Wie die tschechischen Protestanten den Geist der Freiheit gewannen, aber auch wieder verloren. Die EKBB zwischen 1968 und 1977

Peter Morée
Die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder bekannte sich früh und entschieden zur Demokratisierung der Gesellschaft, die 1968 einsetzte. Nach 1969 geriet sie zunehmend unter staatlichen Druck (meist vonseiten des Sekretariats für Kirchenfragen) und wurde aufgefordert, sich zu „konsolidieren“ und bestimmte Dokumente aus den Jahren 1968 und 1969 zu widerrufen. In dieser Situation bildeten sich schließlich innerhalb der Kirche zwei Lager heraus, denen es an gegenseitigem Vertrauen mangelte. Die Ereignisse des Jahres 1977 manifestierten dann das vergleichsweise tragische Schicksal der EKBB in der Zeit der sog. Normalisierung.

Vor dem 21. August 1968

Am 11. März 1968 sandten die Geistlichen des Kirchenkreises Ostrava im Seniorat Mähren-Schlesien der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder einen wichtigen Brief an die politischen Repräsentanten der ČSSR. Er enthielt klare Vorstellungen darüber, was sich an der Stellung der Gläubigen und der Kirchen im öffentlichen Raum ändern sollte. Nach einer Zeit der Diskriminierung und Unterdrückung war nun der Augenblick gekommen, in dem die Mächtigen im Land die Einschränkungen lockern oder auch ganz aufheben sollten. Es ging dabei insbesondere um die staatliche Aufsicht über die Kirchen, für die das Sekretariat für Kirchenfragen (SFK) und seine Sekretäre zuständig waren, um die kirchliche Arbeit mit allen Generationen einschließlich der Jugend, um den Religionsunterricht an Schulen, um die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen, um die Zulassung kirchlicher Beiträge im Fernsehen und die Aufhebung der Einschränkungen für die kirchliche Presse. Die Schreiber unterstrichen, dass sie keine Privilegien für die Kirchen wollten, und bekundeten ihre grundsätzliche Loyalität gegenüber der Politik Alexander Dubčeks. Deshalb schlossen sie ihren Brief folgendermaßen: „Wir versichern Ihnen, dass die Kirche, je mehr Freiheit sie hat, umso mehr Kraft in den Aufbau eines sozialistischen, freien und demokratischen Staates investieren kann.“[1]

Der Brief befindet sich in einer unsortierten Mappe mit Korrespondenz aus dem Archiv des Sekretariats für Kirchenfragen unter zahlreichen ähnlichen Dokumenten aus dem Jahr 1968. Die staatlichen Behörden wurden in jenen Monaten mit Briefen und Petitionen aus kirchlichen Kreisen überhäuft, durchweg zum selben Thema: die Wiederherstellung der Religionsfreiheit in der Tschechoslowakei. Der Historiker Jaroslav Cuhra vom Institut für Zeitgeschichte sagt dazu: „Eine herausragende Rolle spielte die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder; sie trat praktisch als erste in Erscheinung, im Februar 1968, mit einem Brief an die Nationalversammlung, in dem sie zur Korrektur der deformierten Beziehungen aufforderte. Überhaupt beteiligten sich die tschechischen Protestanten an zahlreichen Aktionen und versuchten eine ganze Reihe von Veränderungen durchzusetzen: Religionsunterricht, Gefängnisseelsorge oder die Ausstrahlung von Fernsehgottesdiensten.“ [2]

Die ersten Anzeichen in dieser Richtung gab es bereits vor 1968. So schickte beispielsweise die Gemeinde in Semtěš im September 1967 einen Brief an die Zeitung Rudé právo, in dem sie die Willkür des Semtěšer Schuldirektors schilderte, der in der Schule den Religionsunterricht einschränkte. Im Frühjahr 1968 gab es eine regelrechte Flut von Briefen aus den Gemeinden, die oft sehr konkret darauf verwiesen, dass die Gläubigen ungleich und ungerecht behandelt würden. Die Gemeinde in Rusava schilderte ihr Bemühen, eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens zu schaffen: „Wir möchten selbst auch ungern abseits stehen, ohne unsere Meinung zu den Dingen zu äußern, die uns und unsere Familien unmittelbar betreffen.“ Deshalb kritisierten die Gemeindeglieder offen den Bildungsminister, der nach eigenen Worten die Religion lieber in den Kirchen sehen würde und nicht in den Schulen.

Einige Briefe beschränkten sich nicht auf die Frage der Religionsfreiheit, sondern äußerten sich auch zu politischen Themen. Der Brief des Kirchenvorstands in Chodov bei Karlovy Vary (Pfarrer war Alfred Kocáb) vom 20. März 1968 sprach auch die Frage der in der Verfassung verankerten führenden Rolle der kommunistischen Partei KSČ an. „Es geht im Grunde um die Rehabilitierung des längst verworfenen nachreformatorischen Grundsatzes, dass die Untertanen das Bekenntnis ihres Herrn übernehmen müssen. Die geistesgeschichtliche Entwicklung nach der Französischen Revolution betrachtete dieses Konzept als antiquiert, und ausgerechnet unser Staat mit seiner so fortschrittlichen Tradition lässt diese historisch reaktionäre Doktrin wieder aufleben“,[3]  schrieben die Chodover mit einem erlesenen Sinn für Humor. Der Brief rief dann dazu auf, diesen Grundsatz aus der Verfassung zu streichen.

Die Stellungnahmen, Briefe und Petitionen aus dem Umfeld der EKBB-Gemeinden zeugen davon, dass die evangelische Kirche in der Lage war, sich rasch von den Repressionen der fünfziger Jahre zu erholen. Ihre Vitalität regenerierte sich bemerkenswert schnell. Nicht nur die Kirchenleitung, sondern auch die einzelnen Gemeinden, Seniorate und Pfarrer äußerten sich genau zu den brennenden Fragen im Hinblick auf die Existenz der Gläubigen in der Gesellschaft. Dass diese Vitalität die 50er Jahre überdauern konnte, hängt damit zusammen, dass die EKBB in der schlimmsten Zeit des kommunistischen Regimes, im Gegensatz zum Beispiel zur römisch-katholischen Kirche, nicht ihre theologischen Vordenker und ihre Führungselite verloren hatte. Die EKBB hielt sich eher an die Strategie, dem offenen Konflikt mit den kommunistischen Machthabern um den Preis einer gewissen Legitimierung des Regimes aus dem Weg zu gehen. Auf diese Weise überlebte sie die Zeit der brutalen Unterdrückung, ohne großen Schaden zu nehmen. Dadurch konnte sie sich schon am Beginn des Demokratisierungsprozesses im Jahr 1968 schnell wieder mobilisieren. Dann meldeten sich die Protestanten in der neuen Zeit des Prager Frühlings mit klarer Stimme zu Wort, um die Grundfreiheiten zu verteidigen.

Im Jahr 1968 nahm sich die EKBB aber auch selbst kritisch in den Blick und bekannte sich zu ihrer Verantwortung für die vergangene Ära seit 1948. Wiederholt veröffentlichte der Synodalrat Erklärungen, Briefe und Ähnliches, in denen er betonte, die Kirche habe nicht das moralische Recht, die Taten der Vertreter des Staates oder der Partei zu bewerten oder zu verurteilen, da sie selbst nicht frei von Schuld sei. Eine Schlüsselrolle spielt in diesem Zusammenhang das Wort „Deformationen“, die zum Missbrauch der Macht gegenüber Einzelnen und den Kirchen geführt hätten. Diesen Erklärungen zufolge war die Kirche mitverantwortlich, denn sie habe sich nicht ausreichend gegen die Unterdrückung der Menschenrechte und gegen Verfolgungen aus politischen Gründen zu Wort gemeldet.

Die erste derartige Erklärung der evangelischen Kirche als solcher erschien am 14. März 1968 in der kirchlichen Zeitschrift Český bratr. Darin heißt es: „Wir gestehen jedoch ein, dass auch wir nicht nur einmal dem Kleinmut, der Angst, der Gleichgültigkeit und dem Desinteresse an unseren Nächsten anheimgefallen sind, wenn ihnen Unrecht geschah, dass wir nicht konsequent für die Wahrheit, für Recht und Gerechtigkeit eingetreten sind, dass wir bequem waren und andere an unserer Stelle handeln ließen und ihnen die ganze Verantwortung für die Fehler und Deformationen, zu denen es gekommen war, zugeschoben haben.“

Die zweite Aufforderung zur Gewissenserforschung, zur Buße und Vergebung sandte der Synodalrat Anfang April als Ostergruß an die Gemeinden. Dieser Brief ist deshalb wichtig, weil er zu einer gemäßigten Haltung gegenüber denen aufruft, die gegebenenfalls einen größeren Teil der Verantwortung für das Unrecht in der Vergangenheit tragen, da auch die Kirche es nicht geschafft habe, der Angst zu trotzen. Gleichzeitig fordert er aber dazu auf, sich am aktuellen Demokratisierungsprozess und an der Neubelebung der Bürgergesellschaft zu beteiligen. Die Buße solle den Weg zum wahren Dienst am Nächsten und im öffentlichen Leben frei machen.

Auf den Seiten der kirchlichen Zeitschriften erschienen Artikel, die sich kritisch mit der früheren Haltung der Kirche gegenüber dem Regime auseinandersetzten. So verfasste beispielsweise Josef Smolík für die Zeitschrift Křesťanská revue eine Reihe von Artikeln dieser Art. Vor August 1968 schrieb er über die Buße, die zur Vermeidung von Unrecht und Machtmissbrauch führen soll. Auch im Jahr 1969 kam er mehrfach auf die Notwendigkeit zurück, eine Art Revision der theologischen Standpunkte vorzunehmen. „Warum haben wir uns nach dem Jahr fünfzig so lange nicht zu Wort gemeldet? Warum hat es uns beunruhigt, als sich die ,Neue Orientierung‘ zu Wort meldete? Diese Fragen beleuchten unsere theologische Situation aus einer anderen Perspektive. Es muss eine gründliche Revision unserer Theologie in den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren vorgenommen werden.“[4]

