürdigen Auftritt des Pfarrers Jan Šimsa, der eine Anfrage bezüglich der Arbeit der Staatssicherheit einbrachte. Schließlich wurde im Plenum der Vorschlag angenommen, dass sich der Vorstand des SČED mit dem Anliegen an das Innenministerium wenden solle, dass „wir durch die Aktivitäten der Staatssicherheit beunruhigt sind, die einige Mitglieder des SČED behelligt und sie durch Versprechen oder Drohungen dazu drängt, informelle Stasimitarbeiter zu werden.“ Es war das erste Mal, dass öffentlich über die Methoden der Stasi gesprochen wurde und das auch noch kritisch. Das konnten sich die „mächtigen und selbstbewussten Spione“ nicht gefallen lassen, schon gar nicht von Pfarrern (Pfaffen). Es begann die letzte Etappe eines langen Kampfes des SČED mit dem Regime. Es war ein Kampf zwischen „David und Goliath“. Man könnte meinen, der SČED hätte sich nicht auf diesen ungleichen Kampf einlassen sollen, schließlich hatte er nicht einmal die „Steinschleuder Davids“ zur Hand. Doch das war keine Entscheidung des SČED. Das militante kommunistische Regime hatte durch seinen totalen Anspruch auf das Gewissen „seiner Untertanen“ wiederholt Konflikte heraufbeschworen. In solchen und ähnlichen Situationen gewannen insbesondere für die magistri verbi divini die Worte des Apostels Paulus aus dem Epheserbrief wieder an Aktualität. Dem Verband der Geistlichen der EKBB blieb für die nächste Zeit (Tage?, Monate?, Jahre?) nichts anderes übrig, als die alten, abgetragenen Kleider des Opportunismus und der Anpassung abzulegen, „stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke“ zu sein, die Waffenrüstung Gottes anzulegen und den listigen Anschlägen des Teufels zu widerstehen (Eph 6,10–16). In der allegorischen Aufzählung des Rüstzeugs durch den Apostel wird eine der wirksamsten Waffen im Kampf nicht expressis verbis genannt (obwohl sie der Apostel sicherlich im Sinn hatte) – die kollegiale, brüderliche Solidarität. Von dieser Waffe und zugleich Tugend machte der SČED regen Gebrauch und ließ sie sich bis zum Ende auch nicht aus der Hand schlagen.
Bis zum verhängnisvollen August 1968
Am 21. August 1968 kam es zu einer hinterhältigen Militärintervention. Unser Land wurde von den Truppen des Warschauer Paktes besetzt, angeführt von der sowjetischen Roten Armee (unserer früheren Befreierin). Der SČED äußerte sich genauso wie die große Mehrheit der Bürger und Organisationen, des Parlaments, der Nationalen Front, der Partei und der Regierung kritisch zu diesem internationalen terroristischen Akt. Zur Konferenz des SČED in dieser aufgewühlten Zeit, im Herbst 1968, wurde der Reformjournalist Jiří Ruml und Anfang 1969 ein weiterer Reformjournalist, Jiří Hochman, eingeladen. An einer Gesprächsrunde des SČED nahm Václav Havel teil. Nach dem August schwang in allem die Kritik gegenüber dem sowjetischen Militarismus und dem Parteidogmatismus mit.
Die „Normalisierung“ ab April 1969
Auf der politischen Bühne wurde jedoch auf Betreiben der Besatzer A. Dubček, ein Politiker mit einem etwas menschlicheren Antlitz, vom charakterlosen Opportunisten G. Husák abgelöst und es begann zunächst schleichend, später mit aller Härte, die sogenannte Normalisierung. Als Leiter des Sekretariats für Kirchenfragen trat nun an die Stelle der Reformkommunistin und Soziologin Erika Kadlecová der Parteikader und stalinistische Hardliner Karel Hrůza. Sein Name ist symbolträchtig (tsch. hrůza – Schrecken, Grauen, Anm. d. Übers.). Alles kehrte in die alten Gleise zurück, von einem kurzzeitig normaleren (1968–1969) zu einem langfristig (1969–1989) unnormalen Zustand.
Im Januar 1970 war der slowakische Pfarrer Josef Juráš (der mehrere Jahre im kommunistischen Gefängnis verbracht hatte) beim theologischen Kurs des SČED zu Gast. Auch der tschechische Schriftsteller Miroslav Hanuš und der christliche Philosoph Ladislav Hejdánek waren eingeladen.
Im Juni 1970, vor den Ferien, wurde der Pfarrer Ctirad Novák aus Kutná Hora an der Grenze festgenommen. Anschließend wurde ihm die staatliche Genehmigung entzogen und er musste den Pfarrberuf aufgeben.
Im August 1970 war beim theologischen Kurs des SČED Professorin Božena Komárková aus Brno zu Gast und referierte über das Thema „Der Christ und die Ansprüche des modernen Staates“. Im Jahr 1970 wurde bei der Jahresmitgliederversammlung des SČED bereits zum zweiten Mal Pfarrer Vlastimil Sláma zum Verbandsvorsitzenden gewählt. In den SČED-Vorstand wählten die Mitglieder zudem: Eva Pilátová, Jan Čapek, Vladimír Kalus, Jan Šimsa; Stellvertreter: Josef Batelka, Miroslav Rozbořil, Jan Blahoslav Šourek und Dr. Josef Veselý. Diesen Vorstand erwarteten überaus schwierige Verhandlungen mit Vertretern des Staates (Innenministerium, Ministerium für Bildung und Kultur), und den Brüdern sowie der Schwester aus dem Vorstand standen schwere Prüfungen bevor.
