Gefangene des kommunistischen Regimes

Das kommunistische Regime nahm von Februar 1948 bis November 1989 für mehr oder weniger lange Zeit insgesamt sechzehn evangelische Pfarrer in Haft. Alle Anschuldigungen und Prozesse gegen sie waren politischer und keineswegs krimineller Natur. Gegenüber der Anzahl inhaftierter Priester, Ordensbrüder und Ordensschwestern der römischkatholischen Kirche ist diese Zahl sehr viel geringer und nicht vergleichbar. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihr persönliches Leid und das Leid ihrer Eltern, Ehefrauen und Kinder kleiner gewesen wäre.
Die längste Zeit verbrachte ab 1949 Pfarrer Josef Hájek, Religionslehrer aus Prag, im Gefängnis. Von dreizehn Jahren Haftstrafe verbüßte er elf Jahre. Pfarrer Karel Hrbek aus Prag-Smíchov saß ab 1953 drei Jahre im Gefängnis. Außer diesen beiden saßen auch Petr Jankovský, Jaroslav Dokoupil, Josef Jirků, Josef Tobiáš, František Kopecký, Jaroslav Choděra und Jaroslav Ryšavý im Gefängnis. Die beiden Letztgenannten wurden gleichzeitig entlassen, arbeiteten danach noch kurze Zeit für die Kirche, wechselten aber beide schon bald in einen zivilen Beruf. Zur gleichen Zeit wie sie wurde Pfarrer Bohumil Dittrich freigelassen (Dezember 1951), der etwas später festgenommen und lange, mit zermürbenden Methoden und möglicherweise sogar unter Folter verhört worden war. Der aus Zelów stammende Jan Jelínek war vor dem Zweiten Weltkrieg in der Ukraine und danach in der Tschechoslowakei als Pfarrer tätig. Seine Erfahrungen mit der sowjetischen Kollektivierung der Landwirtschaft in der Ukraine ließen ihn Kritik an der Politik der Kollektivierung in der Tschechoslowakei üben, wofür er zwei Jahre im Gefängnis saß.
Die Lebensgeschichte von Bedřich Bašus ist sehr komplex. Er war Pfarrer in Brandýs nad Orlicí, später auch in Choceň und wurde Opfer eines politischen Prozesses, der ihm das Rückgrat brach, sodass er nach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis in die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit einwilligte. Das Tragischste an seiner Geschichte ist, dass aufgrund seiner Informationen Pfarrer Antonín Verner verurteilt wurde, dessen Leben nie wieder in normale Bahnen zurückkehrte. Ein Opfer der kommunistischen Repressionen sorgte so für ein weiteres Opfer.
Das Schicksal der anderen inhaftierten Pfarrer wird teilweise im Artikel „Briefe und Petitionen“ (Jaromír Dus, Svatopluk Karásek, Jan Zeno Dus) und im Artikel „Die bewegte Geschichte des Verbandes der Geistlichen der EKBB (SČED)“ (Vlastimil Sláma) beschrieben.
Was die ungleich höhere Anzahl an gemaßregelten und verfolgten evangelischen Laien angeht, baten wir die Kirchenvorstände um Informationen. Der Rücklauf war jedoch gering, sodass keine gesamtkirchliche Dokumentation zu diesem Thema möglich war. Aus diesem unvollständigen Bild legen wir hier eine Auswahl vor. Damit der Leser die Situation in der kommunistischen Tschechoslowakei nach 1948 versteht, beginnen wir mit der Verfolgung von Laien in der Region Kutná Hora und schildern erst danach die Geschichten von Bohumil Dittrich, Jan Jelínek und Bedřich Bašus.

Der Widerstand gegen das kommunistische Regime in der Region Kutná Hora und seine Opfer

Pavel Hlaváč

Die Protestanten, vor allem jene, die selbständig tätig waren (Bauern, Gewerbetreibende und Geschäftsleute), waren vom kommunistischen Umsturz im Februar 1948 nicht gerade begeistert. Sie gehörten meist der Mittelschicht an. Dieser ging es während der Ersten Republik wirtschaftlich gut, während des Protektorats kollaborierte sie nicht mit den Deutschen und nach dem Krieg erwartete sie die Rückkehr zu Freiheit und wirtschaftlichem Wohlstand. Bei der Wahl 1946 stimmte sie, wenn sie fortschrittlich eingestellt war, für die Volkssozialisten oder die Sozialdemokraten, sie liebte Präsident Beneš und die Demokratie Masaryk’scher Couleur. Ein undemokratisches oder gar totalitäres Regime war ganz und gar nicht in ihrem Sinne. Wer über politischen Weitblick verfügte, vertraute den Kommunisten weder vor noch nach Februar 1948. Die Räder der Geschichte wurden jedoch von Osten gesteuert und die „historischen Ereignisse“ überrollten die gesamte Nation. Die Katholiken gerieten sehr viel stärker in ihr Mahlwerk als die Protestanten, über denen Prof. J. L. Hromádka den „Schirm der offiziellen Loyalität“ aufgespannt hatte. Kaum jemand leistete Gegenwehr oder gar bewaffneten Widerstand. Es gab aber relativ viele, die bereit waren, denen zu helfen, die aktiven Widerstand gegen das kommunistische Regime leisteten und die so ihr Missfallen an den nach Februar 1948 herrschenden Verhältnissen zum Ausdruck brachten. Mit den Jahren nahmen jedoch Angst und Anpassung zu, besonders als deutlich wurde, dass man für diese Hilfsbereitschaft gegenüber den Widerständlern teilweise mit vielen Jahren Gefängnis rechnen musste. Die Widerständler selbst bezahlten einen höheren Preis, mitunter sogar mit ihrem Leben. Die größeren Zusammenhänge und ein Gesamtbild von den Aktivitäten – nicht nur des passiven, sondern auch des aktiven Widerstandes – und ihrem oft tragischen Ausgang bringt uns ein Auszug aus einer Studie von Doc. PhDr. Václav Veber näher.

Xaver-Jindra. Widerstand in den Regionen Kutná Hora und Čáslav

Václav Veber

Paměť a dějiny (Gedächtnis und Geschichte) – vierteljährliche Zeitschrift des Instituts für das Studium totalitärer Systeme, Jg. III, 2009, Nr. 1, S. 86–104.

Eigentlich gab es keine Gruppe „Xaver-Jindra“. Ich werde über drei miteinander vernetzte große Gruppen schreiben, die – oft nicht einmal während ihrer gesamten aktiven Zeit – diese Wortverbindung als Erkennungsparole bei der Kontaktaufnahme verwendeten. An den Aktivitäten dieser drei Gruppen waren circa 200–300 Bürger aus den Kreisen Kutná Hora, Čáslav und aus anderen Orten in der Umgebung des Eisengebirges (Železné hory) bis in die Gegend bei Chotěboř beteiligt. Sie alle suchten gemeinsam nach Ideen und Gelegenheiten für die Mitwirkung am passiven oder eventuell aktiven antikommunistischen Widerstand. Sie waren erbittert über die Ereignisse im Februar 1948 und die Niederlage der Demokraten. Wahrlich viele waren unmittelbar persönlich vom kommunistischen Umsturz betroffen, und die Entschlossenheit, sich zu wehren, war groß. Die zentralen Persönlichkeiten des antikommunistischen Kampfes waren in diesem Gebiet zweifellos Karel Hořínek, der die militärische Führung der gesamten geplanten Aktion anstrebte, Jaroslav Němeček, der anerkannte Leiter der Gruppe Čáslav, und Josef Němec, der an der Spitze der Gruppe Kutná Hora stand. Den Untersuchungsakten zufolge war Josef Bičiště, im Februar 1948 Oberrat des Landwirtschaftsministeriums und stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Grundstücksfonds, einer der Begründer der Aktivitäten. Ab 1925 war er Mitglied der Volkssozialistischen Partei und könnte der zweiten Reihe der Parteiführer zugerechnet werden. Es ist bekannt, dass die Kommunisten kurz nach Februar 1948 die Anführer ihrer Gegner eher zur Flucht aus dem Land drängten und mit ihren Persekutionen auf eine andere Gruppe zielten, nämlich auf Parteifunktionäre, die für ihre Führung einen gewissen Rückhalt bildeten. Auch Josef Bičiště wurde noch Ende Februar in Untersuchungshaft genommen. Man beschuldigte ihn, sich aktiv an der Vorbereitung eines angeblichen Überfalls auf den Tschechoslowakischen Rundfunk durch eine Gruppe junger Volkssozialisten beteiligt zu haben. Die Eroberung des Rundfunks sollte den Auftakt zu einem antikommunistischen Aufstand bilden. Es ist nicht bekannt, ob sich die Anschuldigungen auf tatsächliche Taten stützten oder ob es sich um eine frei erfundene Provokation handelte, was in jener Zeit keine Seltenheit war. Sicher ist, dass Bičiště kein Geständnis ablegte und dass ihm auch kein Gesetzesverstoß nachgewiesen werden konnte. Im Juli 1948 wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen (er hatte bereits Hafterfahrung, denn er hatte fünf Jahre im Konzentrationslager Waldheim verbracht). Aus dem Ministerium wurde er allerdings entfernt, und weil es sein Alter ermöglichte, wurde er pensioniert. Als das staatliche Gericht in Brno ihn 1951 zu 17 Jahren Gefängnis verurteilte, konstatierte es ironisch, seine Rentenerträge hätten rund 10 000 Kronen monatlich betragen und man habe daher kein Verständnis für seine Haltung.