Der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes

Der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes am 21. August 1968 rief unter den tschechischen Protestanten zahlreiche Reaktionen hervor. Die vermutlich erste veröffentlichte der Synodalrat noch am Nachmittag desselben Tages. Darin zeichnen sich die Argumente ab, die dann in unterschiedlicher Form auch in anderen Erklärungen laut wurden. Zunächst wird die Solidarität der Kirche mit dem Volk und den legitimen politischen Repräsentanten betont. „Wir sind tief erschüttert und haben das starke Bedürfnis, in dieser schweren Stunde mit Ihnen allen in unseren Gemeinden auf das Engste verbunden zu sein. Wir haben uns gern zu den Erneuerungsbestrebungen unseres Volkes unter Führung des Präsidenten Ludvík Svoboda, des Ministerpräsidenten Oldřich Černík und des ersten Sekretärs der KSČ Alexander Dubček bekannt.“[5] Zum Zweiten werden die Nationalgeschichte und die nationalen Traditionen in den Vordergrund gerückt, um so den Erneuerungsprozess des Jahres 1968 zu begründen und zu legitimieren und die Reaktionen auf die Intervention der Truppen des Warschauer Paktes in die richtige Richtung zu lenken. Am 21. August 1968 schreibt der Synodalrat gleich zweimal: „In diesen Bemühungen [Erneuerungsprozess] sehen wir die Fortsetzung unserer besten nationalen und religiösen Traditionen.“ Und ein Stück weiter: „Lasst uns bitten, dass wir in Freiheit und Frieden als Christen die Wahrheit des Evangeliums bekennen und als Bürger unseres Staates denken, sprechen und arbeiten dürfen. Es leite und verbinde uns alle das feste Vertrauen unserer hussitischen und brüderischen Väter, dass die Wahrheit des Herrn siegen wird!“ Dennoch sollen die Protestanten in dieser unsicheren Lage auch aus anderen Quellen Kraft und Inspiration schöpfen: „Wir rufen heute diejenigen unter unseren Brüdern in der Welt ins Gedächtnis, die aus den schwierigsten Situationen im gewaltlosen Widerstand einen Ausweg suchten.“ Zum Dritten wurde dazu aufgerufen, den Reform- und Demokratisierungsprozess weiterzuführen. „Wir teilen nun mit unserem Volk alle seine Nöte und Hoffnungen. Wir fordern euch, die Brüder und Schwestern in unseren Gemeinden, dazu auf, dem eingeschlagenen Weg treu zu bleiben und euch als Diener der Gerechtigkeit, der Menschlichkeit und Freiheit zu bewähren.“[6] 

Die Zeitschrift Kostnické jiskry erschien am 26. August 1968 in einer Notauflage als hektographiertes Pamphlet. Es wurde dazu aufgerufen, „in der Wahrheit zu stehen und weiter um die Freiheit zu ringen.“ Gleichzeitig wurde aber gewarnt, es habe in der Geschichte Momente gegeben, in denen „die Tschechen imstande waren, die Wahrheit zu verleugnen und die Freiheit zu verkaufen.“ In einer kurzen Betrachtung wurde zurückgewiesen, dass der 21. August 1968 eine Wiederholung der Niederlage am Weißen Berg gewesen sei. Gerade die Solidarität, der Zusammenhalt und die Einheit in den ersten Tagen nach dem Einmarsch hätten gezeigt, dass es keine Niederlage gewesen sei. Es meldet sich eine Art evangelischer Nationalismus zu Wort: „Die überraschende Einheit unseres Volkes zeugt davon, dass die Ideale der Wahrheit und der Gerechtigkeit, die im tschechischen Volk durch die hussitische Revolution und die Brüderunität etabliert wurden, wieder dem ganzen Volk zu eigen sind. Diese Einheit und das erwachte Unrechtsempfinden garantieren zusammen mit Besonnenheit und Ruhe den Sieg auf unserem Weg zu Freiheit und Gerechtigkeit.“ [7]

Am 28. August versandte der Synodalrat einen weiteren Brief, der nüchterner war. Die Unterstützung für die führenden Akteure war um nichts geringer, aber der Schwerpunkt lag vor allem auf der theologischen Argumentation. Der Synodalrat wiederholte die Forderung, die Truppen sollten abziehen und die Reformen fortgeführt werden, wobei die Protestanten behilflich sein könnten, „indem ihr in vertrauensvoller Besinnung auf Christus und sein Evangelium, in besonnener Weisheit weder dem Kleinmut noch dem Zorn verfallt und euch für Gerechtigkeit, Frieden und Freude in allen Beziehungen des Lebens einsetzt.“[8]

Am selben Tag veröffentlichten auch die evangelischen Pfarrer, die sich bei einer Konferenz in Prag befanden, eine Erklärung. Der Text war etwas länger und weniger klar in seiner Aussage als die Briefe des Synodalrats. Die nationale Geschichte wird darin nicht erwähnt, aber die Solidarität Christi mit den Unterdrückten wird mit dem Widerstand gegen den Einmarsch in Verbindung gebracht. Nach einer Einleitung, in der sie den Kommunisten ihren Dank für den Protest gegen den Einmarsch aussprachen („Wir danken euch, Genossen!“), konstatierte die Erklärung, die Tschechen und Slowaken hätten in den vergangenen Tagen die Freiheit und Wahrheit verteidigt. Es wird dazu aufgefordert, konsequent auf der vollen Freiheit des Wortes zu beharren, ansonsten drohten Resignation und schließlich politische Repressionen. „Lassen wir uns nicht von dem Gedanken der Selbsterhaltung und der anpassungswilligen Resignation bestimmen. Erinnern wir uns an die Worte Jesu Christi: ,Wer seine Seele zu erhalten sucht, der wird sie verlieren ...‘ Christus war immer auf der Seite der Unterdrückten, Betrogenen, Belogenen und Wehrlosen. Wir möchten den Weg eines hartnäckigen, gewaltfreien Widerstands gegen Lüge und Rechtlosigkeit gehen. Das ist der Weg der wahrhaftigen öffentlichen Meinungsäußerung, die direkt ins Zentrum der politischen

Probleme unserer Zeit zielt. Es ist unsere Pflicht, in dieser Sache Christus nachzufolgen.“[9]

In den nächsten Wochen und Monaten folgten weitere Erklärungen, meist zu konkreten Anlässen, z. B. beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen der EKBB, der am 1. Dezember 1968 stattfand. Anfang Januar 1969 trafen sich die Vertreter der Konstanzer Unität (Konstnická jednota), die zu Einheit und Offenheit aufriefen. Den Höhepunkt dieser Kette von Erklärungen und Stellungnahmen bildete eine „Botschaft an die Öffentlichkeit“, die von der im Februar 1969 stattfindenden Synode der EKBB veröffentlicht wurde. Der Text, bekannt unter dem Titel „Die Synode ihrem Volk“, ist eine bemerkenswerte Analyse der Situation nach den ersten Umbesetzungen in hohen politischen Ämtern und der Selbstverbrennung Jan Palachs. Protestiert wird vor allem gegen die Verbreitung von Halbwahrheiten, die das Wesen der Geschehnisse verschleiern und die Bürger davon abhalten sollen, sich für die Situation zu interessieren. „Erschütternd ist, dass das, was die einen für Rechtlosigkeit und Unrecht halten, von einigen als Bruderhilfe bezeichnet wird.“[10]  Welches Gewicht diese Botschaft der Synode hatte, die unverzüglich als Telegramm an den Ministerpräsidenten der tschechischen Regierung geschickt wurde, zeigt unter anderem die Tatsache, dass das Originaltelegramm im Archiv des Sekretariats für Kirchenfragen erhalten geblieben ist.[11]

Die „Normalisierung“ beginnt

Ungefähr bis zur Mitte des Jahres 1969 waren die Beziehungen zwischen der Kirche und der obersten Leitung des Sekretariats für Kirchenfragen relativ korrekt. Bis zum Frühjahr 1969 leitete Erika Kadlecová, die während des Prager Frühlings versucht hatte, die Position der Kirchen in der ČSSR zu verbessern, das Sekretariat. Die Leitung der EKBB hatte relativ gute Beziehungen zu Dr. Kadlecová, die sich auch an einem der großen Projekte einiger führender Theologen der EKBB beteiligte – am Dialog zwischen Christen und Marxisten. Die Situation auf anderen Ebenen war komplizierter, denn in den für die Kirchen zuständigen Behörden auf Bezirks- und Kreisniveau saßen in der Regel noch die alten Kader am Steuer. Diese gerieten häufig in die Defensive und stellten sich sicherheitshalber tot.

Im Juli 1969 kehrte mit Karel Hrůza die alte Leitung zurück, womit im Leben der Kirchen in der Tschechoslowakei eine neue Phase begann. Hrůzas Behörde hatte zum Ziel, die Reformen von 1968 zu annullieren oder nicht umzusetzen und zu erreichen, dass sich die Kirchen wieder so verhielten wie vor 1968 – dass sie also in Zukunft von öffentlichen Aktivitäten und Erklärungen Abstand nahmen. Diese neue Praxis kam aber nicht so schnell in Gang, wie sich das Direktor Hrůza wünschte. Bis Ende 1969 musste er sich mit den internen Verhältnissen im Sekretariat für Kirchenfragen befassen, um seine Linie erfolgreich durchsetzen zu können. So blieben die Kirchen während des Jahres 1969 von großen Veränderungen verschont. Außerdem musste Hrůzas Sekretariat nun eine neue Strategie erarbeiten, die in einem Dokument vom Mai 1970 zu finden ist. Darin wird die EKBB als die gefährlichste Kirche der ČSR im Hinblick auf den Normalisierungskurs bezeichnet, denn sie habe die „deutlichsten Standpunkte“ eingenommen und ihre Mitglieder hätten sich an parteifeindlichen Initiativen wie dem Club engagierter Parteiloser (KAN) und der Gesellschaft für Menschenrechte (Společnost pro lidská práva) beteiligt. Deshalb musste die EKBB „zum Gegenstand einer gründlicheren staatlichen Aufsicht werden“ – d. h. einer erheblich gründlicheren als die anderen nichtkatholischen Kirchen. [12]

Karel Hrůza sollte später noch große Erfolge gegenüber der EKBB feiern, aber Anfang 1970 sah es zunächst nicht danach aus. Das Sekretariat für Kirchenfragen kam allmählich wieder in Schwung, es legte seine defensive Haltung ab und suchte in seiner neu gewonnenen Sicherheit nach Wegen, wie es seine Position verteidigen konnte. Die erste Gelegenheit zur Konfrontation mit einigen Organen der EKBB bot sich gleich im Januar jenes Jahres. Es ging dabei um den Gottesdienst in der Kirche St. Martin in der Mauer am Sonntag, dem 18. Januar, bei dem auf Einladung der Studierenden der Theologischen Fakultät Pfarrer Jaromír Dus aus dem Prager Stadtteil Vršovice predigte. Thema des Gottesdienstes war das Opfer, was mit der Selbstverbrennung Jan Palachs ein Jahr zuvor im Zusammenhang stand.

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Predigt bei Palachs Beerdigung am 25. Januar 1969 Jakub Trojan hielt, der damals Pfarrer in Neratovice war. Die Predigt, die danach in der Zeitschrift Křesťanská revue unter dem Titel „Selig sind, die reinen Herzens sind“ erschienen war, hatte Palachs Tat mit dem biblischen Sinn des Opfers in Verbindung gebracht, das die anderen retten und befreien soll. In dieser Hinsicht war Palach laut Trojan ein Märtyrer in frühchristlicher Tradition. „In diesem zynischen Jahrhundert, in dem uns die anderen oft Angst einflößen und wir wiederum ihnen und in dem wir oft erschrecken, wie klein wir doch innerlich sind – brachte er uns dazu, Fragen zu stellen, die große Menschen aus uns machen können: Was habe ich für andere getan, habe ich ein gutes Herz, wonach strebe ich, wofür trete ich ein, was hat für mich im Leben den höchsten Stellenwert? Nach dem Tod Jan Palachs wird es für uns alle etwas schwieriger sein, gegenüber diesem Appell gleichgültig zu bleiben, und es wird nahezu unmöglich sein, zur normalen Tagesordnung zurückzukehren.“[13]

Ein Jahr später gestaltete Jaromír Dus einen völlig untraditionellen Gottesdienst in der Kirche St. Martin in der Mauer, bei dem verschiedene biblische Texte, Betrachtungen, Lesungen aus den Schriften von Jan Hus, Gesänge und Orgelimprovisationen einander abwechselten und ineinander übergingen. Bezeichnend ist, dass während des gesamten Gottesdienstes der Name Jan Palach nicht erwähnt wurde, obwohl klar war, dass es sich um einen Gedenkgottesdienst für ihn handelte.