Am 2. April 1971 fand die erste gewichtige Verhandlung des SČED-Vorstandes mit Vertretern des Innenministeriums statt. Vonseiten des Innenministeriums hieß es, die Tätigkeit des SČED entspreche nicht den Statuten, und es wurde auf die in der Zeitschrift Kostnické jiskry von 1968 veröffentlichten Äußerungen, auf die Anmerkungen zum Familiengesetz usw. verwiesen. Der SČED solle die Statuten einhalten und keine politischen Exzesse auslösen, sich an die Verfassungsordnung halten und keine politischen Forderungen stellen. Das Gespräch endete mit einer Verwarnung.
Die aufgefundene Stasiakte zum SČED beinhaltete jedoch bereits einen Vorschlag zur „Lösung für den Interessenverband SČED – Verbot der weiteren Tätigkeit“. Diese Lösung wurde nicht umgesetzt, sie wurde vertagt. Wäre jedoch der Pfarrerverband bereits 1971 verboten worden, hätten sich die „Argumente“ der repressiven Teile der staatlichen Verwaltung (wenn das totalitäre Regime auch eigentlich keine Argumente brauchte) auf die Haltung und die Einstellungen des SČED in den „Krisenjahren 1968/69“ gestützt, natürlich auch auf die bei der Mitgliederversammlung des SČED 1966 geäußerte Kritik an den Methoden der Staatssicherheit, überdies auch auf die kritischen Anmerkungen des Verbandes zum geplanten Familiengesetz im Jahr 1963 (!).
Die Operation der Stasi gegen den SČED wurde weitergeführt, aber sie war geheim. Man begann aktuelleres Material zu sammeln … Die Repressionen gegen SČED-Mitglieder nahmen zu. Häufig wurde ihnen die staatliche Genehmigung entzogen, weniger häufig kam es zu Festnahmen durch die Polizei, zu Inhaftierungen, Prozessen und Gefängnisstrafen. Das erste Opfer der „Normalisierung“ war, wie bereits erwähnt, der Pfarrer Ctirad Novák aus Kutná Hora. Danach wurden der Pfarrer Jaromír Dus aus Prag-Vršovice (9. 11. 1971) und als dritter Vlastimil Sláma (8. 12. 1971), Pfarrer in Litoměřice und Vorsitzender des SČED, inhaftiert und verloren ihre staatliche Genehmigung. Letzterer musste im Vorstand des SČED durch Pfarrer Josef Batelka ersetzt werden.
Porträt des Pfarrers und SČED-Vorsitzenden Vlastimil Sláma
Vlastimil Sláma wurde am 26. Juli 1921 im polnischen Zelów geboren. Während des Krieges und danach studierte er bis 1947 in Prag, wurde ordiniert und war kurz als Vikar in Ostrava tätig. Ab Mai 1948 war er viele Jahre Pfarrer in Litoměřice. Aufgrund seiner theologischen Ausdrucksstärke, seiner Glaubwürdigkeit als Pfarrer, seines Mutes und seiner persönlichen Integrität gewann er das Vertrauen seiner Kollegen und wurde am 24. Januar 1967 in den Vorstand des SČED gewählt. Im darauffolgenden Jahr wurde er am 2. Februar zum Vorsitzenden des SČED gewählt.
„Meine Wahl sollte sich später als ,Danaergeschenk‘ erweisen. In der politisch angespannten Atmosphäre verabschiedete unser Verband auf die Initiative der Neuen Orientierung (Nová orientace), einer Gruppe junger Pfarrer, hin eine Reihe von Petitionen, welche die Demokratisierung unserer sozialistischen Ordnung befördern sollten und diese wurden dann mit meiner Unterschrift und mit der Unterschrift des Geschäftsführers des SČED-Vorstandes, Jan Čapek, an die Regierung und das Parlament (nicht an die kommunistische Partei KSČ) geschickt.“
Vlastimil Sláma arbeitete nicht nur unermüdlich in seiner Gemeinde und stand an der Spitze des SČED, er engagierte sich auch in öffentlichen Angelegenheiten, in der Lokalpresse und im Klub engagierter Parteiloser. Am 9. 7. 1971 wurde ihm mit folgender Begründung sein Reisepass eingezogen: „Dies erfolgte aufgrund Ihrer politischen Haltung, es ist also nicht im staatlichen Interesse, Ihnen derzeit Reisen ins Ausland zu gestatten.“ Daraufhin verkündete Pfarrer Sláma öffentlich, sollte er seinen Pass nicht zurückbekommen, werde er nicht an den Wahlen im November teilnehmen („Wenn ich meinen Pass nicht hab, geb ich keine Stimme ab“, scherzte sein Kurator).
Mit den Scherzen war es aber vorüber, als Pfarrer Sláma sechs Tage nach der Wahl im Gemeindehaus von sechs Stasimitarbeitern, angeführt von Hauptmann Adamec aus Prag, aufgegriffen und festgenommen wurde. Anschließend wurden zwei politische Paragraphen vorgeschoben und er wurde wegen Aufwiegelei und Beschädigung der Interessen der Republik im Ausland angeklagt. Seine Anklage war ein unschönes Werk von Kreisstaatsanwalt Pavlas, der Vlastimil Sláma beschuldigte, im Februar 1969 im Schaukasten der Gemeinde das „Sendschreiben der XVI. Synode“ ausgehängt und seinem Bekannten, einem Pfarrer in West-Berlin, den „Aufruf an die christlichen Kirchen“ und die „Stellungnahme zur innenpolitischen Situation“ geschickt zu haben. Damit sollte er „mindestens zwei Personen zu einer feindlichen Haltung gegenüber der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung aufgewiegelt und die Interessen der Republik verletzt“ haben.