Inzwischen wissen wir genau, dass die zweite Reihe der volkssozialistischen Parteiführung nach Februar 1948 nicht untätig war. Nestával, Horáková, Přeučil, Zemínová und andere bildeten die sog. Sechsergruppe, die versuchte, die illegale Volkssozialistische Partei am Leben zu erhalten, die Kontakt zur Parteiführung im Exil aufnahm und die ersten Aktionen organisierte, wie z. B. das Sammeln von Nachrichten über die Situation im Land, die Unterstützung von Familien inhaftierter Parteifunktionäre u. Ä. Koura schreibt, dass die einzelnen Funktionäre Böhmen in Bezirke unterteilten, die sie gewissermaßen unter ihre Fittiche nahmen. Bičiště war sicherlich über diese Aktivitäten informiert und scheint selbst daran beteiligt gewesen zu sein. Weil er in Ledečko nad Sázavou ein Sommerdomizil hatte, war er in dieser Region aktiv, und dass er im Sinne dieser Sechsergruppe arbeitete, kann als erwiesen betrachtet werden. Bei der Gerichtsverhandlung räumte er direkte Kontakte zu Fráňa Zemínová ein. Er habe ihr Lebensmittelmarken und Geld für einen speziellen Fonds zur Unterstützung von Familien inhaftierter Parteifreunde gegeben. Auch von ihm gesammelte Nachrichten ökonomischen und politischen Inhalts habe er ihr übermittelt. Darüber hinaus war er intensiv auf der Suche nach Kontakten zu verlässlichen ehemaligen Volkssozialisten. Bei einem von ihnen erfuhr er von den Aktivitäten Karel Hoříneks (*1901), eines ehemaligen Stabskapitäns, der nach dem Krieg als Kollaborateur verurteilt worden war, aus der Haft geflohen war und sich nun versteckte. Er traf sich mit Hořínek, tauschte sich mit ihm aus, knüpfte aber keinen engeren Kontakt zu ihm an.

Bičiště war sicherlich eine wichtige Persönlichkeit, die zu den Begründern der antikommunistischen Aktivitäten in dieser Region zählte, aber die Ergebnisse dieser Aktionen nur mit ihm und seiner großen Gruppe in Verbindung zu bringen, wäre wohl nicht richtig und würde nicht der Wahrheit entsprechen. Hier herrschte eine allgemeine Tendenz, eine Strömung, hervorgerufen durch die Zeit, vor allem durch die kommunistischen Persekutionen und Praktiken, die den Interessen der Bürger schadeten und ihr demokratisches Empfinden verletzten.

Es gab noch zahlreiche andere Initiatoren antikommunistischer Aktionen, wie beispielsweise Miroslav Krch (*1927), einen vom Aktionsausschuss entlassenen Beamten, der zwar nach seinem erzwungenen Weggang aus Prag in Tábor lebte, der aber versuchte, an seinem ehemaligen Arbeitsplatz Gleichgesinnte zu finden. Er verfasste bereits in der Zeit des XI. Gesamttreffens des Turnvereins „Sokol“ 1948 antikommunistische Flugblätter. Gemeinsam mit Přemysl Stehlík (*1921) und mithilfe seines Bruders, der nach Frankreich geflohen war, erarbeitete er Richtlinien zur Gründung illegaler Gruppen und suchte nach Gelegenheiten, diese umzusetzen. Schließlich fanden sie Zugang zu einer Gruppe, die Václav Fíla (*1921), ein Bauer aus Čáslav, gegründet hatte. Diesem schloss sich auch Jaroslav Němeček (*1908) an.

Fílas Gruppe hatte offenbar ein anspruchsvolleres Programm: Sie beschaffte nicht nur Geld für einen Fonds zur Unterstützung von Häftlingen, sondern auch Waffen, die zwar für die Zukunft gedacht waren, aber die Mitglieder der Gruppe schienen gewillt, auch Gebrauch von ihnen zu machen. Ihr wichtigstes Ziel waren zerstörerische Sabotageaktionen. So stand zum Beispiel bereits der Sprengstoff für die Zerstörung des Sekretariats der kommunistischen Partei KSČ in Čáslav bereit. Das Vorhaben wurde jedoch nicht ausgeführt. Mitte 1949 stellte Fíla aus unbekannten Gründen seine Aktivitäten ein und zog sich zurück. Einem weiblichen Mitglied der Gruppe übergab er eine geheime Mitgliederliste und mit ihr den Auftrag, sie seinem Nachfolger – gedacht war dabei an Jaroslav Němeček – zu übergeben. Dieser Prozess dauerte aber eine ganze Weile.

Darüber hinaus darf die Aktivität und Initiative der sogenannten Agenten – Grenzgänger bzw. Kuriere, die auf dem gesamten Gebiet der Republik unterwegs waren – nicht übersehen werden. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben war die Gründung von Widerstandsgruppen. Viel wissen wir nicht über sie, denn die Staatssicherheit konnte sie meist nicht fassen und verhören. In verschiedenen Untersuchungsakten zu diesem Fall sind allenfalls Randverweise auf sie zu finden. Am häufigsten wird der „Agent CIC“ Evžen Vítek genannt, der in einem Zeitraum von zwei Jahren mehrmals über die Grenze kam, Instruktionen, Ratschläge und Aufgaben mitbrachte und zu einer größeren Entschlossenheit beitrug.

Kindheitserinnerungen

Pavel Hlaváč

Jenes tiefgreifende und erschütternde Erlebnis, die Festnahme meines Vaters durch die Stasileute im Februar 1952, habe ich in der Nummer 4 der Zeitschrift Protestant, Jahrgang 2006, in der Rubrik „Einblicke in den Totalitarismus“ ausführlich und eindringlich beschrieben. Wir waren drei Kinder, ich war noch keine dreizehn, meine Schwester war elf und mein Bruder sieben Jahre alt. Alle drei standen wir um fünf Uhr morgens erschrocken weinend auf dem breiten Ehebett unserer Eltern. Ich spürte eine große Gefahr, und das hinterließ in meinem Bewusstsein tiefe Spuren. Zum ersten Mal erlebte ich etwas so absolut unbegreiflich Böses. Ich weiß nicht mehr, wie sie meinen Vater abführten. Meine Schwester erinnert sich, dass er, als er wegging, in der Tür stehen blieb und sagte: „Die Gerechtigkeit Gottes ist größer als die der Menschen.“ Dann führten sie ihn in Handschellen die Treppe hinab. Sie hinterließen Unordnung und Verwirrung. Erst nach fünf, sechs Jahren hörte ich auf, mich nachts zu ängstigen und einzunässen. Dieses Erlebnis blieb in meinem Kopf haften, es sank ins Unterbewusstsein und schützte mich nicht nur einmal vor der Versuchung, mit einem Regime zu kollaborieren, in dem solche Dinge geschehen können.

Solche oder ähnliche, mitunter vielleicht noch erschütterndere Szenen spielten sich knapp vier Jahre nach der Machtübernahme durch die Kommunisten auch in vielen anderen Familien in Kutná Hora, Čáslav und Golčův Jeníkov ab. Es war die Region, in der sich Jaroslav Němeček, einer der Anführer des Widerstands, 20 Monate lang (von der Zerschlagung der illegalen antikommunistischen Organisation Lichnice am 17. Februar 1950 bis zu seiner Festnahme am 12. November 1952) aufhielt, nachdem ihn die Staatssicherheit im Februar 1950 nicht hatte aufgreifen können. Nach seiner Festnahme begann eine lawinenartige Verhaftungswelle. Etwa dreihundert Personen, vorwiegend Männer, wurden festgenommen. Wie viele unglückliche Ehefrauen, Kinder, Väter und Mütter das waren … Die Väter einer ganzen Reihe meiner Mitschüler und Mitschülerinnen waren in Haft. Es waren auch zahlreiche evangelische Familien aus unserer Gemeinde in Kutná Hora betroffen: Familie Fuchs aus Malín, Familie Houfek aus der Mühle, Familie Dušek vom Gasthof, Familie Šibrava und ein Nachbar, Bruder Horák. Von anderen weiß ich vielleicht gar nichts – niemand hängte das an die große Glocke. Sicher wussten Pfarrer Dus aus Kutná Hora und Pfarrer Jerie aus Čáslav Genaueres. Als unserer Familie dieses Kreuz auferlegt wurde, musste meine Mutter zur Arbeit gehen und hatte es besonders zu Anfang sehr schwer. Eine Stütze war für uns damals Großvater Filip, der Vater meines Vaters, ein Bibelkenner aus dem Böhmisch-Mährischen Bergland. Eine geistliche Zuflucht und ein Umfeld der Liebe und Solidarität fanden die Frau eines politischen Gefangenen und ihre drei noch relativ kleinen Kinder aber auch in der evangelischen Gemeinde Kutná Hora und bei deren Pfarrfamilie.