Die staatlichen Behörden erfuhren schon bald von diesem Ereignis und begannen zu handeln. Der Prager Sekretär für Kirchenfragen lud Pfarrer Dus zum Gespräch vor und verlangte von ihm eine schriftliche Erklärung zu diesem Vorfall. In seinem zweiseitigen Brief bestreitet Dus nicht, dass der Kontext des betreffenden Gottesdienstes die Selbstverbrennung Jan Palachs war, aber es sei keine politische Protestaktion gewesen. Das Sekretariat für Kirchenfragen sprach dann auch mit der Fakultätsleitung, die sowohl Pfarrer Dus als auch die Studierenden klar und ruhig verteidigte. Interessant ist vor allem der Grundton dieser Korrespondenz: An St. Martin in der Mauer hatte etwas zutiefst Theologisches stattgefunden, was gegenüber den staatlichen Behörden keiner Rechtfertigung oder Entschuldigung bedurfte. Aus den Briefen der Beteiligten vonseiten der EKBB spricht keine Angst, sondern ein gesundes Selbstbewusstsein. Dem Sekretariat für Kirchenfragen fehlte zu diesem Zeitpunkt die Entschlossenheit. Seine allmählich wiederkehrenden Kräfte reichten noch nicht für eine große Konfrontation aus, vorerst wollte es nur zeigen, dass es die Dinge wieder sorgfältig beobachtete und kontrollierte. Dass es keine Konsequenzen zog, wurde aber schon bald zur Ausnahme.

Im Laufe des Jahres 1970 erhöhte das Sekretariat für Kirchenfragen den Druck auf die Kirchen und kirchlichen Organisationen, ihre Unterstützung für den Normalisierungskurs des Husák-Regimes zu bekunden und sich gegebenenfalls von den Erklärungen und Verlautbarungen aus den „Krisenjahren“ 1968–1969 zu distanzieren. Zudem wurden regelmäßige Zusammenkünfte mit der Kirchenleitung und den Redaktionen der Zeitschriften organisiert, bei denen die betreffenden Personen auf Widersprüche, Mängel oder auch Vergehen gegen die neue Parteilinie der KSČ aufmerksam gemacht wurden. Ähnliche Gespräche fanden auch in den darauffolgenden Jahren statt. Zu diesen Unterredungen sind Protokolle und Einschätzungen vorhanden – einzigartige Belege für die Taktik der staatlichen Behörden und die Bemühungen der kirchlichen Vertreter, eine erfolgreiche Antwort auf den zunehmenden Druck zu finden.

Eine solche eher knappe Einschätzung der Situation im kirchlichen Bereich ist auf den 15. Mai 1970 datiert und war für das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei bestimmt. Darin ist über die nichtkatholischen Kirchen Folgendes zu lesen: „Bei der politischen Entwicklung in den protestantischen Kirchen ist in den vergangenen drei Monaten keine Veränderung zu verzeichnen. Die Leitungsgremien der protestantischen Kirchen vertreten nach wie vor reaktionäre Positionen, auch wenn sie das nicht öffentlich proklamieren. Vor allem die stärkste tschechische nichtkatholische Kirche – die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder. Die Repräsentanten dieser Kirche halten ihre Geistlichen nach wie vor dazu an, der Gegenwart politischen Widerstand entgegenzusetzen. Eine insgesamt befriedigende politische Entwicklung kann man in der letzten Zeit bei der Tschechoslowakischen Kirche beobachten. Die leitenden Organe dieser Kirche und die Geistlichen versuchen, Widersprüche zu vermeiden, und es gibt bereits Fälle, in denen die Geistlichen dieser Kirche die Gläubigen zu einer positiven Kooperation und zur Mitarbeit am Aufbau anhalten. Die kleinen protestantischen Kirchen entwickeln weder positive noch negative politische Aktivitäten, sie richten das Augenmerk der Gläubigen eher auf die Vertiefung ihres religiösen Lebens.“ [14]

Um staatlicherseits die Notwendigkeit einer positiven Haltung der Kirchen zum politischen Prozess nach 1969 zu betonen, lud der Kulturminister der ČSR Brůžek die führenden Vertreter aller religiösen Vereinigungen zu Gesprächen ein, die allesamt im August 1970 stattfanden. Der Synodalrat war am 11. August an der Reihe. Die Äußerungen im Bericht zu dieser Sitzung sind relativ positiv: „Insgesamt kann man konstatieren, dass die Gespräche mit den Vertretern der römisch-katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder zu positiven Ergebnissen führten und dass dem Minister, Dr. Brůžek, von den führenden Vertretern dieser beiden Kirchen zugesagt wurde, Verständnis zu zeigen und ihre Kirchen so zu leiten, dass der Konsolidierungsprozess im Staat nicht gestört wird.“ Dennoch kommt der Bericht zu dem Schluss, dass vonseiten der EKBB beispielsweise die „Durchsetzung der Besetzung verschiedener leitender Funktionen in der Kirche mit ‚reaktionären‘ Geistlichen“  zu erwarten sei. Die staatlichen Behörden waren sich des Gehorsams der EKBB also nicht ganz sicher.

Diese mehr oder weniger ambivalente Einschätzung der EKBB findet sich auch im Bericht über die Kirchen, den das Zentralkomitee der KSČ Ende Oktober 1970 verfasste. Darin wird die Zusage des Synodalseniors V. Kejř beim Gespräch mit dem Kulturminister wiederholt, „dass seine Kirche die Konsolidierungsbemühungen der Regierung unterstützen wird“. Im Bericht wird allerdings auch angemerkt, dass diese Haltung in der EKBB nicht allgemein geteilt wird. „Gegenwärtig ist dies Grund für einen Zwiespalt zwischen der Kirchenleitung und dem Verband der Geistlichen der EKBB (SČED), der in den Jahren 1968–1969 zum Sprachrohr der reaktionären Elemente in der Kirche geworden war und heute an seiner Linie festhalten will. Das Sekretariat für Kirchenfragen übergab dem Innenministerium eine Beurteilung des SČED für die Jahre 1968–1969 mit dem Fazit, dass diese Organisation aufgelöst werden sollte.“  Dies geschah dann auch tatsächlich im Jahr 1974.

Das Archiv des Sekretariats für Kirchenfragen enthält auch Aufzeichnungen zu einem Gespräch mit Pavel Šimek, dem Synodalkurator der EKBB (1959–1971). Es fand am 8. Mai 1970 statt, also drei Monate vor dem Gespräch des Synodalrats mit dem Kulturminister. Anlass für das Treffen war, dass Auslandsreisen für Kirchenfunktionäre 1970 stark eingeschränkt wurden. Der für die EKBB zuständige Referent des Sekretariats für Kirchenfragen, Zdeněk Mixa, machte Šimek als Kurator für alle „reaktionären“ Aktivitäten der Kirche mitverantwortlich und griff ihn scharf an. „Sein Auftreten und Handeln in den Jahren 1968–1969 war in zahlreichen Fällen nicht richtig und erschwert in erheblichem Maße auch gegenwärtig ernstlich die Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Staat und der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder.“ Die Aufzeichnungen enthalten eine umfangreiche Beschreibung der Aktivitäten der EKBB, die „eine grundlegende Veränderung unserer gesellschaftlichen Ordnung“ zum Ziel hatten. Dazu zählen verschiedene Äußerungen und Geschehnisse aus dem Jahr 1968, die Erklärung der XVI. Synode „Die Synode ihrem Volk“, die „Hysterie“ rund um die Selbstverbrennung Jan Palachs, die Beteiligung von Theologiestudenten an der Demonstration gegen den Einmarsch am 21. 8. 1969, die Artikel in der kirchlichen Presse, die Tätigkeit des SČED, der Gottesdienst in der Kirche St. Martin in der Mauer im Januar 1970 und die Verurteilung des Pfarrers Ctirad Novák für die Beförderung „fehlerhafter Materialien“ (Flugblätter und Reden aus den Jahren 1968–1969) ins Ausland.

Nach dieser langen Tirade gegen die EKBB wurde Šimek aufgefordert, sich zu dieser Kritik zu äußern. Referent Mixa gibt in diesem Teil seiner Aufzeichnungen zum Gespräch an, Kurator Šimek habe gereizt reagiert. Er habe zwar anerkannt, dass es notwendig sei, die Beziehungen zwischen der EKBB und den staatlichen Behörden zu verbessern, aber er habe das Problem hauptsächlich aufseiten des Sekretariats für Kirchenfragen gesehen, das seiner Meinung nach zur Kirchenpolitik der 50er Jahre zurückkehren wolle. Das Sekretariat für Kirchenfragen habe das Vertrauen in Pavel Šimek verloren, der deshalb aus dem Synodalrat ausscheiden sollte. Dies geschah im darauffolgenden Jahr bei der XVII. Synode, die dennoch zu den positiven Momenten der EKBB in der Zeit nach 1968 gehört, ebenso wie das Verhalten Pavel Šimeks in der Konfrontation mit der Macht des Regimes.