Dazu ist anzumerken, dass die XVI. Synode im Februar 1969 stattfand und die erwähnten Materialien keineswegs geheim waren, im Gegenteil, sie fanden damals sowohl bei uns als auch im Ausland weite Verbreitung. Auch auf die „inständigen Bitten“ des Synodalrats hin, diese Tatsachen zu berücksichtigen, reagierte der Staatsanwalt nicht. Am 23. und 26. Juni 1972 fand der Prozess statt. Bei der Gerichtsverhandlung waren am ersten Tag auch 14 Pfarrer, Mitglieder des SČED, anwesend. Das Urteil wurde erst am zweiten Verhandlungstag verkündet, als die Pfarrer nicht mehr zugegen waren. Vlastimil Sláma wurde zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung mit einer Bewährungsfrist von drei Jahren verurteilt. Den Vorsitz führte JUDr. Růžena Vajsová (eine ehemalige, möglicherweise gelernte Schneiderin), die keinen Hehl daraus machte, dass sie im Sinne der „Normalisierung“ urteilte, also wieder genauso wie früher, entsprechend den Vorgaben der Partei.
Nach dem Prozess arbeitete V. Sláma in den Lovosicer Chemiebetrieben. Das Ehepaar Sláma kaufte sich, um die Wohnung im Pfarrhaus nicht zu blockieren, ein altes, heruntergekommenes Haus sechs Kilometer oberhalb von Litoměřice, im Weiler Skalice, und richtete es zum Wohnen her. Dort hätten sie in Ruhe leben können.
Es war aber nur eine Frage der Zeit, bis die Stasi von sich hören ließ. In seinen Memoiren schreibt Vlastimil Sláma: „Eines Morgens nach der Nachtschicht, es war im Frühjahr 1979, rief mich der Pförtner an und sagte mir, dass unten zwei Herren auf mich warten. Der eine war unser nordböhmischer Stasimann Málek. Ich musste in den Dienstwagen steigen, wo noch ein Kollege von ihm war. Málek sagte beschwichtigend: ,Keine Straftat, Herr Sláma, aber wir möchten mit Ihnen reden. Wir wissen, dass Sie gern predigen und auch gern Ihre Tochter in der BRD besuchen würden. Aber wir verlangen eine Gegenleistung: Sie müssen eine Kooperations- und Verschwiegenheitserklärung unterschreiben.‘ Sofort schoss mir durch den Kopf: Sie wollen mich auf meinen Kollegen Zdeněk Bárta ansetzen. Ich erkannte den ,Pferdefuß‘ und antwortete: Meine Herren, ich werde Ihnen nichts unterschreiben, aber nach meinen Erfahrungen mit Ihnen weiß ich natürlich, dass ich mich der Gespräche mit Ihnen wohl nicht erwehren kann.“
Wie er vermutet hatte, blieb es nicht bei diesem einen Versuch. Er besprach das Problem einer Zusammenarbeit mit der Stasi mit mehreren Kollegen, hauptsächlich mit solchen in kirchlichen Ämtern, von denen viele ebenfalls registriert waren, aber ihre Zusammenarbeit leugneten. Keiner von ihnen redete es ihm aus. Wichtig ist, dass sich Bruder Sláma als nahezu einziger der registrierten Stasimitarbeiter in Kirchenkreisen kurz nach November 1989 dazu bekannte. Er erinnert sich daran: „Ich war in einer Situation, in der ich die faktische Ohnmacht des Synodalrats gegenüber dem kommunistischen Regime vor Augen hatte und viele sah, die unter allen Umständen an ihren Ämtern und Privilegien festhielten. Ich wählte bewusst den Weg der fingierten, also vorgetäuschten Zusammenarbeit mit dem Feind, aber in dem permanenten Bewusstsein, dass ich keinem menschlichen Regime, auch nicht der Stasi, unterstehe, sondern allein dem höchsten Gott, der jeden von uns nach seiner heiligen Gerechtigkeit richtet. Während meine Frau und ich uns bei meiner Entlassung aus dem Predigtdienst in den Jahren 1971/72 die Worte Zwinglis ins Gedächtnis riefen ,Tut um Gottes Willen etwas Tapferes‘, so richtete ich mich in den Jahren 1972/82 nach der abgewandelten Losung ,Tut um Gottes Willen etwas Praktisches‘. Wir waren ins kalte Wasser geworfen worden und mussten diese Situation bewältigen. Was mich angeht, so verhielt ich mich – neutral formuliert – pragmatisch, nicht verräterisch oder feige, obwohl mir bei den Treffen mit Herrn Málek oft flau im Magen war.
Sobald Pfarrer Sláma frei war, beantragte der Synodalrat für ihn die staatliche Genehmigung zum Dienst als Hilfsprediger in der Nachbargemeinde Chotiněves. Er bemühte sich lange, aber vergeblich darum. Erst im Februar 1981 kam Bewegung in die Sache, als beim Synodalrat vom Nordböhmischen Kreisrat in Ústí nad Labem eine nicht ganz übliche Zuerkennung der staatlichen Genehmigung für den Geistlichen Vlastimil Sláma einging. Die Verlängerung der Genehmigung für den Dienst als Hilfsprediger wurde dem Synodalrat bis 1985 regelmäßig für jeweils ein Jahr im Auftrag des Bezirkssekretärs Karel Dlabal von der stellvertretenden Vorsitzenden des Kreisrats zugeschickt.