Wie war das nun eigentlich in Wahrheit mit diesem Němeček gewesen? War es eine Provokation der Staatssicherheit oder nicht? Es ging das Gerücht um, er habe ein Notizheft bei sich gehabt, in das er jeden Besuch für die Staatssicherheit eintrug. In seiner Aussage bei Gericht fehlte nichts, auch die detailliertesten Informationen kamen dort zur Sprache. Die meisten Zeitzeugen bezweifeln, dass es sich um eine Provokation der Staatssicherheit handelte. Zu ihnen gehörte nach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis auch mein Vater und wohl alle, die mit ihm inhaftiert waren, zweimal klingt dies auch im Bericht von Frau Květa X. an und auch meine beiden Geschwister und viele andere sind dieser Ansicht. Bis vor kurzem gehörte auch ich zu ihnen. Dies belegt ein ganzer Absatz in dem bereits erwähnten Artikel in der Zeitschrift Protestant von 2006.

Mein Vater war ein Gewerbetreibender und somit ein Ausbeuter. Er war Maler und Lackierer, also ein schwer arbeitender Ausbeuter. Wenn er jemanden ausbeutete, dann allenfalls sich selbst. Er war vor dem „Siegreichen Februar“ 1948 Sozialdemokrat gewesen, der aber nicht zu den Siegern gehörte, weil er nicht Kommunist wurde. Diese Todsünde erklärte und begründete er auch ab und zu beim Bier, offenbar nicht immer nur seinen Freunden. Manchmal fügte er auch noch kurze Vergleiche der herrschenden Verhältnisse mit den Verhältnissen vor dem Krieg hinzu. Es habe Freiheit geherrscht, anständige Menschen hätten sich nicht vor den Gendarmen und Gerichten fürchten müssen, die Gewerkschaften seien zwar nicht revolutionär gewesen, hätten aber umso mehr die Interessen der Arbeiter vertreten, wie er es selbst erlebt habe, als er Geselle bei einer Malerfirma in Liberec war. Er musste also umerzogen werden, seine eigene Erfahrung war zu revidieren. Er kam unter dem Vorwand ins Gefängnis, dass er einen Agenten und Provokateur nicht angezeigt haben sollte, den die Staatssicherheit zu ihm geschickt hatte. Mein Vater wurde lange im Gefängnis Kutná Hora festgehalten, genauso wie eine ganze Reihe anderer Gewerbetreibender und Bauern. Die Inhaftierung der einheimischen „Ausbeuter, Kulaken und Klassenfeinde“ war der letzte Schritt zur Sozialisierung des Kreises Kutná Hora. Nach der feierlichen Verkündung dieses historischen Ereignisses mussten die unschädlich gemachten Gegner und Heimatverräter bestraft werden. Keine Besuche, keine Päckchen, nur die reine, harte Haft.

Das alles spielte sich in einer kleinen Stadt ab, vor dem Hintergrund der monströsen Prozesse der fünfziger Jahre. Allein 1950 wurden 57 Menschen hingerichtet, 1951 waren es 60 und 1952 wurde mit 66 eine Rekordmarke erreicht. Es handelte sich dabei fast ausnahmslos um Justizmorde, dazu kamen viele lebenslange Haftstrafen und tausende Jahre Gefängnis für unschuldige Menschen. Die Kommunisten hatten jedoch gleich nach dem „Sieg des werktätigen Volkes“ im Februar 1948 begonnen, Menschen zu verhaften und zu ermorden. Das erschütternde Kapitel der gesetzwidrigen gewaltsamen Liquidierung der römisch-katholischen Hierarchie, der Männer- und in erheblichem Maße auch der Frauenorden fällt in das Jahr 1949, ebenso wie die Liquidierung der militärischen Elite mit General Heliodor Píka an der Spitze. Dann kamen die Demokraten an die Reihe, die vor dem Februar versucht hatten, das Land vor dem aufstrebenden Totalitarismus der Kommunisten zu bewahren. Die Bekannteste dieser Demokraten war die trotz der Proteste und Gnadengesuche aus der ganzen Welt hingerichtete Dr. Milada Horáková. Dieses Mitglied der evangelischen Gemeinde Prag-Smíchov wurde zum Symbol einer selbstlosen Menschlichkeit, im Gegensatz zum Barbarentum der bolschewistischen Mörder, die vor nichts Halt machten, was böse ist.

Die Genossen in Kutná Hora wollten nicht zurückstehen und taten dies auch nicht. Hinrichtungen waren in diesem Fall zwar nicht geplant. Den Schuldigsten unter ihnen, deren Heimatverrat darin bestand, dass sie dem von der Staatssicherheit vorgeschobenen und beobachteten Němeček eine Suppe oder einen Schlafplatz, einen Mantel, Strümpfe oder einen Schal gegeben hatten, wurde jedoch ein monströser Prozess gemacht. Das Ganze spielte sich auf der Bühne des Tyl-Theaters ab, in dem die „Wut“ der dort hineingetriebenen Masse förmlich überkochte. Diese Leute waren manipuliert und vor allem eingeschüchtert. So missbrauchte das Regime Menschen, die im Grunde redlich waren. Bei der Verhängung von lebenslangen Urteilen und hohen Strafen wurde in Kutná Hora im Zuschauerraum des Tyl-Theaters applaudiert.

Der Prozess gegen meinen Vater und andere kleinere Delinquenten fand in dem Gerichtsgebäude statt, wo einhundert Jahre zuvor Karel Havlíček Borovský freigesprochen und von der jubelnden Menge auf den Schultern hinausgetragen worden war. Meinen Vater und seinen Mitangeklagten trug jedoch niemand auf den Schultern hinaus. Im Gegenteil: Eine nette Nachbarin sagte dort an die Adresse meines Vaters gewandt, der ein Kirchenältester der EKBB-Gemeinde in Kutná Hora und alles in allem ein guter Mensch war, der es nicht einmal fertig brachte, ein Kaninchen zu schlachten: „Da muss man sich ja fürchten, auf die Straße zu gehen, wenn es unter uns solche Verbrecher gibt.“ Wen die kommunistische Maschinerie vor Gericht stellte, dem wurde keine Gerechtigkeit und schon gar keine Gnade zuteil. So war das. Solch eine große Unliebe, Niedertracht und Feigheit herrschte damals. Wie viel Leid und Schmerzen brachte der Kommunismus auch über ganz einfache Menschen. Wie man sieht, hatte ich schon als Junge und auch später nicht den geringsten Grund, über die Ideologie und Praxis des Kommunismus etwas Gutes zu denken. Unter dem Einfluss der mir nahestehenden, zuverlässigen Erwachsenen lernte auch ich damit zu rechnen, dass es eines schönen Tages, schon bald, ganz bestimmt ein Ende hat. Ich hörte von Kindheit an Radio Freies Europa und die Stimme Amerikas und freute mich, dass dieses Ende schon im Herbst kommen wird, dann aber doch bestimmt im Frühjahr und danach doch wieder im Herbst und dann aber sicher im Frühjahr.

Heute, nach dem Studium der Archivmaterialien und vor allem nach der sehr aufmerksamen Lektüre der Studie Václav Vebers, blicke ich anders, vielleicht weniger realsozialistisch auf dieses Problem. Ich ahnte nicht im Geringsten, dass es unmittelbar nach Februar 1948 so viele antikommunistische Aktivitäten gab. Genau das war es, was J. L. Hromádka ablehnte – aber er übertrieb wiederum die Loyalität gegenüber den Kommunisten.

Václav Veber zeigt in seiner Studie, dass sich kurz nach dem Umsturz im Februar 1948 an vielen Orten in unserem Land der passive und aktive Widerstand gegen den kommunistischen Totalitarismus zu formieren begann. An dieser Bewegung beteiligten sich viele von denen, die nicht die Hände in den Schoß legen und warten wollten, bis sich die neue Macht etabliert hat. Dahinter stand jedoch häufig das Wunschdenken, dass das kommunistische Regime nicht lange dauern möge, dass es bald am Ende sei, dass der „Westen das nicht zulassen wird“ u. Ä.