Dass das Sekretariat für Kirchenfragen 1971 eine sehr offensive Strategie gewählt hatte, spiegelt sich auch in den Archivmaterialien wider. In den Archiven sind Aufzeichnungen zu den Gesprächen zu finden, die mindestens einmal monatlich stattfanden, die Ferien eingeschlossen. Die Materialien aus dem Kirchenarchiv sind etwas detaillierter und zeugen von den zunehmenden Befürchtungen in Bezug auf die nahe Zukunft der Kirche. Es ist klar, dass die Mitglieder des Synodalrats 1971 in dieser Hinsicht nicht zu beneiden waren. Jedes Mal wurden ihnen dieselben Vorhaltungen gemacht: dass das Verhalten der Kirche nicht den Vorstellungen des Staates entspreche, dass die Zustände in der EKBB unhaltbar seien und dass der Synodalrat unverzüglich handeln müsse. Die Liste der geforderten Maßnahmen wurde immer länger: Das Sekretariat für Kirchenfragen verlangte von der Kirche eine Erklärung zur politischen Situation, einen Wahlaufruf und die Vertagung der XVII. Synode, die im Oktober 1971 stattfinden sollte. Es kam auch zu den ersten repressiven Maßnahmen vonseiten des Staates. So wollte der Staat der Wahl einiger Pfarrer in das Amt des Seniors nicht zustimmen. Ab dem Frühjahr 1971 machte der Staat Reisen von Kirchenvertretern ins Ausland (einschließlich DDR) praktisch unmöglich, was einen empfindlichen Eingriff in die Arbeit der Kirchenleitung darstellte. Bei der Instruktion im Mai 1971 wurde dann vonseiten des Staates erklärt, wie die ökumenischen Beziehungen zum Ausland zu pflegen seien: „Mit den Auslandskontakten dürfen nur loyale Personen betraut werden, die bereit sind, die Grundsätze unserer Außenpolitik zu vertreten. Nicht gestattet werden Kontakte dann, wenn es in dem betreffenden Fall oder Land unweigerlich zu Kontakten mit Emigranten kommen würde, also dort, wo sich in größerem Umfang Emigranten betätigen.“

Die staatlichen Behörden begannen auch, die Publikationstätigkeit der EKBB einzuschränken. Im Februar 1971 beschwerte sich der Synodalrat, dass er im vorangegangenen Jahr nur vier Publikationen veröffentlichen konnte, den Evangelischen Kalender (Evangelický kalendář) und Für jeden Tag (Na každý den) eingeschlossen. Der Vertreter des Zentralen Kirchenverlags (einer Abteilung des Sekretariats für Kirchenfragen, die für die Regulierung der Editionstätigkeit der Kirchen zuständig war) schob Papiermangel und andere technische Gründe vor, aber die Situation änderte sich auch in der Folgezeit nicht. Diese Einschränkungen wirkten sich sehr schmerzhaft auf die Aktivitäten beider Gruppen der Ökumenischen Bibelübersetzung aus, deren Teilergebnisse in den vorangegangenen Jahren nach und nach veröffentlicht worden waren. Deshalb schrieb der Vorsitzende der alttestamentlichen Kommission, Prof. Miloš Bič, Ende 1972 in einem verzweifelten Brief an den Synodalrat, man werde unter diesen Umständen niemals in der Lage sein, die Übersetzung abzuschließen und herauszugeben.

Im Rahmen seiner „Konsolidierungsbemühungen“ nahm das Sekretariat für Kirchenfragen auch die kirchliche Presse ins Visier. Es lud die Redaktionen der kirchlichen Zeitschriften zu mehreren Gesprächen vor, bei denen ihnen die Erwartungen vonseiten des Staates dargelegt wurden. Bei der entscheidenden Sitzung mit den Vertretern der kirchlichen Presse (Zeitschriften Bratrstvo, Český bratr, Kostnické jiskry, Křesťanská revue und Communio viatorum), die am 29. Juni 1971 stattfand, wurde darauf aufmerksam gemacht, „dass ihr Inhalt derzeit nicht den vom XIV. Parteitag umrissenen Ergebnissen entspricht“. Den Aufzeichnungen zufolge verwahrten sich die staatlichen Behörden entschieden gegen „Allegorien“, die in der Presse regelmäßig zu finden waren. So bezog sich beispielsweise der Artikel über das Küssen im Urchristentum den überempfindlichen Staatsbeamten zufolge in Wirklichkeit auf das Begrüßungsritual zwischen den Genossen Husák und Breschnew. Die Zensurbehörde habe bereits mehrmals Publikationen in der Zeitschrift Kostnické jiskry gestoppt und der Zeitschrift Český bratr sei eine Geldstrafe in Höhe von 10 000 CZK auferlegt worden. 

Das Sekretariat für Kirchenfragen hatte sich auf die Sitzung vom 29. Juni sorgfältig vorbereitet. In einem kurzen internen Dokument beschreibt es seine Strategie und schlägt konkrete Lösungen vor, wobei die Spanne vom Austausch der Redaktionen bis hin zum Verbot bestimmter Zeitschriften (Bratrstvo, Kostnické jiskry) reichte. Trotz einiger Veränderungen blieb die Unzufriedenheit vonseiten des Sekretariats für Kirchenfragen mit einigen Zeitschriften bestehen. Im Jahr 1972 wurde das Erscheinen der Zeitschrift Bratrstvo eingestellt und für kurze Zeit auch die Zeitschrift Český bratr gestoppt. Deren Redaktionsbeirat wurde schließlich auf Druck des SFK 1975 ausgetauscht.

Trotz des sehr gezielten Drucks erreichte der Staat 1971 nicht das, was er sich vorgenommen hatte. Laut den Aufzeichnungen des SFK hatten die höchsten Kirchenvertreter zwar zugesagt, die „Konsolidierungslinie“ in der EKBB durchzusetzen, die XVII. Synode jenes Jahres nahm aber einen deutlich anderen Verlauf, als vom SFK gewünscht. Sie veröffentlichte gleich zwei Dokumente, die nicht gerade von der Abkehr vom Kurs des Jahres 1968 zeugten. An die Regierung und den Präsidenten schickte sie einen Brief mit der Forderung, die Strafverfolgung derer einzustellen, die dem Regime zufolge in den Jahren 1968–1969 nicht die richtige politische Einstellung hatten (der Synodalrat schickte diese Briefe übrigens erst im Dezember, d.

h. nach den Wahlen der Volksvertretungsorgane ab, um einen allzu großen Konflikt zu vermeiden). Den zweiten, umfangreicheren Brief schickte die Synode an das SFK. Er enthält eine Analyse der diskriminierenden Maßnahmen, die, so das Schreiben, im Blick auf die Vergangenheit und den Standpunkt der EKBB untragbar seien. „Wir würden uns sehr wünschen, dass unser christlicher Dienst nicht als politische Aktivität im engeren Sinne des Wortes oder gar als Beeinträchtigung der politischen Einheit unseres Volkes betrachtet wird. Ebenso würden wir es sehr begrüßen, wenn die staatlichen Behörden anerkennen, dass die Absicht, das Wirken der Kirche gegen Ende des XX. Jahrhunderts auf den Kirchen- bzw. Gottesdienstraum zu beschränken, ein völlig anachronistisches Ansinnen ist.“

Dieser Brief ist für lange Zeit der letzte offizielle Beleg, der vom Geist der Freiheit und des Mutes in der Kirche zeugt und von dem Willen, ihn öffentlich zu verteidigen. Als Reaktion darauf verschärfte das Regime noch weiter seinen Kurs und trieb die Kirchenleitung in die Enge.

Der Wendepunkt

Am Vormittag des 26. Januar 1972 fand eine Verhandlung zwischen dem Synodalrat der EKBB und dem Sekretariat für Kirchenfragen der Regierung der ČSSR im Regierungspräsidium statt. Alle Mitglieder des Synodalrats, einige von ihnen bei der Synode vor Kurzem neu gewählt, und der Vorsitzende der Synode waren zu einem Gespräch eingeladen worden, das sich für die Ausrichtung der Kirche nach 1968 als entscheidend erweisen sollte. Von der Bedeutung des Treffens zeugt auch, dass im Zentralarchiv der EKBB insgesamt drei Dokumente dazu erhalten sind: eines mit den Aufzeichnungen von František Škarvan, die er unmittelbar nach dem Gespräch niederschrieb; ein zweites, kurzes Dokument, das nur die wichtigsten Ergebnisse der Verhandlungen zusammenfasst (ebenfalls von František Škarvan); und ein drittes umfangreicheres, das Miloš Lešikar einige Tage nach dem Treffen verfasste. Außerdem sind im Archiv Anmerkungen des Synodalseniors Václav Kejř zu finden, in denen die Argumentationslinie skizziert wird, an die er sich bei der Konfrontation mit der höchsten Leitung des Sekretariats für Kirchenfragen halten wollte.

Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung, dass 1971 der Druck vonseiten des Staates auf die Kirchenleitung erheblich gestiegen war. Die Mitglieder des Synodalrats hatten immer wieder zu hören bekommen, dass sich die EKBB nicht den neuen Verhältnissen anpasse. Sie hatten wiederholt zugesagt, dass sich die Kirche zur Konsolidierungspolitik des Regimes bekenne, aber die XVII. Synode hatte gezeigt, dass diejenigen, die sich den staatlichen Organen fügen wollten, in der Kirche in der Minderheit waren. Die Briefe der Synode an das Kulturministerium und den Präsidenten der Republik waren höchstwahrscheinlich das sprichwörtliche rote Tuch für das SFK, das beschloss, diesmal entschieden durchzugreifen.

Im Hintergrund schwelte zudem die Wahlflugblattaffäre vom November 1971. Die Wahl der Volksvertreter fand Ende November 1971 statt. Das Regime zielte vor allem darauf ab, durch die Wahlen die politische Entwicklung nach 1969 zu legitimieren, d. h. die Wahlen sollten den Anschein erwecken, alle seien mit der einsetzenden „Normalisierung“ einverstanden. Deshalb verlangte das Regime auch von den Kirchen, Erklärungen zu den Wahlen zu veröffentlichen und alle im Geiste der Einheit an die Urnen zu rufen. Auch die EKBB publizierte einen solchen Text.

Trotz dieses Drucks fanden mehrere Personen den Mut, ein Wahlflugblatt mit dem Hinweis zu verbreiten, dass keine verfassungsmäßige und gesetzliche Wahlpflicht bestehe. Unter den Initiatoren dieser Aktion war auch Pfarrer Jaromír Dus. Die Staatssicherheit erfuhr allerdings von der Angelegenheit und fand nach intensiver Suche die Flugblätter in der Wohnung von Ladislav Hejdánek. Dieser hatte sich ursprünglich in dieser Sache gar nicht engagiert, wurde aber, nachdem die Flugblätter gefunden worden waren, zusammen mit Dus und den anderen Beschuldigten wegen staatsfeindlicher Aktivitäten angeklagt. Dus wurde schließlich zu 15 Monaten, Hejdánek zu neun Monaten Gefängnis verurteilt.

Das erste Gespräch zwischen einem Vertreter der EKBB und dem SFK im Jahr 1972 fand am 19. Januar statt. Dabei versuchte Synodalsenior Kejř beim SFK die Entwicklung innerhalb der EKBB zu rechtfertigen. Er gab zu, dass der „Konsolidierungsprozess“ nur langsam in Gang komme, aber er versicherte dem SFK, dass sich die Dinge in die richtige Richtung entwickelten. Das SFK war da anderer Ansicht, was am 26. Januar deutlich erkennbar wurde. Zwei kürzeren Gesprächsnotizen zufolge drohte der Direktor der höchsten Abteilung des SFK, Karel Hrůza, dass die staatlichen Behörden hart durchgreifen würden, wenn die Kirchenleitung weiter untätig bliebe und der unguten Entwicklung in der EKBB keinen Riegel vorschiebe. Dann werde die gegenwärtige Leitung abgesetzt und die Kirche somit direkt den staatlichen Organen unterstellt. Synodalkurator Škarvan merkte dazu an, dies sei die „letzte Warnung“ gewesen. In einem ausführlicheren Gesprächsprotokoll wird dies nicht erwähnt, aber es ist klar, dass der Synodalrat in Panik geriet angesichts der unabsehbaren Folgen, die es haben würde, wenn er nicht auf die Forderungen des SFK einginge. Das SFK verlangte insbesondere, dass der Synodalrat einen Brief an die Gemeinden schickte. Darin sollte stehen, dass die Linie, an die sich die EKBB bis zur letzten Synode gehalten hatte, nicht richtig war. Bevor der Brief an die Gemeinden abgeschickt wurde, sollte er noch vom SFK genehmigt werden.