Die ganze Zeit über pendelte der Pfarrer von Skalice bei Litoměřice nach Chotiněves, um dort das Wort Gottes zu predigen. Die Stasi hatte im September 1979 für V. Sláma eine Akte angelegt, die Ende 1984 geschlossen und archiviert wurde. Im Antrag, die Akte zu schließen, den schließlich der Stasimitarbeiter Málek aufsetzte, steht: „Die anvisierten Ziele der Zusammenarbeit wurden oberflächlich erfüllt. Das Ergebnis ist bis zum jetzigen Zeitpunkt minimal. Der Hauptgrund ist der, dass der Mitarbeiter kein Interesse an der Zusammenarbeit hat, was er beim letzten Treffen, das vor seiner Abreise in die BRD (6.9.1984) geführt wurde, dem leitenden Organ zu verstehen gab. Er sagte wörtlich, er sei bereits drei Jahre in Rente, wolle seine Ruhe und habe kein Interesse daran, Kontakte zu Menschen anzuknüpfen, mit der Absicht, über sie Informationen zu liefern ... Auf der Grundlage seiner Berichte kam es zu keiner Realisierung, er wurde auch in keine konspirative Wohnung eingeführt und erhielt keine Telefonnummer zu einem behördlichen Telefon. Aufgrund der genannten Situation, dass der informelle Mitarbeiter kein Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit zeigt, schlage ich vor, die Zusammenarbeit zu beenden und die Akte für 10 Jahre im Archiv S – StB zu hinterlegen. Prämien hat er nicht erhalten, lediglich die Auslagen bei der Anwerbung betrugen 37 CSK (!)“. Vlastimil Sláma suchte keinen gezielten Kontakt zu denen, die er ausspionieren sollte und trug der Stasi gezielt keine Informationen zu.
Am 29. April 1991 erhielt er vom Gericht in Litoměřice den Beschluss über seine rechtliche Rehabilitierung. Schon zuvor, ab Januar 1991, kehrte er nach zwanzig Jahren für ein Jahr als regulär gewählter Pfarrer in seine Gemeinde in Litoměřice zurück.
Seiner Personalakte beim Synodalrat fügte er 2002 seine Memoiren hinzu, unter der Überschrift: Auf der Suche – Versuch einer kurzen Biographie des EKBB-Pfarrers ThMgr. Vlastimil Sláma. Daraus ein abschließendes Zitat: „Ich habe in meinem Leben sehr viel gesucht und nur wenig gefunden. Die wertvollsten Gedanken hatte ich, wenn ich nachts wach lag, aber leider wurde bis jetzt kein Gedankenrekorder erfunden. Worum ich mich bemühte, darum bemühte ich mich aufrichtig, ohne Falsch und ohne das Meine zu suchen. Bei all den menschlichen Schwächen und Nöten folgte ich dem Ruf, zuallererst Gottes Reich und seine Gerechtigkeit und nicht meine eigene Ehre zu suchen (Mt 6,33; J 7,18) … Wenn mir Gott, der Herr, aus der Gnade Jesu Christi noch weitere Jahre schenkt, werde ich mit dem Apostel Paulus lernen zu vergessen, was hinter mir liegt, und den Blick darauf zu richten, was vor mir ist, auf dass ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde… (Phil 3,9a).“
Der Pfarrer Vlastimil Sláma, der inhaftierte Vorsitzende des Verbandes der Geistlichen der EKBB und Ehrenvorsitzende des Vereins evangelischer Prediger starb am 13. Februar 2012 im gesegneten Alter von 90 Jahren. Ehre seinem Andenken.
Noch einmal zurück in die Jahre der „Normalisierung“ 1972–1974
Die theologischen Kurse des SČED wurden weitergeführt, doch es wurde auch weiterhin Pfarrern die staatliche Genehmigung entzogen. Beim Sommerkurs 1971 hielten Dr. Josef Hlaváč und Ing. Jakub S. Trojan Vorträge zum Thema: „Unsere Mission“; Dr. Zdeněk Matějíček über „Pflegschaft und Adoption“.
Umfangreich und kritisch war der Diskussionsbeitrag von Miloš Rejchrt. Er sprach über den Charakter der Vertretung der EKBB bei der 4. Allchristlichen Friedensversammlung (AFV) und bei der Christlichen Friedenskonferenz (CFK): „Ich wage zu behaupten, dass die CFK an einem Punkt angelangt ist, an dem sich die Kirche eindeutig von ihrer Tätigkeit distanzieren sollte … Die Gefährlichkeit der CFK für die Kirche ist offensichtlich. Schon allein dadurch, dass sie zwischen den Christen, freien Kindern Gottes und Bürgern des Himmelreichs, einen Eisernen Vorhang herunterlassen … Christen im Westen und Christen im Osten ... Die Frage ist bei Weitem nicht so akademisch … Sie lautet, ob es sich die Kirche heute erlauben kann, aus der CFK auszutreten … das ist wahrhaftig eine ernste Frage ... Es gehört zu den Paradoxen dieses Zeitalters, dass der Austritt aus einer freiwilligen Organisation, die sich in ihrem Namen mit dem Adjektiv ,christlich‘ schmückt, die Kirche wirklich auf den schmalen Weg einer bekennenden Kirche führen kann.“
Solche und ähnliche freie, kritische Stimmen und Standpunkte von Pfarrern („Bürgern zweiter Klasse“) wollten sich die Genossen aus dem Sekretariat für Kirchenfragen des Kulturministeriums und aus dem Innenministerium nicht gefallen lassen, schon gar nicht, wenn sie vom SČED ausgingen. Gleich im Januar 1972 drohte der Leiter des Sekretariats für Kirchenfragen Hrůza bei einem Gespräch mit dem Synodalrat, wenn die Kirchenleitung nicht einschreite und der Regimekritik nicht Einhalt gebiete, werde der Staatsapparat hart durchgreifen. Die Kirchenleitung werde abgesetzt und die Kirche direkt den staatlichen Organen unterstellt. Wer weiß? Den Synodalrat erfasste jedoch Panik vor den „unvorhersehbaren Folgen“ und die Folge dieser Furcht war der unglückliche und defensive Brief vom 11. Februar 1972. Bevor man ihn an die Gemeinden schickte, wurde er vom Sekretariat für Kirchenfragen abgesegnet. Die EKBB gab ihre Integrität auf. Viele Mitglieder des SČED und auch kirchliche Laien waren schockiert, denn damit wurden die Standpunkte von 1968/69 widerrufen. Innerhalb der EKBB begann ein Prozess der Spaltung.