Heute denke ich, dass die berechtigte, aber ungeduldige Sehnsucht nach der verlorenen Freiheit, persönlicher Mut, aber ungenügende politische Besonnenheit, die Tatsache, dass dies alles am Beginn eines sehr langen kalten Krieges stand, und eine brutale Polizeimacht, die einem auf Schritt und Tritt im Nacken saß, zum Misserfolg all jener überraschend zahlreichen Widerstandsgruppen, mutigen Illegalen und abenteuerlustigen Partisanen am Ende der vierziger und im Laufe der fünfziger Jahre führten. Den Widerstand gegen eine rücksichtslose, undemokratische Macht zu organisieren und illegal im dicht besiedelten Mittelböhmen unterzutauchen, wo es nicht viele Verstecke gibt, denn es gibt hier weder unzugängliche Berge noch einen undurchdringlichen Dschungel, sondern an jeder Ecke einen Stasimitarbeiter oder Spitzel, ist äußerst schwierig und kann nicht von langer Dauer sein. Aber es war eine Zeit, in der man landläufig davon ausging, dass das kommunistische Regime das Jahr 1949 nicht überleben wird … Die Mitglieder der Gruppe „Wir halten die Treue“ (Věrni zůstaneme) rechneten damit, dass der Umsturz spätestens bis zum 17. November 1949 erfolgen würde… Die Mitglieder der Widerstandsgruppen waren der Ansicht, dass das militärische Kräftemessen eine kurzfristige Angelegenheit sei, dass die überwiegende Mehrheit der Öffentlichkeit gegen das Regime eingestellt sei und kein massiver Verrat ihrer Aktivitäten drohe. Das erwies sich jedoch als eine falsche Annahme, besonders nach mehreren Jahren der kommunistischen Einschüchterung und Manipulation. Es war ein großer Fehler, dass man bei der Konspiration nicht gründlicher vorging, dass überall über alles leichtsinnig gesprochen wurde und so auch das bekannt war, was niemand wissen sollte. Unter den gegebenen Umständen war es tatsächlich nur eine Frage der Zeit, bis die Staatssicherheit und ihre Agenten in das illegale Netzwerk eindringen konnten. So war es am Ende bei der Zerschlagung aller Widerstandsgruppen.

Nun noch zu Němeček selbst: Ich kann mir nicht denken, dass er ein Stasi-Agent war, dass er zu denen ging, zu denen er geschickt wurde. Ja, er war ein Widerstandskämpfer, und in seiner Not und angesichts der Not und Bedrohung derer, die sich versteckten und für die er verantwortlich war, ging er zu seinen Bekannten und suchte Orte, wo er übernachten könnte, wo ein anderer Partisan versteckt werden könnte, wo ihm Nahrung gewährt würde, suchte Menschen, die sich ihm und seinen Aktivitäten anschließen würden. Wie umfangreich die Aktivitäten waren, die Jaroslav Němeček organisierte, kann man an der großen Zahl der Angeklagten und Verurteilten ablesen. Er selbst stand zweimal vor Gericht – einmal mit einer Gruppe von 14 Mitstreitern und beim zweiten Mal mit 52 anderen. Darüber hinaus gab es separate Verhandlungen mit weiteren Mitstreitern: eine mit 48, eine mit 23, eine dritte mit einer 15-köpfigen Gruppe, und, und, und … Wenn er so viele Menschen in so gefährliche Aktivitäten einbezog, hätte er – hart und derb ausgedrückt – ein Mann sein müssen und kein geschwätziges Weib, das den Stasileuten alles ausplaudert. Er berichtete jedoch über alle, die ihm geholfen und mit ihm zusammengearbeitet hatten, absolut alles – bis in die kleinsten unwichtigen Details.

Trotzdem muss ich am Ende dieser kritischen Erwägungen deutlich hervorheben, dass all diese antikommunistischen Aktivisten bzw. Widerstandskämpfer, die von der Diktatur verfolgt und bestraft wurden, mutige und edle Menschen waren und sind (wenn sie noch leben), die auf dem Altar der Freiheit ihrer und unserer Heimat ein Opfer dargebracht haben. Es war kein vergebliches Opfer, auch wenn viele von ihnen die Freiheit nicht mehr erleben durften. Diese unsere Freiheit ist mit ihrem Opfer erkauft und wir sind ihnen dafür dankbar. Sie kämpften und erlitten Unrecht für die Gerechtigkeit und Freiheit. Ein solcher Kampf steht unter der ewigen und unverrückbaren Verheißung Gottes.

Bohumil Jan Dittrich

Die beiden oben genannten evangelischen Pfarrer Jaroslav Choděra und Jaroslav Ryšavý wurden in inszenierten Prozessen angeklagt und zu Unrecht verurteilt. Sie verbüßten schwere Gefängnisstrafen, aber trotz der grausamen Zeit wurden sie nach Gesuchen und Interventionen der engsten Familienangehörigen und Professor J. L. Hromádkas bei den höchsten politischen Repräsentanten aus dem Gefängnis entlassen. Beide wurden vom Präsidenten begnadigt und konnten noch vor Verstreichen der Haftdauer nach Hause zu ihren Familien zurückkehren. Der dritte evangelische Pfarrer, der am 31. August 1950 – sogar zusammen mit dem gesamten Kirchenvorstand und dessen Senior – festgenommen wurde, war Pfarrer Bohumil Jan Dittrich aus Chomutov. Seine Strafverfolgung wegen Hochverrats, Spionage, Geheimnisverrats und Aufwiegelei gegen die Republik wurde vom Staatsanwalt in Prag nach sechzehn Monaten Untersuchungshaft eingestellt, weil keine der Straftaten, derer er verdächtigt wurde, bewiesen werden konnte. So konnte auch Pfarrer Dittrich, der von seiner Familie und Freunden „Bobesch“ genannt wurde, vor dem Weihnachtsfest 1951 nach Hause zurückkehren. Von den drei erwähnten Pfarrern blieb am Ende nur ein einziger weiter im kirchlichen Dienst. Die Geschichte des Pfarrers Bohumil Dittrich wurde von Tomáš Jun, Student der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Karlsuniversität Prag, näher beleuchtet. Seine Arbeit für diese Publikation wurde vom Vorsitzenden der Kommission, Pavel Hlaváč, redigiert.

Bis zum Ende des Krieges

Bohumil Jan Dittrich wurde am 25. Juni 1921 in Polička als Sohn eines Hausierers geboren und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Familie Dittrich war in der evangelischen Gemeinde aktiv. Bohumil absolvierte die Volks- und Bürgerschule in Polička und besuchte anschließend das örtliche Realgymnasium. Dort legte er 1941 das Abitur ab. In den Ferien beantragte er beim Synodalrat, „unter die sich vorbereitenden kirchlichen Mitarbeiter aufgenommen zu werden“. Seinem Antrag vom 24. Juni 1941 stattzugeben, wurde von Pfarrer Vladimír Pokorný aus Borová wärmstens empfohlen:

„Bruder Bohumil Dittrich ist der Gemeindearbeit in Polička sehr ergeben. Er ist an allen Arbeitsfeldern interessiert. Bohumil Dittrich leitet die Sonntagsschule, (…) Er ist Vorsitzender der Gemeinde in Polička und kümmert sich aufopferungsvoll um ein regelmäßiges Programm für sie. In der kirchlichen Arbeit ist er überaus eifrig und beharrlich. Am Gymnasium war er in Religion mein bester Schüler. Er ist ein ernster junger Mann und ich kann ihn dem Synodalrat als geeignet für die Vorbereitung zum geistlichen Dienst wärmstens empfehlen.“

Auch der Senior des Seniorats Polička, Josef Dvořák aus Proseč, leitete den Antrag von Bruder Bohumil Dittrich „in brüderlicher Hochachtung an den ehrwürdigen Synodalrat zur freundlichen Prüfung“ weiter. Es war jedoch die Zeit des Protektorats Böhmen und Mähren und alle Hochschulen, also auch die theologische, waren geschlossen. Der Synodalrat war in dieser unseligen Zeit mit der Frage beschäftigt, wie er seine Theologen vor dem Reichsarbeitsdienst in der Rüstungsindustrie schützen und gleichzeitig die Weiterführung der Heranbildung des theologischen Nachwuchses sicherstellen konnte. Unter dem Patronat des Synodalseniors Josef Křenek begann Dozent J. B. Souček am Synodalrat ein illegales Theologiestudium zu organisieren, das die Lehrpläne und Prüfungen der Vorkriegsfakultät übernahm. Die ehemaligen Studierenden und die neuen Kandidaten für den kirchlichen Dienst wurden meist als Bürokräfte in den Pfarrbüros oder als Katecheten angestellt. Um sie vor dem Einsatz als Zwangsarbeiter zu bewahren, wurden sie als „vorläufige Diakone“ geführt, denn Diakone waren von der Wehrpflicht ausgenommen. An der Korrespondenz des Synodalrats mit Dittrich aus diesen Jahren ist zu erkennen, mit welcher Sorgfalt, pastoralen Weisheit, aber auch mit welchem Mut die Kirchenleitung in dieser schweren Zeit handelte.