Zwei Wochen später war der Brief fertig. Er wurde mit dem Datum 11. Februar versendet und symbolisiert einen grundlegenden Wendepunkt und in gewissem Maße auch die Resignation der Kirchenleitung unter dem Druck des Regimes. Im Brief wird die Unzufriedenheit der staatlichen Organe mit der EKBB als Grund für dieses Schreiben erwähnt. Weiter heißt es: „Brüder und Schwestern, wir bitten Euch, denkt ernsthaft über diese Situation nach und bemüht Euch darum, die Beziehungen überall dort zu verbessern, wo sie gestört sind. (...) Gleichzeitig solltet Ihr stärker von den positiven Seiten der heutigen Bemühungen um den sozialistischen Aufbau in unserem Land Notiz nehmen und die Sorge um den Menschen und um die Zukunft unserer gesamten Gesellschaft positiv würdigen.“ Danach zieht der Brief die Erklärungen und Standpunkte der EKBB aus den Jahren 1968– 1969 in Zweifel. Zu Dus und Hejdánek und dem Vorfall mit den Wahlflugblättern wird Folgendes gesagt: „Wir bedauern, dass es zu Fällen gekommen ist, in denen Mitglieder unserer Kirche mit den geltenden Gesetzen in Konflikt gerieten.“  Die Kirchenleitung distanzierte sich also von ihrem Verhalten, obwohl es sich klar im gesetzlichen Rahmen bewegte.

Dass der Synodalrat damit im Grunde seine eigenen Standpunkte aufgab, zeigt ein Brief des Synodalrats an den Direktor des SFK der Regierung der ČSSR, Karel Hrůza, sehr deutlich, den dieser gemeinsam mit dem Brief des Synodalrats an die Gemeinden erhielt. Darin heißt es: „In keinem Regierungsressort gibt es jemanden, der über den geschichtlichen Weg der Kirche, ihre Stellung im Staat und ihren vielseitigen Dienst in der Gegenwart so gut informiert ist wie Sie.“  Der Mann, der die Kirchenleitung unter Drohungen dazu gezwungen hatte, von ihren Standpunkten abzurücken, wurde nun als großer Kenner der evangelischen Kirche gewürdigt.

Der Synodalrat geriet 1972 in Panik, dass die Existenz der Kirche bedroht sei, sollte es nicht zu einer Kehrtwende kommen. Deshalb begann er, daran zu arbeiten, dass die nächste Synode nach den Vorstellungen der staatlichen Behörden ablief. In diesem Zusammenhang schrieb Božena Komárková im Sommer 1972 an Václav Kejř: „Glauben wir denn überhaupt daran, dass Gott selbst es ist, der die Kirche bewahrt, und dass unsere Aufgabe lediglich darin besteht, seiner Wahrheit treu zu dienen, oder haben wir das Gefühl, die Kirche selbst retten zu müssen und das nur mit Opportunismus erreichen zu können, der sie auf die Ebene der Halbwahrheiten führt, von denen in der Erklärung der XVI. Synode die Rede ist? (…) Schon der Brief vom 11. Februar war allein durch äußeren Druck motiviert, er war also politisch im schlimmsten Sinne des Wortes und entsprach nicht dem prophetischen Dienst, der ja eigentlich Inhalt eines Hirtenbriefes sein sollte.“ 

Infolge dieser Kehrtwendung der Kirchenleitung begann im Januar und Februar 1972 innerhalb der EKBB ein Prozess der Spaltung zwischen denen, die dem Konflikt mit dem Regime aus dem Weg gehen wollten, und denen, die sich eine Kirche wünschten, die sich aktiv und kritisch zu den politischen Ereignissen im Land äußerte.

Eine kurze Darstellung der konformistischen Theologie

Die erste Hälfte des Jahres 1973 verlief für die EKBB relativ unproblematisch. Bei den Gesprächen mit den staatlichen Behörden traten keine so großen Widersprüche zutage wie im vorangegangenen Jahr, als sie offen damit gedroht hatten, rigoros in das kirchliche Geschehen einzugreifen. Es schien, als ließe der Druck vonseiten der staatlichen Organe nach und als habe die Kirche das Schlimmste hinter sich. Der Synodalrat konnte sich in Ruhe auf die XVIII. Synode vorbereiten, die vom 5.–8. April 1973 stattfinden sollte. Im Einladungsbrief schreibt der Synodalrat: „Wir sind unserem Herrn dankbar dafür, dass wir zusammenkommen werden, um nach einer ernstlichen Krise, welche die Kirche durchlaufen hat und die leider noch nicht ganz überstanden ist, in Selbstzucht und doch frei den Zustand der Kirche und ihren weiteren Weg zu besprechen.“ Die vorherige Synode war aus Sicht des Synodalrats nicht sehr gelungen, denn sie habe „keine Entscheidung über den Weg der Kirche getroffen“. Zudem habe die XVII. Synode Kritik vonseiten des Staates hervorgerufen: „Auch die staatlichen Behörden hatten aus ihrer Sicht der Synode gegenüber ernstliche Vorbehalte. Im Laufe des Jahres 1972 spitzte sich die Situation zu.“

Seit Ende Januar verhandelte der Synodalrat (meist vertreten durch Synodalsenior V. Kejř und Synodalkurator F. Škarvan) das Programm und den Inhalt der Synode mit dem Sekretariat für Kirchenfragen. Den Aufzeichnungen zu diesen Gesprächen aus dem Archiv der EKBB zufolge interessierte sich das SFK vor allem für das Sendschreiben der Synode und den Bericht des Synodalseniors. Dabei ist klar, dass das SFK vom Synodalrat und von der Synode verlangte zu signalisieren, dass man die Linie der vorangegangenen Synoden verlassen hatte und sich von denen distanzierte, die immer noch im Geiste der „Krisenjahre“ handelten. So ist zum Beispiel in den Aufzeichnungen über das Gespräch vom 16. Februar zu lesen: „Bei Abs. 4 des Artikels über die Suche eines Weges nach 1948 könne man bei den Worten ,Wir denken dabei an die Brüder und Schwestern, die sich betend und leidend beharrlich um die Suche eines Weges bemühten ...‘ zum Beispiel die beiden Herren Dus im Sinn haben. Ich [Škarvan] erklärte, dass wir genau das Gegenteil dabei im Sinn hatten: Wir sprachen an dieser Stelle ursprünglich von Dr. J. L. H.“

Dass die staatlichen Behörden in die Erklärungen und andere theologische Dokumente der Kirche eingriffen, war nichts Neues. Ähnlich war es in den 50er und 60er Jahren Usus, aber es scheint, dass die Eingriffe nun sehr viel detaillierter und durchdachter waren. Bemerkenswert ist auch, dass die Kirchenleitung dies für etwas Normales hielt, ja dass sie den Staat sogar als Partner bei der Ausarbeitung wichtiger kirchlicher Dokumente betrachtete. Die Aufzeichnungen zu einem Gespräch am 26. Februar, bei dem das SFK erneut verschiedene Texte für die Synode „korrigierte“, beschließt Kurator Škarvan mit folgenden Worten: „Das gesamte Gespräch lief in einer überaus freundschaftlichen Atmosphäre ab.“

Etwa eine Woche vor Beginn der Synode dürften Senior Kejř und Kurator Škarvan einen großen Schock erlebt haben. Das Sekretariat teilte mit, die Synode müsse um zwei Wochen verschoben werden, da die staatlichen Organe es nicht schafften, rechtzeitig die Genehmigung für die Wahl des Synodalseniors zu erteilen (zweite Amtszeit für V. Kejř). Den Vertretern der EKBB blieb nichts anderes übrig, als dieses absolut unseriöse Verhalten ihrer „Partner“, die den Termin bereits seit mindestens zwei Monaten kannten, zu akzeptieren. So fand die Synode schließlich vom 26. bis zum 28. April 1973 statt.

Sie verlief im Vergleich zu den vorherigen Synoden deutlich im Geiste der „Normalisierung“. Auf der Tagesordnung stand u. a. ein Elaborat der theologischen Beratungsabteilung „Die Sendung der Kirche in der Gegenwart“.  Das Dokument ist eine versteckte Auseinandersetzung mit denen, die am Geist der vergangenen Jahre festhalten wollten. Es bemühte sich um eine Analyse der Krisensituation des Vorjahres: „Die grundlegende theologische Krise besteht heute darin, dass unsere Kirche nicht jene Ebene erreicht hat, die wir als eschatologische Ebene bezeichnen, und dass sie sich bei den Synoden in einem theologischen Vakuum bewegt.“ Es wird behauptet, dass sich die letzten Synoden (1969 und 1971) von „verschiedenen Äußerungen und Standpunkten mitreißen ließen, deren Hintergrund nicht im theologischen Gespräch geklärt wurde oder zu sehr durch die geschichtliche Situation bestimmt war“. Das auf „Normalisierungskurs“ befindliche Regime bekam also, was es wollte: Die Kirche distanzierte sich nicht nur durch Verlautbarungen des Synodalrats, sondern sogar in Gestalt der Synode zwar vorsichtig, aber alles in allem deutlich von den beiden freiesten Synoden der EKBB, und dies auch in theologischer Hinsicht.

Wenn die Kirchenleitung aber nach diesen Zugeständnissen erwartet hatte, dass sich die Beziehungen zu den staatlichen Behörden nun konsolidieren und stabilisieren würden und dass sie jetzt besseren Zeiten entgegensehen konnte, so wurde sie im Sommer 1973 unsanft aus diesem schönen Traum gerissen. Im Juni fand das zweite Friedensseminar statt, das die beratende Friedensabteilung in Chotěboř organisiert hatte.  Diese Abteilung wurde von der Synode 1971 im Zusammenhang mit dem Beschluss eingerichtet, trotz der Kritik an ihrer politischen Ausrichtung Mitglied der Christlichen Friedenskonferenz zu bleiben. Im Rahmen des Seminars sollte Jakub Trojan, damals Pfarrer in Neratovice und zudem Mitglied der Friedenskonferenz, einen Vortrag halten. Im Anschluss entbrannte eine hitzige Debatte über aktuelle kirchliche Fragen, an der sich auch Pfarrer Jan Šimsa beteiligte, der im März die staatliche Genehmigung für den Pfarrdienst verloren hatte. Er gehörte nicht zu den Teilnehmern des Seminars, hatte aber auf seinem Heimweg in Chotěboř haltgemacht. Der Vortrag und die Debatte (sowie andere Teile des Programms) wurden für den innerkirchlichen Gebrauch auf Tonband aufgenommen.

Der Staatsapparat nutzte den Vorfall, um seinen Kurs bei den Gesprächen mit der Kirchenleitung weiter zu verschärfen. Die Kirche sollte seiner Ansicht nach die Bemühungen einer Gruppe von Pfarrern, die sich unter dem Namen „Neue Orientierung“ (Nová orientace) zusammengeschlossen hatte und bestimmte politische Fragen zur Sprache bringen wollte, deutlich zurückweisen. Es wurden sogar polizeiliche Ermittlungen eingeleitet, ob in Chotěboř nicht womöglich ein staatsfeindliches Verbrechen begangen worden war. Wie arglos der Synodalrat dem Sekretariat für Kirchenfragen gegenüberstand, zeigt auch der Umstand, dass er dem SFK im Rahmen des Gesprächs über die Vorfälle die erwähnten Aufnahmen zur Verfügung stellte, damit die staatlichen Behörden die Unbedenklichkeit des Seminars nachprüfen konnten (sie wurden nach einigen Monaten zurückgegeben). Der Synodalrat schien aus dem Blick verloren zu haben, dass das SFK seinem Wesen nach ein repressives Organ zur Kontrolle und Einschränkung der kirchlichen Arbeit war.