Beim theologischen Seminar des SČED, das vom 7.–11. Februar 1972 in Prag stattfand, war der katholische Liturgiereformer Bonaventura Bouše Ehrengast und referierte zum Thema „Die Tradition des böhmischen Katholizismus“. Ein Gespräch mit dem namhaften Maler Jan Zrzavý begann damit, dass sich der Meister despektierlich und ironisch über die Beziehung der Protestanten zur Malerei und zur Kunst überhaupt äußerte. Es sollte auch Tullio Vinay aus der Kirche der Waldenser in Italien kommen, aber er wurde krank und sagte ab. Bei der Jahresversammlung informierte der Synodalsenior darüber, dass nach Ctirad Novák noch weitere Brüder die staatliche Genehmigung verloren hatten: Jaromír Dus und Vlastimil Sláma; erst einige Tage zuvor auch Jan Dus aus Chrást bei Plzeň (4. Februar 1972); keine neue staatliche Genehmigung erhielt Milan Satke, ebenso die Absolventen der Fakultät Jan Rafaj und Dan Drápal.
Die Repressionen gingen weiter. Es kam so weit, dass am 23. August 1972 aufgrund eines Beschlusses der Abteilung für innere Angelegenheiten des Rates der Hauptstadt Prag zum ersten Mal die Durchführung eines theologischen Kurses (geplant für die Tage 28.8.–1.9.1972) nicht genehmigt wurde. Dieses erste Verbot war aufgrund der solidarischen Koordinierung aller Organe der staatlichen Verwaltung des totalitären Regimes von Dauer. Der SČED durfte keinen weiteren theologischen Kurs und keine Mitgliederversammlungen mehr abhalten. Nur der Vorstand des SČED traf regelmäßig oder auch im Bedarfsfall zusammen. Ihm stand eine schwere und verantwortungsvolle Entscheidung bevor.
Am 25. August 1972 fand das zweite maßgebliche Gespräch mit dem SČED-Vorstand statt, diesmal nicht im Innenministerium, sondern mit Vertretern des Sekretariats für Kirchenfragen des Kulturministeriums der Tschechoslowakischen Republik, mit den Stalinisten Hájek und Jelínek (das bedeutete letztendlich keinen grundlegenden Unterschied). Anwesend war auch der Synodalsenior der EKBB V. Kejř. Vonseiten der Vertreter des Sekretariats für Kirchenfragen wurden Einwände dagegen vorgebracht, dass der SČED in der Kirche ein zweites Zentrum bilde und Druck auf den Synodalrat ausübe. Diese Einwände wurden sowohl vonseiten des Vorstandes als auch vonseiten des Synodalseniors entschieden zurückgewiesen, aber das nützte nichts. Die totalitäre Repressionsmaschinerie lief weiter, wobei eher noch eine Intensivierung zu verzeichnen war:
Ab dem 27. Oktober 1972 wurde Miloš Rejchrt, Vikar in Česká Lípa, die staatliche Genehmigung entzogen.
Ab dem 1. November 1972 wurde Vladimír Kalus, Pfarrer in Miroslav, die staatliche Genehmigung aberkannt. Das SČED-Vorstandsmitglied Vladimír Kalus musste durch Pfarrer Dr. Josef Veselý ersetzt werden.
Ab dem 21. Dezember 1972 wurde Miroslav Rodr, Pfarrer in Rokycany, die staatliche Genehmigung entzogen.
Am selben Tag fand das dritte maßgebliche Gespräch des SČED-Vorstandes mit Vertretern des Innenministeriums statt. Es wurde über die Existenzberechtigung des SČED diskutiert, denn er wurde vom Innenministerium und der Staatssicherheit noch immer als illegitim bzw. als „zweites Zentrum“ der Kirchenleitung bezeichnet.
In den beiden folgenden Jahren blieb die Spannung zwischen der EKBB und dem Regime bestehen.
Ab dem 1. März 1973 wurde Jan Šimsa, Pfarrer in Prosetín, die staatliche Genehmigung entzogen.
Am 10. Mai 1973 schickte der Vorstand des SČED einen Brief an die Abteilung für innere Angelegenheiten des Rates der Hauptstadt Prag, in dem er mitteilte, dass am 12. Juni 1973 lediglich die verschobene Jahresmitgliederversammlung des SČED stattfinden werde. Auf der Tagesordnung solle die Wahl des neuen Vorstandes stehen. Ein theologischer Kurs sei erst für Ende August geplant. Am 8. Juni 1973 traf die arrogante Antwort des Innenministeriums auf die Vorankündigung ein: „Da Ihre Organisation in der Vergangenheit wiederholt in den Zuständigkeitsbereich der EKBB eingegriffen hat, bat das Sekretariat für Kirchenfragen des Kulturministeriums als Organ, das für freiwillige Organisationen religiösen Charakters sachlich zuständig ist, um eine Stellungnahme, ob diese gegenseitigen Beziehungen so weit geklärt werden konnten, dass eine Jahresversammlung Ihrer Organisation stattfinden kann. Erst nach dieser Stellungnahme ist es möglich, die Durchführung einer Mitgliederversammlung Ihrer Organisation in Erwägung zu ziehen. Wenn also die Mitgliederversammlung bereits einberufen wurde, ist diese umgehend abzusagen.“ Unterzeichnet von Abteilungsleiter JUDr. J. Kepák.
Am 13. Juni 1973 schrieb der Synodalsenior dem Sekretariat für Kirchenfragen und legte das Programm für den geplanten theologischen Kurs des SČED vor, der vom 27. bis zum 31. August 1973 in Prag stattfinden sollte, und bat um dessen freundliche Genehmigung. Auf dem Programm sollte die Jahresmitgliederversammlung und vor allem die Wahl des Vorstandes stehen. Kejř dankte nochmals aufrichtig für das freundliche Entgegenkommen. Obwohl der Synodalrat noch einmal nachhakte (6.8.), blieb dieser Antrag unbearbeitet und der Kurs fand nicht statt.