Auch Bruder Dittrich trat, nachdem er in die Liste der Theologen aufgenommen worden war, Anfang 1942 eine Stelle als Büropraktikant und Hilfsdiakon in der Filialgemeinde Polička an. Bedingung für diesen Dienst war das Ablegen eines Eides gemäß Dekret des Staatspräsidenten Emil Hácha. Einen solchen Eid mussten damals nicht nur alle staatlichen Angestellten, sondern auch alle Pfarrer unterschreiben. Es war ein vom totalitären Regime erzwungener Eid, und wie wir noch sehen werden, erzwang auch die spätere Diktatur die Gefolgschaft ihrer Untergebenen. Offenbar musste man dem zweckorientiert und unverbindlich gegenübertreten. Der Wortlaut des Eides war folgender:

„Ich gelobe, dem Führer des Großdeutschen Reiches, Adolf Hitler, als dem Schutzherrn des Protektorates Böhmen und Mähren Gehorsam zu leisten, die Belange des Großdeutschen Reiches zum Wohle des Protektorates Böhmen und Mähren zu fördern, die Anordnungen des Oberhauptes und der Regierung des Protektorates Böhmen und Mähren zu befolgen, die Gesetze zu achten und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen.“

Diesen Eid unterschrieb Bohumil Dittrich in Polička am 26. Juli 1942. Doch auch das half nichts und Dittrich wurde schon Ende jenes Jahres zur Zwangsarbeit in die Wumag-Fabrik nach Görlitz geschickt. Gleich zu Beginn des darauffolgenden Jahres hatte er einen Arbeitsunfall, wurde entlassen und nach Bohuslavice nad Vláří in die Firma Detona abkommandiert, wo er als Büropraktikant arbeitete. Von dort fuhr er regelmäßig nach Polička und widmete sich der Gemeindearbeit, genauso wie vor der Zwangsarbeit.

Am 5. Mai 1943 ersuchte Dittrich den Synodalrat um „Dispens zur Eheschließung“ und gab sein „Ausscheiden aus dem Studium“ bekannt. In Telecí bei Polička heiratete er am 15. Mai Vlasta Bednářová, die mit ihm nach Vlachovice ging, wo am 16. Dezember 1943 ihr ältester Sohn Jan geboren wurde. Als der Krieg im Mai 1945 zu Ende war und die Hochschulen wieder öffneten, setzte Dittrich sein Theologiestudium an der damaligen Theologischen Hus-Fakultät fort. Am 26. September 1946 gab es einen weiteren Familienzuwachs – die in Svitavy geborene Tochter Lia.

Nach dem Krieg

Im Jahr 1947 erhielt Dittrich die Gelegenheit, im Rahmen des Studiums ins Ausland zu reisen. Er entschied sich für die USA, vielleicht weil die Mutter seiner Frau Vlasta in New York lebte. Das Studium wurde vom Synodalrat der EKBB genehmigt und er erhielt auch ein Stipendium der amerikanischen Presbyterianischen Kirche. Im Laufe des Sommers 1947 erledigte er alle erforderlichen Formalitäten für einen einjährigen Studienaufenthalt am Austin Presbyterian Theological Seminary in Texas. Dittrich hatte die Erlaubnis, vierhundert amerikanische Dollar zu kaufen, aber er hatte nicht genügend Geld und erwarb nur dreihundert Dollar. Sein Kommilitone Lubomír Miřejovský gab ihm den Kontakt zu einem Tschechoamerikaner namens Horák, der an den Dollars interessiert war. Dittrich kaufte von Horáks Kronen noch die restlichen einhundert Dollar zu, um sie bei seiner Ausschiffung in New York an Blahoslav Hrubý zu übergeben, was Dittrich nach seiner Ankunft in den USA auch tat. Diese Begegnung und eine unschuldige Transaktion verwendete die Staatssicherheit später bei der Konstruktion seines Strafprozesses gegen Dittrich.

In New York blieb Dittrich kurze Zeit bei seiner Schwiegermutter, dann fuhr er nach Austin in Texas, wo er sein Studium am theologischen Seminar aufnahm. Schon sehr bald schloss er sich den Gemeinden der Nachfahren tschechischer Emigranten an – den Mährischen Brüdern. Er war dort als Prediger und Seelsorger sehr beliebt. Während seines Aufenthaltes in den USA führte er ein Tagebuch, das später von der Staatssicherheit beschlagnahmt wurde. Daraus erfahren wir unter anderem, dass er dort praktisch jeden Sonntag predigte. Am häufigsten predigte er in den Gemeinden Granger und Taylor. Diese beiden Pfarrstellen waren schon zwei Jahre unbesetzt und Dittrich wurde gebeten, noch zu bleiben und dort als Pfarrer zu arbeiten. Es wurde ihm sogar auch am Seminar ein Stipendium für das folgende Jahr angeboten. Im Frühjahr 1948 führte Bohumil Dittrich einen Schriftwechsel über die Möglichkeit, seinen Aufenthalt in den USA zu verlängern. In der Zwischenzeit hatte sich jedoch die politische Situation in der ČSR radikal verändert. Dass seine Frau und seine Kinder nachkommen könnten, war unwahrscheinlich. Trotzdem richteten die Mitglieder der Gemeinden Granger und Taylor die Bitte an den Synodalrat der EKBB, ihm für mindestens ein weiteres Jahr eine Studienerlaubnis zu erteilen. Der Antrag war auf drei Blättern mit 112 Unterschriften der Mitglieder der beiden Gemeinden versehen, unter denen tschechische Nachnamen vorherrschten. Auch der Kurator der Gemeinde Frank R. Bartoň schrieb als „Landsmann und Freund an seinen Freund“, Dekan J. L. Hromádka. Am Ende wurden alle Anträge und Bitten, dass Dittrich bleiben konnte, abgelehnt. Synodalsenior Josef Křenek antwortete Bohumil Dittrich im Juli 1948, der Synodalrat wolle, dass er sein Studium in Prag beende und so bald wie möglich seinen Dienst in einer Gemeinde seiner eigenen Kirche, der EKBB, antrete. Letztendlich verlängerte Bohumil Dittrich seinen Aufenthalt in den USA nur um drei Monate und kehrte im Dezember 1948 gehorsam nach Hause zurück.

Im Sommer 1949 schloss er in Prag sein Studium ab und schaute sich um, wo er in den kirchlichen Dienst treten könnte. Es wurde ihm die grenznahe Gemeinde in Chomutov empfohlen, von wo gerade Vikar Oldřich Vraný nach Litvínov gegangen war. In Chomutov stellte sich Dittrich am 13. 6. 1949 dem Kirchenvorstand vor. Am 15. 7. 1949 wurde er zum Vikar gewählt. Dittrich betreute nicht nur die Gemeinde vor Ort, sondern auch die Filialgemeinden Jirkov und Ervěnice. Nichts sprach dagegen, dass die Gemeinde ihren Vikar zum Pfarrer wählte. Der Kreiskirchensekretär in Ústí nad Labem erteilte die vorläufige staatliche Zustimmung zur Pfarrerwahl nur demjenigen, der den allen Pfarrern vorgeschriebenen Treueeid leistete. Das Gemeindeleben entwickelte sich erfreulich und man bereitete die Wahl des Pfarrers vor. Dem Ehepaar Dittrich wurde am 30. 5. das dritte Kind geboren, ihr Sohn Dan.

Festnahme und Ermittlungsverfahren

Die Gemeindeversammlung wählte am 11. Juni 1950 im Beisein von 106 Gemeindemitgliedern Bohumil Dittrich zu ihrem Gemeindepfarrer. Am selben Tag wurde die Berufungsurkunde unterzeichnet. Auf die Wahl sollte die Einführung des neuen Pfarrers folgen. Es kam jedoch nicht dazu, denn am 31. August wurde der gesamte Kirchenvorstand, bis auf einen einzigen Bruder, in Untersuchungshaft genommen. Die meisten von ihnen wurden nach einem Monat freigelassen. Pfarrer Dittrich, Bruder Vlček und Schwester Jasná blieben jedoch sechzehn Monate in Haft.

Kurz nach ihrer Machtübernahme focht die kommunistische Partei in der von ihr beherrschten Gesellschaft zahlreiche Kämpfe aus – nicht nur den Klassenkampf, sondern auch den Kampf gegen den religiösen Obskurantismus. Im Namen des Marxismus-Leninismus und des Atheismus wurde das kirchliche Leben eingeschränkt und unterdrückt. Sehr viel mehr Gewalt erlebten – vor und nach dem Erlass der Kirchengesetze im Jahr 1949 – die katholische Kirche und kleine Kirchen „imperialistischer Herkunft“, insbesondere die Baptisten und Adventisten. Das kommunistische Regime wollte offenbar auch der größten nichtkatholischen Kirche im Staat mit Wachsamkeit begegnen und suchte nach einer Gelegenheit für repressive und einschüchternde Maßnahmen gegen sie. Im nördlichen Grenzgebiet war das religiöse Leben nach der Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei und der Auflösung der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien stark zurückgegangen. Nun war dort plötzlich eine lebendige und wachsende evangelische Gemeinde entstanden. Das musste den Mächtigen vor Ort ein Dorn im Auge sein. Dies könnte die Erklärung für jenes massive Einschüchterungsmanöver sein, bei dem der Chomutover Pfarrer, der gesamte Kirchenvorstand und sogar des Senior der Seniorats Ústí, Zdeněk Somolík aus Teplice, festgenommen wurden. Dass Dittrich kurz zuvor in den USA studiert hatte, kam ihnen sehr gelegen.