Die Ermittlungen liefen schließlich ins Leere, zogen aber weitere Eingriffe in das kirchliche Leben in Form der Aberkennung staatlicher Genehmigungen für den Pfarrdienst nach sich. Im März 1974 verloren Jakub Trojan und Alfred Kocáb (Mladá Boleslav), die beide der Friedensabteilung angehörten, ihre Genehmigungen. Auch dieser Schritt vonseiten des Staates sollte die EKBB zum Gehorsam gegenüber Husáks Normalisierungskurs zwingen. Zu diesem Zweck musste er unbequeme Pfarrer aus dem aktiven Dienst in der Kirche entfernen, um so die Beeinflussung der kirchlichen Organe durch diese Personen zu verhindern. Die Kirchenleitung war nicht in der Lage, sich dagegen zu wehren.

Die „Neue Orientierung“

Das Sekretariat für Kirchenfragen wandte ab 1974 ein beträchtliches Maß an Energie auf, um die Leitung der EKBB dazu zu drängen, die „Neue Orientierung“ (Nová orientace) zu verurteilen. Dieser Name wurde zum Pseudonym für diejenigen Pfarrer und Laien, die das Normalisierungssystem und die Kirchenleitung nach 1972 kritisierten. Im Grunde erleichterte sich das System dadurch die Arbeit, denn es machte sich gar nicht erst die Mühe, das theologische Programm der „Neuen Orientierung“ zu verstehen, die sich bereits in den 50er Jahren als theologisches Forum aufgrund der Theologie J. L. Hromádkas formiert hatte. Die Sekretäre für Kirchenfragen und ihre Chefs im Kulturministerium in Prag waren an einer übersichtlichen und in gewissem Maße vereinfachten Situation in der EKBB interessiert. Ihrer Ansicht nach bestand in der EKBB ein Konflikt zwischen der Kirchenleitung und der Neuen Orientierung, die sich innerhalb der Kirche wie eine eigene Lobby verhalte. Deshalb sei es notwendig, die Kirchenleitung zu ermuntern, die Neue Orientierung aus ihren Kreisen zu eliminieren, und ihr gegebenenfalls dabei zu helfen. Die Neue Orientierung war aus Sicht des Regimes die Hauptursache für das Problem in der EKBB.

Im November 1974 verfasste ein Beamter des SFK eine Art Situationsbericht über den Stand dieser Problematik in der Kirche. Er würdigte, dass der Synodalrat bei seinen Bemühungen, den Einfluss der Neuen Orientierung zurückzudrängen, ein gehöriges Stück vorangekommen sei. Das Dokument der XVIII. Synode von 1973 über die Sendung der Kirche in der Gegenwart sei eine theologische Zurückweisung und Verurteilung des Programms der oppositionellen Gruppe gewesen, so der Bericht. Zufrieden war das SFK allerdings nicht. „Im Grunde wurde also das Programm der NO nur aus der offiziellen innerkirchlichen Diskussion ausgeklammert, die Angelegenheit als Ganze blieb aber praktisch ungelöst.“ Deshalb sei es notwendig, die Gruppierung auch weiterhin „sorgsam und systematisch zu beobachten“, vor allem im Hinblick auf die nächste Synode im Jahr 1975. Dass sie auch in der Lage sei, den Synodalrat zu beeinflussen, zeige zum Beispiel der Antrag auf die erneute Erteilung der staatlichen Genehmigung für den geistlichen Dienst an Jan Šimsa, der dieselbe gerade als Anhänger der Neuen Orientierung verloren hatte, wie es im Bericht heißt.

Die Kirchenleitung versuchte, sich so gut es ging durch diese Situation zu lavieren, um auf der einen Seite nicht jegliche brüderliche Solidarität mit denen, die zum Beispiel bereits die staatliche Genehmigung verloren hatten, aufzugeben, und auf der anderen Seite als Leitung nicht das Vertrauen der staatlichen Behörden zu verlieren. Diese Strategie spiegelt sich in den Überlegungen des Synodalkurators František Škarvan vom Ende des Monats April (1975) wider. Die drei Seiten umfassende Formulierung der Position der Kirchenleitung zwischen dem Regime und der Neuen Orientierung sollte der Vorbereitung auf ein wichtiges Gespräch mit Vertretern des SFK dienen. Dabei muss man sich bewusst machen, dass die Feierlichkeiten anlässlich der Befreiung und des Endes des Zweiten Weltkriegs auch in der Kirche recht umfangreich waren.

Im ersten Teil von Škarvans Überlegungen wird die Entwicklung der Tschechoslowakei in der Nachkriegszeit in „Anlehnung an die UdSSR“ bejaht. Damit wird die Loyalität gegenüber dem Regime bekundet, das sich dem Sieg der Sowjetunion verdankte. In den folgenden Teilen übt Škarvan dennoch Kritik am Regime, da es die Religionsfreiheit nicht uneingeschränkt respektiere. „Wir haben noch das Recht, unsere Überzeugung zu äußern. Diese Möglichkeit wird für uns heute durch verschiedene Maßnahmen auf einen winzigen Raum begrenzt und ist für die Gläubigen mit dem Risiko enormer Folgen verbunden.“ Danach zählt das Dokument mehrere konkrete neuralgische Punkte auf, vor allem in Bezug auf die kirchliche Presse und die Autonomie der Kirche. Am Ende bittet Škarvan um Verständnis für die Neue Orientierung, deren Vertreter keine bösen Absichten hätten. „Wir bitten Sie, auch die Neue Orientierung nicht als sozialismus- und staatsfeindlich zu betrachten, wie es gefährliche Anfeindungen nahelegen, die in jüngster Zeit von in diesen Dingen völlig unkundigen Personen vorgebracht werden. Es handelt sich um Menschen, die tiefe Krisen durchleben und über diese Krisen offen sprechen und debattieren.“ 

Mit dieser lavierenden Haltung konnte die Kirchenleitung allerdings weder die eine noch die andere Seite zufriedenstellen. Sie verlor unweigerlich das Vertrauen der Kritiker und auch des Staates. Beim Gespräch mit dem SFK, bei dem Škarvan den oben genannten Standpunkt weitergeben sollte, wurde vonseiten der Vertreter des SFK ultimative Kritik laut. „Heute ist es allerdings notwendig, dass die Kirche als Ganze entschiedene Maßnahmen ergreift, um derartige Erscheinungen, deren Auswirkungen die Beziehungen zwischen Staat und Kirche ernsthaft gefährden, in der Zukunft zu verhindern. Wir bitten Sie, bei der Sitzung des Synodalrats die Stellungnahme des Kulturministeriums zu besprechen und uns im Laufe des nächsten Monats konkrete Vorschläge zur Lösung der gegenwärtigen Situation vorzulegen. Ihnen sollte bewusst sein, dass Sie die volle Verantwortung für die künftige Entwicklung in Ihrer Kirche tragen.“ Auf Drängen des SFK musste der Synodalrat handeln oder die Konsequenzen für seine indifferente Haltung tragen.

Der Vertreter des SFK äußerte sich in seiner Ansprache auch kritisch zu den Ereignissen in der Salvatorkirche in Prag. Am 10. April 1975 hatte dort eine offizielle kirchliche Feier der EKBB zum 30. Jahrestag der Befreiung stattgefunden – im Kontext der „Normalisierung“ vor allem ein Akt der Loyalität gegenüber dem Regime. Am Ende des Programms trat auch der Dekan der Comenius-Fakultät, Prof. Amedeo Molnár, auf. Im Bericht, den das SFK darüber verfasst hatte, steht Folgendes: „Kurz nach der Eröffnung traten zwei junge Männer aus den Reihen der Zuhörer nach vorn und legten vor den Redner handgeschriebene Flugblätter auf das Rednerpult. Der eine war Kocáb, der andere Zlatohlávek, den man vom Theologiestudium ausgeschlossen hatte. (...) Professor Molnár unterbrach seinen Vortrag und las den Zuhörern den Inhalt der Flugblätter vor. Er verurteilte diese Handlungsweise als Primitivismus und verglich sie mit faschistischen Methoden. Auf seine Worte hin verließen einige jüngere Teilnehmer der Zusammenkunft die Kirche. Es wurde festgestellt, dass einige Teilnehmer während der Feier weitere Flugblätter verbreiteten, deren Inhalt jedoch bis jetzt nicht ermittelt werden konnte. Wie festgestellt wurde, organisierten Anhänger der ,Neuen Orientierung‘ diese Provokation.“

Martin Zlatohlávek, Michael Kocáb und andere äußerten ihre Ablehnung gegenüber der Fakultätsleitung und der EKBB wegen deren indifferenter Haltung zum Ausschluss einiger Pfarrer und Theologiestudenten. Sie akzeptierten die Strategie, sich so zwischen den Klippen hindurchzulavieren, dass die Kirche überleben und ihre Einheit wahren konnte, genauso wenig wie die staatlichen Behörden. „Man kann nicht zwei Herren dienen“, stand auf einem Plakat. Die Kirchenleitung war allerdings in ihrer Rückzugstaktik schon zu weit vorangeschritten.

Anfang Februar 1975 traf sich eine Gruppe von 15 Protestanten im Pfarrhaus bei Daniela und Petr Brodský in Libštát. Unter ihnen waren Pfarrer mit und ohne staatliche Genehmigung, einige gingen anderen Berufen nach. Sie gehörten sicherlich nicht alle zu den eisernen Kritikern des Synodalrats. Was sie aber verband, waren zumindest gewisse Befürchtungen, die bei ihnen durch die Situation der Kirche und das Verhalten der Kirchenleitung geweckt worden waren. Das Treffen sollte keinen konspirativen Charakter haben, es war eher der Versuch, sich über die kirchliche Situation zu beraten und Antworten auf die Fragen zu finden, die durch die aktuelle Lage aufgeworfen wurden. Am Montag, dem 3. Februar nachmittags, erschien unerwartet der gefürchtete und repressive Bezirkssekretär für Kirchenfragen des Bezirks Ostböhmen, Herr Jonáš, der die Versammlung für illegal erklärte und die Anwesenden aufforderte zu gehen. Als sie dies ablehnten, rief er die Polizei zu Hilfe, die das Treffen der Protestanten beendete.