Am 5. November 1973 wandte sich der Vorstand des SČED (in der Zusammensetzung: Jan Čapek, Pfarrer in Sázava; Eva Pilátová, Vikarin in Brno; Dr. Josef Veselý, Pfarrer und Senior in Jilemnice; Josef Batelka, Pfarrer und Senior in Nové Město na Moravě) an das Sekretariat für Kirchenfragen und bat um ein Gespräch, um die bereits länger bestehende Situation zu klären. Am 30. November 1973 ersuchte der Leiter des Sekretariats für Kirchenfragen den Synodalsenior, die Antwort auf den Antrag des SČED an diesen weiterzuleiten: Das Gespräch über eine grundlegende Klärung der Gesamtsituation des Verbandes könne vor allem aus Zeitgründen nicht vor dem Frühjahr kommenden Jahres stattfinden; deshalb sei es richtig, wenn der SČED-Vorstand die geplanten Veranstaltungen, einschließlich des theologischen Kurses im Januar, vorerst aufschiebe.
Ab dem 1. Dezember 1973 wurde Petr Čapek, Pfarrer in Merklín, die staatliche Genehmigung entzogen.
Ab dem 1. Januar 1974 wurde Jiří Veber, Pfarrer in Šumperk, die staatliche Genehmigung entzogen.
Zum 1. März 1974 wurden gleich zwei Pfarrern die staatlichen Genehmigungen aberkannt: Alfred Kocáb in Mladá Boleslav und Jakub S. Trojan in Neratovice-Libiš.
Am 30. Februar 1974 schickte der Synodalrat folgendes vervielfältigtes Schreiben an alle Gemeinden: Juristische Stellungnahme zu aktuellen Fragen der Situation von Predigern ohne staatliche Genehmigung. Es handelt sich um eine besonders unglückliche Stellungnahme der damaligen evangelischen Juristen. Wie, warum und worin zeigt deutlich ein an den Synodalrat gerichteter Brief der Pfarrer des Seniorats Horácko von der Pastoralkonferenz am 20. Mai 1974 mit dem Stempel des Senioratsbüros und der Unterschrift des Seniors Josef Batelka. Diesem Brief schloss sich mit der Unterschrift des Geschäftsführers Jan Čapek samt Stempel auch der Vorstand des SČED an. Hier ein Zitat aus dem Brief: „In der juristischen Stellungnahme wird sehr viel gesagt, was die Unterstützung – gewissermaßen den Schutz – der Kirche, der Gemeinde, des Verwalters, ja selbst der Kirchenwohnung angeht, aber sehr wenig Unterstützendes zugunsten des Predigers, der seinen geistlichen Beruf nicht mehr ausüben kann. Es wird darin viel darüber gesagt, was so ein Prediger nicht kann, nicht soll und nicht darf, aber wenig darüber, was er tun kann, welche Rechte er hat und auf welche Rechtsnormen er sich stützen kann. So gehen wir zum Beispiel davon aus, dass es möglich ist, den Prediger in den Kirchenvorstand zu wählen ... Wir haben das Gefühl, dass wir unseren Mitbrüdern die dauerhafte Solidarität in ihrer objektiv schwierigen Situation schuldig bleiben ... Sie haben viele Jahre aufopferungsvoll in den Gemeinden und für die Kirche gearbeitet. Es ist bedauerlich, dass die juristische Stellungnahme – wenn auch unabsichtlich – den Eindruck erweckt, als seien sie Ausgestoßene, welche die Kirche im Auge behalten sollte ... Wir, die wir bis jetzt im aktiven Dienst sind, gewöhnen uns verwerflicherweise leicht daran, dass einige verfolgt werden, und erliegen der Versuchung, sie zu vergessen, und suchen sogar eine Rechtfertigung in der Behauptung, sie hätten es sich selbst zuzuschreiben. Uns ist bewusst, wie kompliziert die Fragen sind, mit denen Sie sich beschäftigen müssen, und mit welchen Schwierigkeiten Sie zu kämpfen haben. Wir versichern Sie unserer Unterstützung in Ihrem Einsatz für unsere elf Mitbrüder und ihre Familien.“
Am 4. Juni 1974 kam aus dem Innenministerium eine Einladung an die Vertreter des SČED zu einem Gespräch am 13.6. im Innenministerium.
Am Vormittag des 13. Juni 1974 fand eine Sitzung des SČED-Vorstandes statt.
Erörtert wurde die Situation der Pfarrer ohne Genehmigung unter Berücksichtigung der Analysen von Dr. Ptáček und Dr. Žíla (die der juristischen Stellungnahme kritisch gegenüberstanden) und des Briefes der Pastoralversammlung des Seniorats Horácko. Außerdem wurde das vierte maßgebliche Gespräch des SČED-Vorstandes mit Vertretern des Innenministeriums vorbereitet, zu dem die Brüder Batelka, Čapek, Veselý und Schwester Eva Pilátová delegiert wurden.
Als die Zahl der entzogenen staatlichen Genehmigungen zunahm, hatte jemand von der Staatssicherheit oder aus dem Sekretariat für Kirchenfragen eine Idee: Wollte man den SČED jetzt auflösen, war es doch klüger, nicht dessen Standpunkte aus den Krisenjahren 1968/1969 als Grund für seine Auflösung anzugeben, sondern aktuellere Argumente: dass er gegen seine Statuten verstieß, als er die Kollegen, denen das Regime die Genehmigungen entzogen oder die es inhaftiert hat, nicht ausschloss.