Es war der eifrige Stasimitarbeiter Wachtmeister Řezníček, der diese Gelegenheit ergriff. Er unterzog jeden einzelnen der Inhaftierten gleich nach Verhängung der Untersuchungshaft zahlreichen Verhören. Anfang der fünfziger Jahre war das Ziel solcher Ermittlungen, eine staatsfeindliche Gruppe zu konstruieren und alle des Hochverrats, der Spionage, des Geheimnisverrats und der Aufwiegelei gegen die Republik anzuklagen. Für solche schwerwiegenden Anschuldigungen wurden damals die höchsten Strafen bemessen. Nach einer Serie zermürbender Verhöre bekannten sich der deprimierte Dittrich und die beiden Freunde, gegen die ebenfalls ermittelt wurde, zu allen ihnen vorgeworfenen Punkten. Nach den ersten Verhören, aus denen Řezníček eine ganze Reihe völlig absurder Anschuldigungen konstruierte, schickte dieser am 10. Oktober 1950 einen Bericht über diese Aktion mit dem Decknamen „ABSCHLUSS“ zur Kommandantur der Staatssicherheit nach Prag. Das repressive Organ des kommunistischen Machtapparats ließ ihm von oberster Stelle mehr oder weniger freie Hand: „Bei der Aktion ABSCHLUSS geht es um die Gruppe des Pfarrers Dittrich, die für ihre Spionagetätigkeit vom Tschechoamerikaner Hrubý instruiert wurde. Die Gruppe war noch nicht reif, tätig zu werden, denn in letzter Zeit, nach dem Weggang Hrubýs, war sie fast gar nicht aktiv. Es ist auch nicht gelungen, diese Verbindung vollständig aufzudecken (…) Die Form der Aufwiegelei durch Dittrich bei den Gottesdiensten muss noch geklärt und konkretisiert werden (…) Es sei daran erinnert, dass der Einsatz eines Mitarbeiters als Zeuge gegen die Inhaftierten durch seine weitere Mitarbeit bei der Staatssicherheit unmöglich ist (…) Der Fall muss so bearbeitet werden, dass die in Ihrem Bericht gemachten Angaben durch Beweise und Zeugenaussagen belegt werden, sodass der Fall politisch ausgenutzt werden kann. Untersuchen Sie den Fall weiter in eigener Zuständigkeit.“

Wachtmeister Řezníček produzierte binnen weniger Monate eine 286seitige „Gruppenakte zur staatssicherheitlichen Untersuchung gegen Bohumil Dittrich & Co.“. Seine Strafanzeige, die in dieser Akte enthalten ist, umfasst 69 Seiten. Die Nebenakte hat weitere 85 Seiten. Sich in dieser Akte zu orientieren, ist nicht leicht, denn es fehlen darin, so wie sie heute erhalten ist, viele Blätter und oft wurden einzelne Seiten der Akte umgeheftet und umnummeriert. In dem Fall figurierten ein Stasimitarbeiter und in die Gefängniszelle eingeschleuste Provokateure, es gab zweifelhafte und völlig absurde Geständnisse, eine verwirrende Rolle spielten untergeschobene und abgefangene Kassiber und eine Reihe weiterer offensichtlicher Manipulationen. Die wichtigste Passage der Strafanzeige war folgendermaßen formuliert:

„Alle Angeklagten, gegen die Strafanzeige gestellt wurde, verleitete der Hass gegen das werktätige Volk und seinen Aufbaueifer zu verbrecherischen staatsfeindlichen Aktivitäten. Es fanden sich hier ein Pfarrer, eine Lehrerin, ein Beamter, Angehörige der Bourgeoisie und Bewunderer des westlichen, „amerikanischen“ Lebensstils zusammen, um die Republik zu zersetzen und die Rückkehr der alten kapitalistischen Verhältnisse vorzubereiten, die ihnen genehm waren und von denen sie für sich Vorteile und die Wiedererlangung der früheren übergeordneten Stellung ihrer Klasse erhofften. Bohumil Dittrich trat in direkten Kontakt zum Agenten eines ausländischen Nachrichtendienstes Blahoslav Hrubý, dem er im April 1950 Berichte über die Verhältnisse und einige Industriebetriebe im Kreis Chomutov übergab. Zur Beschaffung geheimer Informationen nutzte er Olga Jasná, Zdeněk Vlček und andere zufällige Personen. Olga Jasná, die wusste, dass Dittrich in Kontakt mit Hrubý stand und davon ausging, dass diese Kontakte staatsfeindlichen Charakter hatten und der Spionage dienten, holte Informationen über den ehem. Angehörigen der Staatssicherheit Václavík ein und brachte Details über dessen derzeitige Beschäftigung im Betrieb Chronotechna in Chomutov, über die Verhältnisse in diesem Betrieb, was über ihn erzählt wurde u. Ä. in Erfahrung. Die gesammelten Erkenntnisse teilte sie dann in einem Gespräch Dittrich mit, denn sie wusste, dass ihn alle Angelegenheiten interessierten, welche die Verhältnisse im Kreis Chomutov betrafen. Die genannte Person sollte nach Aussage Dittrichs später ebenfalls für die Weitergabe von Spionageberichten an Hrubý genutzt werden, was nur durch ihre Festnahme verhindert wurde. Vlček äußerte, obwohl er nichts von den Kontakten Dittrichs zu Hrubý wusste, Dittrich gegenüber offen seine feindliche Einstellung und brachte über ihm bekannte Arbeiter gewichtige Tatsachen in Erfahrung, welche die Walz- und Stahlwerke in Chomutov betrafen. Die so gewonnenen Erkenntnisse teilte er in einem Gespräch Dittrich mit, der sie wiederum in seiner Spionagemeldung für Hrubý verwendete. Vlček beging durch sein Handeln zweifellos Geheimnisverrat in Bezug auf die DOS-Betriebe. Alle Beschuldigten brachten dann bei verschiedenen Gelegenheiten durch feindselige, aufwiegelnde Äußerungen ihre reaktionäre Einstellung zum Ausdruck, in dem Sinne, dass die gegenwärtige Staatsordnung in der ČSR keinen Bestand haben werde, dass es zur Rückkehr der kapitalistischen Ordnung kommen werde, nötigenfalls um den Preis einer militärischen Intervention der westlichen imperialistischen Mächte.“ Die Bezirkskommandantur der Staatssicherheit in Ústí nad Labem schickte dieses Werk des Wachtmeisters am 20. Juli 1951 nach Prag. Für den Prager Führungsstab war jedoch die primitive ideologische Diktion dieser Anzeige unübersehbar. Gleich am nächsten Tag schickte der Bezirkskommandant der Staatssicherheit in Ústí nad Labem zu Händen des Genossen Staatsanwalt einen kurzen Brief nach Prag, in dem er darauf aufmerksam machte, dass in der gestern zugesandten Strafanzeige gegen Bohumil Dittrich und Co. „(…) Slavoj Václavík vorkommt. Im gegebenen Fall handelt es sich um einen Mitarbeiter der Staatssicherheit, weshalb ich darum bitte, gegen ihn kein Gerichtsverfahren zu führen. Des Weiteren merke ich an, dass Václavík kurz vor der Festnahme der genannten Gruppe dekonspiriert und zur Verschleierung der feindlichen Tätigkeit Dittrichs und Co. von ihnen der Staatssicherheit gemeldet wurde.“ Die Staatsanwaltschaft in Prag beschloss, diesen Fall zu übernehmen, offenbar weil sich aufgrund einer Reihe von Interventionen höchste politische Stellen für die Sache zu interessieren begannen. Sie erbaten aus Ústí nad Labem die gesamte Dokumentation zum Fall „Dittrich und Co“. Dittrich wurde zum Verhör nach Prag geholt und am 9. 11. 1951 im Untersuchungsgefängnis des Staatsgerichts zu zwei wichtigen Umständen befragt, die Licht in die Sache bringen sollten: Die erste Frage betraf die abgefangenen Kassiber und die Kassiber, die ihm untergeschoben worden waren. Hier hatte er die Möglichkeit auszusagen, dass er seiner Frau geschrieben hatte, wessen er bezichtigt wurde, damit sie mit „Prof. Hromádka, der bei einem Regierungsvertreter intervenieren könnte, über meine Festnahme spricht, damit mein Fall schnell abgeschlossen wird und damit Hromádka auch einige Umstände meinen Aufenthalt in den USA betreffend aufklären könnte … lieber lasse ich mich überführen, als Dinge zu gestehen, die ich nicht getan habe.“ Bei der zweiten Vernehmung sollte Bohumil Dittrich aussagen, wann und wie lange er in Einzelhaft war, wann und wie er verhört wurde, wer zu ihm in die Zelle verlegt wurde und worüber sie gesprochen hatten. Dabei hatte er die Gelegenheit zu sagen, dass er gezwungen worden war auszusagen, er habe eine staatsfeindliche Gruppe gegründet und Spionage betrieben, „sie lasteten mir Dinge an, die ich nicht getan habe“ u. Ä. Bei der Staatsanwaltschaft wurde alles geprüft und schließlich stellte der stellvertretende Staatsanwalt per Beschluss Nr. 4 SPt I 90/51–9 vom 20. Dezember 1951 den Fall „Dittrich und Co.“ ein: „Ich stelle das Strafverfahren, das wegen des Verdachts der staatsfeindlichen Tätigkeit gegen J. B. Dittrich, geb. am 25. 6. 1921, Olga Jasná, geb. am 5. 10. 1921, und Zdeněk Vlček, geb. am 31. 12. 1894, gemäß §89/1c Strafprozessordnung geführt wird, ein und entlasse sie im Sinne von §104 Strafprozessordnung in die Freiheit. Gründe: Der Verdacht einer Straftat gegen den Staat wurde nicht hinreichend begründet, deshalb wurde entsprechend entschieden.“