Den Ermittlungen der Sicherheitsorgane zufolge hatte es sich um ein Treffen der sozialismusfeindlichen Gruppe „Neue Orientierung“ gehandelt. Sie fanden sogar mehrere Zeugen, die gegen die Teilnehmer des Treffens aussagten, um so zu untermauern, dass das Einschreiten des Sekretärs für Kirchenfragen berechtigt war. Eine Bürgerin von Libštát sagte laut Protokoll: „Wie die meisten meiner Mitbürger verurteile ich die illegale Versammlung der radikalen Extremisten der evangelischen Kirche mit Herrn Petr Brodský, dem Pfarrer von Libštát, an der Spitze. Dieser war Organisator und Gastgeber von Geistlichen, die das Vertrauen der redlichen Menschen und unserer sozialistischen Ordnung verloren haben und denen für ihre reaktionäre Einstellung zu Recht die staatliche Genehmigung entzogen wurde. (...) Wir wollen nicht, dass in unserer sozialistischen Heimat das Chaos herrscht, das durch die Protestanten in Irland hervorgerufen wurde, und wir wollen kein Belfast.“

Der Vorfall wurde ein ganzes Jahr lang auf Ebene der Kirchenleitung und des Sekretariats für Kirchenfragen verhandelt. Petr Brodský verlor zwar die staatliche Genehmigung für Libštát, aber ab Anfang 1976 durfte er in Hrubá Vrbka weiter als Pfarrer arbeiten. Bis zum Ende der Ära der „Normalisierung“ (und sogar noch danach) fanden unter der Bezeichnung „Libštát“ regelmäßig Zusammenkünfte auf dieser Basis statt, die vielen, vor allem jüngeren Pfarrern in den Fragen jener komplizierten Zeit Orientierung gaben. Die Kirchenleitung warnte vor solchen Treffen mit der Begründung, sie würden die staatlichen Behörden unnötig reizen.

Ende April schickten vier Pfarrer der EKBB (Jan Dus, Jan Šimsa, Alfred Kocáb und Jakub Trojan) einen Brief an die höchsten staatlichen Organe, in dem sie sich über die Einschränkung der religiösen Freiheit und die Diskriminierung der Gläubigen beschwerten. Während man von den Anwesenden beim Treffen in Libštát nicht, wie vom Sekretär für Kirchenfragen behauptet, generell sagen kann, dass sie der theologischen Richtung der „Neuen Orientierung“ angehörten, trifft es auf diese Pfarrer (ohne staatliche Genehmigung) zweifellos zu. Keiner von ihnen war in Libštát dabei, aber sie erwähnen das Vorkommnis in ihrem Brief als einen Fall, in dem die staatlichen Behörden Angst verbreiteten. Der Brief kritisiert außerdem die Absicht der Legislative, die Kirchen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen, die Jugendarbeit, die kirchliche Presse und die Zahl der Studierenden an der Theologischen Fakultät einzuschränken und den Religionsunterricht an den Schulen unmöglich zu machen. Anlässlich des 30. Jubiläums des Kriegsendes erinnert er an die Opfer, die die Kirchen während des Zweiten Weltkriegs für die Befreiung der Tschechoslowakei gebracht hatten. „Wer übernimmt die Verantwortung dafür, dass nun, dreißig Jahre nach Kriegsende, durch würdelose Maßnahmen und Unterdrückung für die unzähligen Mitglieder der christlichen Kirchen, die bewusst ihren Glauben bekennen, eine solche Situation geschaffen wird, dass sie sich in dem Land, für das sie gelitten haben, als Bürger zweiter Klasse zu fühlen beginnen?“

Die Kirchenleitung stimmte diesem Brief in ihrer Reaktion vorsichtig zu, wenn sie auch betonte, dass sie die Dinge anders formuliert hätte, und vor allem, dass sie ihre Loyalität gegenüber der sozialistischen Ordnung stärker hervorgehoben hätte. Der Synodalrat versuchte, die staatlichen Behörden davon zu überzeugen, dass sich die Situation in der Kirche beruhige und dass sie die „Neue Orientierung“ erfolgreich zurückdränge. Vielleicht reagierte sie deshalb nicht ablehnend auf den Brief der vier Pfarrer. Ein weiteres Ereignis, das beweisen sollte, dass die Dinge auf einem guten Weg waren, war die Synode, die vom 20.–22. November 1975 stattfand. Sowohl der Synodalrat als auch das Sekretariat für Kirchenfragen investierten viel Energie, um zu verhindern, dass sich das Szenario der vorherigen Synoden wiederholte, bei denen ihrer Meinung nach die Kritiker der Kirchenleitung den Verlauf der Synode zu stark beherrscht hatten.

Einer der empfindlichsten Punkte der Synoden waren für die kommunistischen Staatsbehörden von Beginn an die Sendschreiben der Synode. Schon in den 50er Jahren wurde es gängige Praxis, dass der Synodalrat den staatlichen Behörden den Entwurf für das Sendschreiben (damals meist aus der Feder J. L. Hromádkas) zur Genehmigung vorlegte. Die Behörden strichen in der Regel ein paar Wörter, die ihrer Meinung nach mehrdeutig sein könnten. Diese Praxis wurde auch in der Ära der „Normalisierung“ weitergeführt, wobei sie 1975 ihren Höhepunkt erreichte. Die Archive des Synodalrats und des Sekretariats für Kirchenfragen legen darüber ein klares und relativ vollständiges Zeugnis ab.

Zwischen dem Synodalrat und dem SFK gingen insgesamt acht Versionen hin und her, wobei sich die erste von der letzten stark unterschied.  Dem Sekretariat ging es im Groben um drei Dinge: dass ein Abschnitt über die Befreiung durch die „heldenmütige Sowjetarmee“ in das Sendschreiben aufgenommen wurde, dass die Äußerungen zum Thema der Synode (Christliche Ehe und Familie in der heutigen Zeit) nicht direkt die religiöse Kindererziehung berührten und dass sich das Sendschreiben von den Kritikern der Kirchenleitung aus der Neuen Orientierung distanzierte.

In den ersten beiden Punkten war das Sekretariat erfolgreich, wenn auch das Sendschreiben von „großen Opfern der Siegerarmeen, insbesondere der Roten Armee“ spricht. Die Zeilen über die religiöse Kindererziehung tauchen in den letzten Versionen nicht mehr auf. Das Sekretariat schlug noch eine dritte wichtige Sache vor, nämlich eine Passage aufzunehmen über die „Sorge um einige Kirchenmitglieder, deren unselige Einzelaktionen, mit denen sie die von den Synoden beschlossenen Grundsätze umgingen, im Grunde ein gescheiterter Versuch waren, die friedliche Entwicklung des kirchlichen Lebens, die wir uns aufrichtig wünschen, zu stören“. Im letzten Entwurf, den der Synodalrat der Synode vorlegte, tauchte dann auch tatsächlich ein derartiger Satz auf. Die Synodalen besaßen zum Glück genügend gesunden Menschenverstand und strichen ihn wieder. Das beschlossene Sendschreiben war auch so stark vom totalitären Staatsapparat beeinflusst.

Das Jahr 1977

Die Veröffentlichung des Grundtextes der Charta 77 Anfang Januar 1977 ist in vielerlei Hinsicht ein bahnbrechendes Ereignis in der Geschichte der Tschechoslowakei zur Zeit der „Normalisierung“. Die Bedeutung des Dokuments an sich besteht in seinem Inhalt, in der Form der Artikulation des Protests, aber nicht minder auch in der Art und Weise, wie das Husák-Regime beschloss, darauf zu reagieren. Die harte und öffentliche Distanzierung in Form der Anticharta war in gewisser Hinsicht die beste Publicity, die Jan Patočka, Václav Havel, Ladislav Hejdánek, Pavel Kohout und die anderen überhaupt bekommen konnten.

Auch für die EKBB bedeuteten die Ereignisse rund um die Charta das Ende der ersten Etappe der Normalisierungsära und den Beginn einer zweiten. Die staatlichen Behörden nutzten die Atmosphäre der Angst dazu, die Kirchenleitung in die Enge zu treiben. Die Strategie, die der Synodalrat bis dahin mit einem gewissen, wenn auch geringen Erfolg angewandt hatte, funktionierte nicht mehr. Das Regime forderte ein entschiedenes Bekenntnis zur sozialistischen Ordnung und ein kompromissloses Durchgreifen gegenüber den Kritikern.

Die Strategie der Kirchenleitung bis Anfang 1977 könnte man als vorsichtige Verteidigung der eingeschränkten Autonomie der Kirche charakterisieren. Im Jahr 1976 kann man diese Bemühungen sehr gut nachverfolgen, und der Synodalrat wählte dasselbe Kalkül sogar in Bezug auf die Charta 77, bei der es allerdings nicht mehr funktionierte. Eines der Grundprinzipien dieser Strategie war es, die staatlichen Behörden nicht durch politisch eingefärbte Erklärungen oder andere Schritte zu provozieren. Im Februar 1976 fand eine Beratung des Synodalrats mit den Senioratskuratoren statt (die erste Beratung dieser Art), bei der die XIX. Synode und das Echo vonseiten des SFK besprochen wurden. Dabei brachte der Synodalkurator František Škarvan in seiner Wortmeldung folgende Formulierung vor: „Der gangbarste Weg zurzeit ist offenbar der Weg, moralisch auf alle einzuwirken, damit sie sich ihrer Verantwortung für die Kirche bewusst werden und selbst von unnötigen Versammlungen, dem Schreiben von Briefen, Traktaten und Proklamationen Abstand nehmen. Damit sie mehr darauf vertrauen, dass sich der Synodalrat selbst darum bemüht, auch für sie den Handlungsspielraum zu wahren.“ In der Diskussion präzisierte er noch, dass es nicht um den Synodalrat als solchen gehe, sondern um die Kirche als Zeugin Christi. „Wir möchten die Kirche nicht um jeden Preis retten. Nicht um den Preis der Untreue. Wir wollen aber versuchen, die Kirche als Zeugin Christi zu retten.“

Ab März 1976 gab es im Sekretariat für Kirchenfragen einen neuen Referenten namens Fidler, der u. a. für die EKBB zuständig war. Fidler, der von der Staatssicherheit kam, unterstrich bei seinem ersten Treffen mit dem Synodalkurator diese Herangehensweise. Laut Škarvan sagte er: „Ziel dessen, was wir tun, ist Ruhe und eine Konsolidierung in Ihrer Kirche. Wir sind nicht daran interessiert, die Kirche zu liquidieren. Wir sind Atheisten, aber wir ermöglichen jedem, seiner Religion nachzugehen. Das tun wir nicht aus Liebe zu Ihnen, das sage ich ganz offen, sondern aus politischen Gründen. Wir brauchen Ruhe. Das Ausland betrachtet die Kirchen als seine Exponenten.“

Ähnliche Stimmen waren auch auf einer anderen Ebene in der Kirche zu hören. Am 23. März 1976 trafen sich die Senioren und Senioratskuratoren des Bezirks Ostböhmen mit dem Bezirks- und dem Kreissekretär für Kirchenfragen V. Jonáš und V. Soukal. Besonders Jonáš hatte den Ruf eines schwierigen und unangenehmen Beamten, der großen Gefallen daran fand, von seinen umfangreichen Befugnissen gegenüber den Kirchen Gebrauch zu machen. Bei diesem Treffen wurde auch über die Haltung einiger Pfarrer auf der Böhmisch-Mährischen Höhe gesprochen, die zur „Neuen Orientierung“ gehörten. Dem Protokoll zufolge, das Pfarrer B. Bašus anfertigte, äußerten sich die meisten Anwesenden kritisch über diese Brüder. Bašus resümiert und interpretiert diese Meinung folgendermaßen: „Es ist notwendig, dem einen Riegel vorzuschieben: derartige Erscheinungen zu unterbinden, die nächsten Konvente und die bevorstehende XX. Synode verantwortungsvoll vorzubereiten. Das bedeutet, vernünftige Delegierte zu finden, die geplanten Anträge für die Konvente und die Synode genau abzuwägen. Wenn man das Gefühl hat, dass einem Unrecht geschieht (z. B. bei unpassendem Verhalten von Schulmitarbeitern) kann man sich bei den Sekretären für Kirchenfragen, ggf. auch beim Kulturministerium, beschweren.“

Derartige Beschwerden gingen 1976 ein, als im Mai der Kreissekretär für Kirchenfragen in Mladá Boleslav zwei Predigern, die in einer unbesetzten Gemeinde Gottesdienste halten wollten, die Genehmigung verweigerte. Die Prediger waren allerdings gleichzeitig Sekretäre des Synodalrats. Laut den Richtlinien zum Verfahren der staatlichen Genehmigung brauchten jedoch Mitglieder und Sekretäre des Synodalrats keine solche Genehmigung. Der Sekretär für Kirchenfragen hatte also seine Kompetenzen überschritten, was eine Beschwerde des Synodalrats beim Vorgesetzten jenes Sekretärs zur Folge hatte.