Am 13. Juni 1974 nachmittags kam es zum fünften maßgeblichen und diesmal abschließenden Gespräch zwischen Vertretern des SČED-Vorstandes und Mitarbeitern des Sekretariats für Kirchenfragen. Man kann sich leicht denken, dass der SČED geschlagen, aber doch moralisch überlegen aus diesem Gespräch hervorging. Von diesem letzten Gespräch gibt es zwei lange Protokolle. Das eine befindet sich im Archiv des SČED, das andere aus dem Bestand des Sekretariats für Kirchenfragen des Kulturministeriums und dem Bestand des Innenministeriums lagert im Nationalarchiv. Unter anderem erfährt man dort, dass beim Gespräch anwesend waren: Dr. Kepák (Innenministerium), Sekretärin Šliperská und Dr. Hájek (Kulturministerium) sowie Herr Batelka, Dr. Veselý, Herr Čapek und Frau Pilátová (alle SČED). Das Gespräch begann um 13.00 Uhr und dauerte zweieinhalb Stunden mit folgendem Fazit:
„Das Innenministerium der Tschechoslowakischen Republik annulliert gemäß § 2 Abs. 1 Gesetz Nr. 126/1969 GBl. über einige Übergangsmaßnahmen zur Festigung der öffentlichen Ordnung den SČED, die freiwillige Organisation ,Verband der Geistlichen der EKBB‘ mit Sitz in Prag und mit dem Tätigkeitsbereich auf dem Gebiet der Tschechischen Sozialistischen Republik.“
In der Begründung der oben genannten Maßnahme heißt es: Aus kirchenpolitischen Gründen müssen alle staatlich genehmigten Kirchen für ihre Tätigkeit dieselben gesetzlichen Bedingungen haben. Die Tatsache, dass es nur in einer Kirche einen eigenständigen Berufsverband der Geistlichen gibt, ist im Kern ein gravierender Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Gleichheit aller Kirchen vor dem Gesetz. Die Geistlichen sind als Angestellte ihrer Kirchen verpflichtet, die Anweisungen der übergeordneten kirchlichen Organe zu befolgen. In der EKBB haben sich faktisch zwei Zentren für die Leitung der Geistlichen herausgebildet, was auch die staatliche Aufsicht über die Tätigkeit dieser Kirche erschwert ... Den Organen der inneren Verwaltung der Kirche stand der Berufsverband SČED oft in einer negativen politischen Opposition gegenüber. Die Hauptvertreter des SČED bildeten seit den Krisenjahren 1968–1969 eine eigene reaktionäre Plattform und versuchten, von ihren Positionen im SČED aus die ganze Kirche zu beherrschen. Sie setzten mit ihren Aktivitäten vor allem die extremen Standpunkte einer Gruppe von Geistlichen und Laien, der sogenannten „Neuen Orientierung“, durch, die sich unlängst ausdrücklich zu einem nonkonformen Teil der Kirche erklärte, welche die offizielle Kirchenleitung und die Ergebnisse der letzten Synode von 1973 nicht anerkennt, gegen die sie sogar ihr eigenes, alternatives Programm verkündete. Der Synodalrat wies dieses alternative Programm der „Neuen Orientierung“ sehr scharf als politisch und theologisch für die Kirche inakzeptabel zurück. In der letzten Zeit legte der Vorstand des SČED nicht einmal mehr Wert auf die Einhaltung der gültigen Statuten seiner Organisation, weswegen gegen ihn bereits 1971 vonseiten des Innenministeriums der ČSSR eine Verwarnung ausgesprochen wurde. Einige Mitglieder des SČED, hauptsächlich seine ehemals führenden Vertreter, verloren seit dieser Zeit aus verschiedenen Gründen die staatliche Genehmigung zur Ausübung des geistlichen Dienstes und können gemäß den Statuten des SČED nicht länger als Mitglieder dieser Organisation betrachtet werden, denn Mitglied können lediglich tschechische evangelische Theologen werden, die im kirchlichen Dienst, im Schul- oder Missionsdienst sind, sowie diejenigen, die nach einem solchen Dienst in den Ruhestand getreten sind. Der bisherige SČED-Vorstand leitete in Sachen Mitgliedschaft dieser Geistlichen nicht nur keine entsprechenden Schritte ein, sondern solidarisiert sich sogar vorbehaltlos mit ihnen und gibt ihnen die Möglichkeit, im Rahmen des SČED weiter tätig zu sein. Daraus ist ersichtlich, dass der SČED-Vorstand aus der bereits 1971 ausgesprochenen Verwarnung nicht die nötigen Schlüsse gezogen hat. Einige Mitglieder des SČED wurden wegen gegen die Republik gerichteter Straftaten rechtskräftig zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung verurteilt. Ihr Verhalten stellte zweifellos eine grobe Gefährdung der Staatsinteressen dar. Laut den Statuten des SČED ist derjenige, der die Interessen des Verbandes oder des Staates auf grobe Weise gefährdet, aus dem Verband auszuschließen. Die Mitglieder des Vorstandes haben aus dieser Tatsache keine Schlüsse gezogen, und wie aus der Beratung am 13. Juni 1974 und aus dem Gespräch vom 16. Juli 1974 hervorging, haben sie auch nicht die Absicht, in Zukunft aus dieser Tatsache Schlüsse zu ziehen. Bei der Einführung des neuen Geistlichen in Chotiněves waren drei Personen im Priestergewand anwesend, denen die staatliche Genehmigung aberkannt worden ist. Eine dieser Personen hielt bei diesem Anlass sogar eine öffentliche Ansprache über die Mühen des geistlichen Dienstes. Obwohl der Vorstand des SČED diese Personen im Widerspruch zu seinen Statuten nach wie vor als Mitglieder des SČED betrachtet, zog er auch aus diesen Verhaltensweisen der Betreffenden keine Schlüsse, wobei diese Handlungen als Straftatbestand der Aufsichtspflichtverletzung gegenüber den Kirchen gewertet werden oder zumindest Spannungen zwischen der Kirche und den staatlichen Organen hervorrufen könnten. Da also die Tätigkeit des SČED trotz vorheriger Warnung dauerhaft im Widerspruch zu den Statuten des Verbandes steht, da auch während der gesetzten Frist keine Abhilfe geschaffen wurde und Abhilfe auch nicht durch Maßnahmen nach anderen Gesetzesvorschriften geleistet werden kann, wurde die Organisation gemäß § 2 Abs. 1, Satz nach dem Bindestrich, Gesetz Nr. 126/1968 GBl. aufgelöst. Das zuständige Organ des Verbandes ist verpflichtet, Maßnahmen zur Abwicklung der Verbindlichkeiten des Verbandes und zu seiner Liquidation zu ergreifen. Der Verband meldet dem Innenministerium der ČSR die Namen der Personen, die für die Durchführung der Liquidation des Verbandes und seines Eigentums zuständig sind … Das schriftliche Material des Verbandes wird dem Innenministerium der ČSSR – Abteilung für innere Verwaltung der Nationalausschüsse – übergeben … Es besteht die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen ... Da jedoch eine weitere Tätigkeit des SČED nicht erwünscht ist, wird auf Beschluss des Innenministeriums der ČSR keine aufschiebende Wirkung gewährt.