Nach dem Schock, den die Festnahme Pfarrer Dittrichs, seines Kirchenvorstandes und seines Seniors ausgelöst hatte, versuchten selbstverständlich viele Menschen, den Inhaftierten zu helfen. Oft engagierte sich in solchen Fällen Prof. J. L. Hromádka. Dieser konnte als Mitglied des Zentralen Aktionskomitees der nationalen Front privat und dienstlich mit einer ganzen Reihe von Staats- und Parteifunktionären kommunizieren, z. B. mit Zdeněk Fierlinger und Alexej Čepička. Einige Belege für derartige Interventionen konnten wir ausfindig machen. In Hromádkas Nachlass sind auch Dokumente über Interventionen zugunsten inhaftierter Pfarrer erhalten. Des Weiteren sind Informationen über seine Interventionen im Nationalarchiv, im Bestand „Staatsbehörde für kirchliche Angelegenheiten“ oder in den Beständen der damaligen Regierungs- und Parteifunktionäre zu finden, so beispielsweise ein Brief Hromádkas vom Ende des Jahres 1950 an Minister Čepička, in dem er sich für evangelische Pfarrer einsetzt, die später gemeinsam freigelassen wurden. Es ist nicht gelungen, Fierlingers Brief aufzufinden, den er am 12. November 1951 an Justizminister Štefan Rais schrieb und in dem er offenbar den Auftrag gab, die Freilassung von drei inhaftierten Pfarrern zu veranlassen und ihm darüber Mitteilung zu machen.

Die verzweifelte Ehefrau Bohumil Dittrichs, Vlasta Dittrichová, schrieb bereits am 19. November 1951 an J. L. Hromádka und bat ihn um Beistand für ihren Mann:

 „Sehr geehrter Herr Professor, entschuldigen Sie bitte meine Vermessenheit, aber ich bin ratlos und wende mich an Sie mit der Bitte um Rat oder Hilfe. (…) Mein Mann war – und so haben sicher auch Sie ihn gekannt – kein Mensch, der sich mit Politik befasste. Ihm ging es hauptsächlich um die Verbreitung des Evangeliums Christi hier auf Erden. Diesem Ziel und seiner Gemeinde widmete er all seine Zeit. Ich kenne meinen Mann gut und weiß, dass er unschuldig ist. Es liegt hier also ein Missverständnis vor, das geklärt werden muss. Ich weiß jedoch nicht, an wen ich mich wenden soll, damit dieser Fall, der schon fast 15 Monate dauert, endlich gelöst wird. Von meinem Mann habe ich seit dem 2. August, als er aus dem Gefängnis in PragPankrác schrieb, keine Nachricht. Ich bitte Sie daher, wenn es Ihnen denn möglich ist, mir zu helfen. Vielen Dank.

Es grüßt Sie und Ihre Familie herzlich V. Dittrichová, Chomutov.“

Der Bericht des Justizministers an den stellvertretenden Ministerpräsidenten, der gleich am ersten Arbeitstag des Jahres 1952 aufgesetzt wurde, informiert über die Freilassung von drei Pfarrern:

„Sehr geehrter Genosse, zum Brief vom 12. November 1951 teile ich Dir mit: Jaroslav Choděra und Jaroslav Ryšavý wurde aufgrund eines Beschlusses des Präsidenten der ČSR vom 19. Dezember 1951 der Rest ihrer Strafe erlassen (…) Was den Fall J. B. Dittrichs aus Chomutov betrifft, teile ich Dir mit, dass J. B. Dittrich, Pfarrer der EKBB in Chomutov, am 1. September 1950 wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten festgenommen wurde. Diese Straftat wurde J. B. Dittrich jedoch nicht nachgewiesen, weshalb der Staatsanwalt in Prag die Strafverfolgung gegen ihn mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft eingestellt hat. Mit sozialistischem Gruß (…)“

Dittrich konnte kurz vor Weihnachten zu seiner Familie und zu seiner Gemeinde in Chomutov zurückkehren. Im Untersuchungsgefängnis hatte er fast sechzehn Monate verbracht. Doch auch nachdem er diese Prüfung überstanden hatte, machte man es ihm nicht leicht. Schon am 29. Dezember 1951 schrieb ihm der Synodalrat: „(…) gestern war eine Abordnung des Kirchenvorstands bei uns, die sehr nachdrücklich den Wunsch vorbrachte, dass Sie weiter Pfarrer in Chomutov bleiben können. Sie war auch bei der Staatsbehörde für kirchliche Angelegenheiten und gewann dort den Eindruck, dass dies möglich sein könnte. Wir übermittelten den Brüdern aus Ihrem Kirchenvorstand, was wir von Anfang an nach der Amnestie für Sie drei (Sie, Ryšavý und Choděra) vonseiten kompetenter Vertreter der Staatsbehörde für kirchliche Angelegenheiten gehört haben, nämlich dass Sie weiter Geistliche sein dürfen, dass es aber keine Stelle im Grenzgebiet sein darf, sondern dass es eine andere Stelle sein muss.“

Horní Krupá

Dittrich begann im Januar 1952, über seine Kandidatur in Horní Krupá auf der Böhmisch-Mährischen Höhe zu verhandeln. Dort wurde er bei einer Gemeindeversammlung am 23. März 1952 zum Pfarrer gewählt. Der Synodalrat bestätigte die Gültigkeit der Wahl am 1. April 1952. Damit begann für Dittrich eine neue, hoffnungsvolle Arbeit in der Gemeinde Horní Krupá und in der Filialgemeinde Havlíčkův Brod. Am 13. Mai wurde dem Ehepaar Dittrich das vierte Kind geboren – ihre Tochter Rut. In der Zeit, in der die Gemeinde Vilémov keinen Pfarrer hatte, verwaltete Dittrich von Horní Krupá aus auch diese Gemeinde und deren Filialgemeinde in Maleč. Die Gemeindearbeit begann hoffnungsvoll, aber die Probleme mit dem Regime hatten für Dittrich noch kein Ende. Dies dokumentiert die folgende Episode, die in der Korrespondenz des Seniors des Seniorats Horácko mit dem Bezirkssekretär für Kirchenfragen in Jihlava festgehalten wurde: „12. August 1953   Sehr geehrter Herr Kirchensekretär, Bruder Bohumil Dittrich, Pfarrer in Horní Krupá, teilte mir mit, dass ihm die dortige Gemeindeverwaltung eine Strafe in Höhe von 25,- CSK auferlegt hat, weil er am Sonntag, dem 12. Juli 1953, nicht an der Kartoffelkäferlese teilgenommen hat. An jenem Sonntag hielt der genannte Pfarrer einen Gottesdienst in Humpolec, in Vertretung seines Kollegen, der Urlaub hatte. Auf den Einwand Pfarrer Dittrichs, dass der Sonntag für ihn im Grunde ein Arbeitstag ist, an dem er zwei Gottesdienste hält, und zwar in Havlíčkův Brod und Horní Krupá und am Nachmittag im Krankenhaus, wurde keine Rücksicht genommen. Pfarrer Dittrich lehnte es natürlich ab, die Strafe zu bezahlen. Die Angelegenheit sollte dann wohl an die Kreisverwaltung übergeben werden. Das ist der erste Fall, in dem der Pfarrer einer Gemeinde in unserem Bezirk gezwungen wurde, am Sonntag an der Kartoffelkäferlese teilzunehmen. Ich bitte Sie, die Gemeindeverwaltung in Horní Krupá freundlichst darüber zu informieren, dass es nicht in ihre Zuständigkeit fällt, einen Pfarrer auf Kosten seiner beruflichen Pflichten zur Teilnahme an der Kartoffelkäferlese zu zwingen. Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen. Ihr ergebener Dr. Václav Kejř, Senior.“

Diese Lappalie hatte noch eine Fortsetzung. Am 11. September 1953 informierte Senior Kejř den Synodalratüber die nächsten Schritte in dieser Angelegenheit: „Der Stand bezüglich der Strafe, die Pfarrer Dittrich von der Gemeindeverwaltung Horní Krupá auferlegt wurde, ist inzwischen folgender: Auf die direkte Nachfrage beim Bürgermeister erhielt der Pfarrer in etwa folgende Antwort: ,Sie hatten die Anordnung erhalten, den Gottesdienst bis 9 Uhr abzuhalten, und am Abend nach 7 Uhr (…)‘ In die Entscheidungen der Gemeindeverwaltung habe niemand hineinzureden, und wenn Pfarrer Dittrich in dieser Gemeinde wohne, müsse er jede Anweisung der Gemeindeverwaltung befolgen. Es gab noch mehr Bürger, die es ablehnten, die Strafe zu bezahlen. Er wurde noch einmal ermahnt, das Bußgeld zu entrichten.“