Weitere Bemühungen zugunsten der kirchlichen Autonomie bezogen sich auf die Dokumente, Beiträge, Briefe und andere Schriftstücke der XIX. Synode. Als das Sekretariat für Kirchenfragen Anfang Januar 1976 eine Sitzung mit dem Synodalrat zum Thema XIX. Synode vorbereitete, wollte es diese internen Materialien sehen. In diesem Fall verwahrte sich der Synodalrat dagegen mit der Begründung, diese Dokumente seien nicht offiziell und könnten somit nicht zur Verfügung gestellt werden. Am Ende des Briefes, in dem der Synodalrat die Forderung des SFK zurückweist, bittet die Kirchenleitung um Verständnis für ihre Haltung, die lediglich die „allernotwendigste Eigenständigkeit und Integrität der Kirche“ zu wahren suche.

Das dritte Beispiel aus dem Jahr 1976 ist der Protest des Synodalrats gegen das Verhalten des Schulamtsleiters im Rat des Kreises Žďár nad Sázavou. Dieser hatte die Pensionierungsprämie einer Lehrerin in Veselí, die Mitglied der EKBB war, wieder eingezogen, als er feststellte, dass sich ihr Sohn an der Comenius-Fakultät eingeschrieben hatte. Der Synodalrat bezeichnete diese Entscheidung als „unglaublich und erschütternd“ und verlangte vom SFK, gegen diesen „Gesetzesverstoß“ einzuschreiten.

Es ließen sich sicherlich noch andere Fälle anführen (z. B. die staatliche Genehmigung für Pfarrer M. Heryán), doch das Kapitel über die Reaktionen der Kirche auf die Charta 77 und den Druck des Regimes auf die Kirche, sich der Anticharta anzuschließen, soll nun abgeschlossen werden. In seiner ersten Stellungnahme, die an die Gemeinden geschickt wurde, konstatierte der Synodalrat, er kenne den Inhalt der Charta nicht und niemand aus der Kirchenleitung habe sie unterschrieben. Die Kirche werde weiterhin die Gesetze und die sozialistische Ordnung respektieren.

Für das SFK war diese Stellungnahme des Synodalrats absolut unzureichend. Die Kirchenleitung geriet unter gewaltigen Druck, ihre Verlautbarung umzuformulieren. Allerdings lehnten die staatlichen Behörden auch alle weiteren Vorschläge des Synodalrats ab. Am staatlichen Druck beteiligte sich auch die Staatssicherheit, die Synodalsenior Václav Kejř am 20. April 1977 zu sich zitierte. Kejř war über das Gespräch erschüttert: „Das Gespräch mit dem Innenministerium war so geartet, dass Dr. Kejř meinte, man habe ihm in 50 Dienstjahren noch nie zuvor das Gefühl vermittelt, ein peinlicher Gesprächspartner, verabscheuenswert und verachtungswürdig zu sein, man habe ihn nicht einen Satz zu Ende sprechen lassen.“ 

Das Sekretariat für Kirchenfragen charakterisierte die Haltung des Synodalrats in seinem Bericht für die Ideologieabteilung des Zentralkomitees der KSČ am 10. Februar 1977 (d. h. circa einen Monat nach der Veröffentlichung des Grundtextes der Charta 77) folgendermaßen: „Fasst man die bisherige kirchenpolitische Entwicklung in der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder in den letzten drei Jahren zusammen, lässt sich unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus der Vergangenheit konstatieren, dass der gegenwärtige Synodalrat in seiner Leitungsfunktion weder in der Lage noch politisch gewillt ist, eine Politik der eindeutigen positiven Beziehungen der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder gegenüber der sozialistischen Gesellschaft umzusetzen.“ Der Synodalrat laviere, gebe der „Neuen Orientierung“ Raum, erfülle die Beschlüsse der letzten Synode nicht und verteidige sich mit Erläuterungen zur Kirchenordnung. Das SFK schlug verschiedene Maßnahmen vor, um diese Situation zu ändern. Sie sollten dazu führen, den Synodalrat Schritt für Schritt auszuwechseln, wobei in der Kirche diejenigen die Leitung übernehmen sollten, die der sozialistischen Ordnung positiv gegenüberstanden.

Die Situation veränderte sich erheblich, als eine Petition zur religiösen Freiheit veröffentlicht wurde, die von 31 Protestanten unterzeichnet worden war. Im Sprachgebrauch des Synodalrats wurde die Petition als „Antrag der 31“ bezeichnet, die staatlichen Behörden referierten über sie sogar als „Evangelische Charta“. Die Petition mit der Überschrift „Die Stellung der Kirche und der Gläubigen“, die am 7. Mai an die Föderalversammlung gesendet wurde, beschrieb eingehend die Restriktionen für die Kirche und die Gläubigen sowie die Mechanismen zur Kontrolle und Einschränkung des kirchlichen Raums. „Die Gläubigen und Kirchen werden mit einem atheistischen Programm konfrontiert, das nicht nur von den gesellschaftlichen Organisationen durchgesetzt wird, sondern zu dessen Umsetzung auch programmatisch die staatlichen Institutionen und Organe genutzt werden. Dadurch nimmt der Status aller Kirchen bei uns den Charakter geduldeter Gemeinschaften an, mit der Perspektive der allmählichen Einschränkung und letztendlichen Auflösung.“ 

Das Dokument war bei Weitem nicht das erste dieser Art. Bereits in den 60er Jahren entstanden zwei an die Regierung adressierte Memoranden des Synodalrats, die in ähnlicher Weise die Dinge beim Namen nannten und gegen die Methoden der staatlichen Organe protestierten. Im Unterschied zu den damaligen Dokumenten war diese Petition allerdings eine Initiative mehrerer Gläubiger, die nicht im Namen der Kirche handelten, sondern aus eigenem Ermessen. Unter den Unterzeichnern waren Pfarrer mit und ohne Genehmigung, aber auch aktive Laien. Während der Synodalrat die Unterzeichnung der Charta 77 für eine private, zivile Angelegenheit gehalten hatte, verurteilte er in diesem Fall die Unterzeichner der Petition und beschuldigte sie, im Namen der Kirche handeln zu wollen. Synodalkurator František Škarvan charakterisierte dies als „groben Ungehorsam“ gegenüber der Anweisung des Synodalrats, denn kurz vor der Veröffentlichung hatte Synodalsenior Václav Kejř dem Hauptinitiator der Petition Jakub S. Trojan ausdrücklich verboten, einen solchen Schritt zu unternehmen.

Die Kirchenleitung begann also, die Sache disziplinarisch zu behandeln, wobei sie darüber hinaus versuchte, die kirchliche Disziplinarordnung zu verschärfen, denn die bestehende Ordnung bot ihr nicht genügend Instrumente, um die Unfolgsamen zu bestrafen. Dies gelang am Ende nicht, aber nach einer Serie von Gesprächen bekamen die Pfarrer unter den Unterzeichnern einen Verweis oder sogar einen Verweis mit Verwarnung. Der Synodalrat fand theologische Unterstützung bei den Lehrern der ComeniusFakultät, die im Mai 1977 eine eigene Stellungnahme zu dieser Auseinandersetzung konzipierten (siehe den gesonderten Artikel zu diesen Thesen). Interessant ist, dass die Problematik der Charta und der Position der Kirche ihr gegenüber sehr häufig in den Schriftstücken des SFK auftaucht, während zu den Geschehnissen rund um die Petition, die Fakultätsthesen und die anschließenden Verweise nur ganz wenig zu finden ist. Die EKBB scheint diese Sache also weitgehend selbst in der Hand gehabt zu haben. Dies deutete auch Synodalkurator Škarvan an, als er konstatierte, die Kirche habe diese Angelegenheit ohne das Eingreifen der staatlichen Behörden gelöst.

Umso gravierender war dann die Spaltung der EKBB infolge der Geschehnisse des Jahres 1977 in der zweiten Hälfte der Normalisierungsära. Eine ganz gewöhnliche, legitime theologische Kontroverse über die Haltung der Kirche in einer schwierigen Zeit versuchten die Kirchen- und die Fakultätsleitung dadurch zu lösen, dass sie die Auseinandersetzung als Streit um das Bekenntnis als solches interpretierten, bei dem es keinen Raum für freundliche Ermahnungen, Kompromisse und schon gar nicht für brüderliche Solidarität gab. Im Sommer 1977 endete in der EKBB endgültig die Zeit der Vision und der Freiheit des Jahres 1968.

 

[1] Nationalarchiv (NA), Bestand des Sekretariats für Kirchenfragen des Kulturministeriums der ČSR (SPVC MK ČSR), Karton 204, EKBB, Jahr 1968.

[2] Cuhra in einer Debatte am 31. 8. 2003 im Tschechischen Rundfunk: http://old.radio.cz/cz/ clanek/44660 (Stand vom 1. 8. 2018). Siehe auch: Jaroslav Cuhra, Církevní politika KSČ a státu v letech 1969–1972, Praha 1999.

[3] NA, Bestand SPVC MK ČSR, K. 204, EKBB, Jahr 1968.

[4] Křesťanská revue, 1969, 3, S. 60.

[5] NA, Bestand SPVC MK ČSR, K. 204, EKBB, Jahr 1968.

[6] Ebd.

[7] Ebd.

[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] Die Erklärung erschien z. B. in der Zeitschrift „Křesťanská revue“, 1969, 2, S. 26.

[11] NA, Bestand SPVC MK ČSR, K. 204, EKBB, Jahr 1968.

[12] NA, Bestand SPVC MK ČSR, K. 2, Berichte für das Zentralkomitee der KSČ.

[13] Die Predigt erschien in der Zeitschrift „Křesťanská revue“, 1969, 2, S. 31–33.

[14] NA, Bestand SPVC MK ČSR, K. 2, Berichte für das Zentralkomitee der KSČ.