Rundstempel
Abteilungsleiter: Dr. Jiří Kepák (eigenhändige Unterschrift)
Die Auflösung des SČED war auf Betreiben der Staatssicherheit bereits 1970 beschlossen worden. Trotzdem dauerte der ungleiche Kampf „im Themopylenpass der Normalisierung“ zwischen dem SČED und der kommunistischen Macht noch vier Jahre. Der ganze SČED, aber vor allem der Vorstand, hielt auch in dieser Zeit der Prüfung an der Solidarität mit den Brüdern ohne Genehmigung fest. Aus dem Berufsverband evangelischer Pfarrer wurde in den Zeiten des kommunistischen Regimes niemand ausgeschlossen, weder inhaftierte Pfarrer noch Pfarrer ohne Genehmigung. Die Drohungen der Machthaber wurden erst in der Ferien- und Urlaubszeit, am 16. Juli 1974, Wirklichkeit, als die „Einstellung der Tätigkeit des Verbandes der Geistlichen der EKBB“ in Kraft trat. Das bedeutet, dass die permanenten Konflikte erst mit der Zwangsauflösung des SČED durch die Machthaber endeten, was dem Verband zur Ehre gereicht. Wie wir wissen, gingen dem voraus: die Festnahme, Inhaftierung und Verurteilung nicht nur des Vorsitzenden Vlastimil Sláma und einiger weiterer politischer Gefangener, sondern auch die Aberkennung zahlreicher staatlicher Genehmigungen zur Ausübung des Pfarrberufs und viele andere Repressionen verschiedenster Art. Als der Pfarrerverband der wiederholten Versuchung widerstand, seine Existenz zu retten, um den Preis, die brüderliche Solidarität mit seinen Mitgliedern und Kollegen aufzukündigen, die im Gefängnis waren oder denen die staatliche Genehmigung zur Ausübung ihrer geistlichen Berufung entzogen worden war, wurde er von der kommunistischen Maschinerie völlig zermalmt, aufgelöst, also annulliert (gekreuzigt). Er war zwar geschlagen, aber er ließ sich nicht korrumpieren und bewahrte sich seine Integrität!
Was bleibt am Ende zu sagen?
Aus der Asche des SČED in schwerer Zeit erhob sich in der Zeit der Freiheit der SPEK (Verein evangelischer Prediger).
Aus der Geschichte des Berufsverbandes der evangelischen Pfarrer wird deutlich, dass die Österreichisch-Ungarische Monarchie und alle demokratischen Ordnungen auf dem Gebiet Tschechiens die Eigenständigkeit des Verbandes respektierten und ihm keine Steine in den Weg legten. Schlimmer war es in der Zeit des Protektorats und danach in gewisser Hinsicht noch schlimmer, nachdem in der Tschechoslowakischen Republik die Kommunisten die Macht übernommen hatten – in den fünfziger Jahren und in den Jahren der „Normalisierung“!
Wenn der evangelische Pfarrer, Liedermacher, Dissident, politische Gefangene und schließlich auch Abgeordnete Svatopluk Karásek irgendwann irgendwo aufgeseufzt und vielleicht gar irgendwann irgendwo gesagt hat, es sei nötig, eine Geschichte der Solidarität zu schreiben, so ist dieser Artikel sicherlich keine solche Geschichte. Trotzdem glaube ich, dass er ein hinreichendes Zeugnis vom Segen der brüderlichen und kollegialen Solidarität ablegt. Der SČED wurde geschlagen aus dem Totalitarismus in die Freiheit überführt, während man von der Gemeinschaft der Kirche als Ganzer weder behaupten kann, sie sei überlegen gewesen, noch, sie sei geschlagen worden, denn die EKBB war in der Zeit des Totalitarismus, vor allem in der Zeit der „Normalisierung“, nicht einig, sondern gespalten. Oft fehlte es ihr gerade an jener Solidarität.
Kurz nach der Samtenen Revolution, gleich nach dem Jahreswechsel 1989/1990, wurde ein neuer Berufsverband evangelischer Pfarrer gegründet – der „Verein evangelischer Prediger“ (SPEK). Dies geschah 16 Jahre nach der Zwangsauflösung des SČED durch die kommunistischen „Normalisatoren“.
Ich möchte sagen: „Gottes Mühlen mahlen zwar manchmal langsam, aber verlässlich!“
Pavel Hlaváč, evangelischer Pfarrer im Ruhestand