Während der Ferien kam es im Juli 1958 zu einem tragischen Vorfall. Familie Dittrich war im Urlaub in Chomutov bei einer befreundeten Familie aus früheren Jahren. Pfarrer Dittrich sollte seinen Sohn mit dem Motorrad nach Horní Krupá bringen und dann sollten sie zu einer Waldfreizeit ins Altvatergebirge fahren. Schließlich fuhr aber die Tochter der anderen Familie bei Bruder Dittrich auf dem Motorrad mit. Unterwegs kam es bei Louny, beim Überholen eines LKW, zu einem Unfall, bei dem das Mädchen ums Leben kam. Der LKW war auf gerader Straße ohne zu blinken unerwartet nach links ausgeschert, um auf einen Feldweg abzubiegen, genau in dem Augenblick, in dem er von Dittrichs Motorrad überholt wurde. Bei der Untersuchung dieses tragischen Unfalls wurde die Unschuld Pfarrer Dittrichs bewiesen. Auch er erlitt schwere Verletzungen der Wirbelsäule und verbrachte zwei Wochen im Krankenhaus. Danach war er nach seiner Rückkehr nach Hause noch zwei Monate krankgeschrieben. Nach der seelischen Erschütterung durch dieses Unglück konnte er lange Zeit nicht seinen inneren Frieden finden. Umso trauriger war die Reaktion vonseiten seiner Feinde auf diesen unglücklichen Vorfall. Böse und dumme Menschen setzten sogar das Gerücht in die Welt – und es kursiert nach so vielen Jahren in manchen Kreisen bis heute –, dass Dittrich wegen dieses Unfalls im Gefängnis saß. Es ist ein unsinniges Gerücht, das die Jahre 1951 bis 1952 und das Jahr 1958 anachronistisch miteinander vermischt. Auch die Stasimitarbeiter des Bezirks, die Dittrich ständig überwachten, standen in nichts zurück und nutzten die schwere Situation aus, in die er geraten war. Sie begannen, ihn mit Drohungen zu erpressen, damit er in die Mitarbeit einwilligte und seine Brüder denunzierte. Es war so belastend, dass Pfarrer Dittrich einen Nervenzusammenbruch erlitt.

Darüber hinaus gab es aber auch noch andere bösartige Vorstöße vonseiten des Bezirkssekretärs für Kirchenfragen Jonáš, hauptsächlich in den siebziger Jahren. Er behauptete, Dittrich habe keine Predigtzulassung für Havlíčkův Brod, denn diese Stadt liege in einem anderen Bezirk als Horní Krupá. Jonáš beschuldigte Dittrich auch, seine Arbeit zu vernachlässigen. In einem umfangreichen Brief vom 15. Dezember 1976 legte Dittrich dem Synodalrat einen detaillierten Nachweis über seine Predigttätigkeit vor, aus dem hervorging, dass er seine Arbeit in den Gemeinden und den Filialgemeinden, für die er zuständig war, keinesfalls vernachlässigte. Im Gegenteil, dieser Nachweis zeugte von seinem großen Engagement. In den Jahren 1972 bis 1976 predigte er an vier Orten durchschnittlich einhundertmal pro Jahr, er hielt auch Gottesdienste im Krankenhaus und kümmerte sich um die Kinder und Jugendlichen in seinen Gemeinden. Dittrich erwähnt auch das „Kochen bei Kursen und Arbeitsrüstzeiten“. Er war ein allseits bekannter und aufopferungsvoller „Kirchenkoch“. Das Kochen bei den Kursen war keineswegs eine Erholung, sondern eine anstrengende und sehr verantwortungsvolle Arbeit für die Kirche. Er übernahm das Kochen bei den Kursen in seiner Freizeit oder dienstlich auf Anfrage des Sekretärs des Synodalrats, Karel Trusina. Wenn er außerhalb seines Urlaubs bei einem Kurs oder einer Arbeitsrüstzeit war, dann immer mit Erlaubnis des Kirchenvorstandes, des Seniors und manchmal auch des Kreissekretärs für Kirchenfragen. Sehr interessant ist der letzte kurze Absatz eines Briefs, in dem sich Dittrich sehr elegant zu seiner eventuellen Zugehörigkeit zur „Neuen Orientierung“ äußert. Er schrieb, er sehe seine Kollegen in erster Linie als Mitbrüder und er freue sich über jeden Besucher im Pfarrhaus in Horní Krupá.

In Havlíčkův Brod wälzte man viele Jahre lang das Problem eines Versammlungshauses. Das Ehepaar Dittrich löste es 1992 sehr großzügig, indem es sein eigenes Haus (Nr. 2513) samt Garten und Bauparzelle für die Gemeinde stiftete. In einem Brief vom 10. Juni 1992 dankten ihnen Synodalsenior Pavel Smetana und Synodalkurator Zdeněk Susa im Namen des Synodalrats und des Seniorats dafür. Nach den Ereignissen gegen Ende des Jahres 1989 beschloss das neue demokratische System, diejenigen, die unter dem kommunistischen Regime zu Unrecht verfolgt wurden, zu rehabilitieren. Dies wurde durch das sog. Rehabilitierungsgesetz vom 1. 7. 1990 ermöglicht. Diese Gelegenheit nutzte auch Bohumil Dittrich. Sein Fall vom Anfang der fünfziger Jahre wurde gemäß Gesetz Nr. 119/1990 GBl. im Wortlaut des Gesetzes Nr. 47/1991 GBl. über gerichtliche Rehabilitierung wieder aufgerollt und die Strafverfolgung fortgesetzt. Diese Vorgehensweise war notwendig, damit die Strafverfolgung mit einer neuen, erläuternden Begründung eingestellt werden konnte. Eine wichtige Passage am Ende dieses Beschlusses lautet: „B. Dittrich wurden von der Staatssicherheit zweifellos zielgerichtet schwerwiegende Straftaten zur Last gelegt. Bereits 1952 stellte der Staatsanwalt die Strafverfolgung ein, weil der Straftatverdacht nicht hinreichend begründet war. Bei der heutigen Bewertung des damaligen Verhaltens des Beschuldigten ist zu konstatieren, dass dieses Verhalten keine Straftat war und dass die Strafverfolgung in einem eklatanten Widerspruch zu den Prinzipien einer demokratischen Gesellschaft erfolgt ist, welche die durch die Verfassung garantierten und in internationalen Dokumenten und internationalen Rechtsnormen bekundeten bürgerlichen politischen Rechte und Freiheiten respektiert. Deshalb wurde zugleich die Einstellung der Strafverfolgung Bohumil Dittrichs gemäß § 172/1b der gegenwärtigen Strafgesetzordnung beschlossen.“

Auf diese Weise war Bohumil J. Dittrich endlich vollständig rehabilitiert. Es hatte symbolischen Wert, dass dieser Beschluss am 22. 12. 1992 in Kraft trat, also fast auf den Tag genau 41 Jahre, nachdem er das Gefängnis verlassen hatte. Bohumil Dittrich diente seiner Kirche in Horní Krupá bis Ende 1994.

Schlusswort

Bohumil Dittrich war zweifellos ein mutiger Mensch. Er war großem psychischem Druck und Manipulationen vonseiten der Staatssicherheit ausgesetzt. Obwohl ihm ganz offensichtlich Unrecht geschehen war, kehrte er an seine Arbeit und in ein normales Leben zurück. Es muss hinzugefügt werden, dass er in seinem Unglück auch Glück hatte – mit seiner Frau Vlasta, die diese sehr schwere Situation, in die sie geraten war, tapfer bewältigte. Sie schaffte es, sich um drei kleine Kinder und die Chomutover Gemeinde zu kümmern. Es ist wahrscheinlich auch ihr zu verdanken, dass J. L. Hromádka dazu bewegt werden konnte einzugreifen.

Dittrich war nach Aussagen der Menschen, die ihm nahestanden, kein Mensch, der sich aktiv um Politik gekümmert hätte, und sicher engagierte er sich nicht aktiv für einen Regimewechsel. Er war lediglich und mit Recht unzufrieden mit der politischen Ordnung der volksdemokratischen Republik. Das ging vielen so. Ihm ging es vor allem um die Arbeit in der Kirche, es ging ihm darum zu predigen, die Kirche auch unter schwierigen Bedingungen zu bewahren, es ging ihm um die moralische Reinheit der Kirche, um das Wort und das Werk Gottes. Ein unumstößlicher Beweis dafür ist die Tatsache, dass er fast bis zu seinem Tod am 18. September 1995 im Dienst der Kirche ausharrte. Dafür gebührt ihm unser Dank – Ehre seinem Andenken.

Die Lebensgeschichte Jan Jelíneks

Pavel Keřkovský

Der EKBB-Pfarrer Jan Jelínek wurde am 19. Mai 1912 in Zelów (Polen) als Nachkomme böhmischer evangelisch-reformierter Exilanten geboren. Er studierte vier Jahre an der Missionsschule in Olomouc und war kurz als Missionsprediger in Zelów und Umgebung tätig. Im Jahr 1937 wurde er auf die vakante Predigerstelle in der Gemeinde Kupiczów in Wolhynien (früher Polen, heute Ukraine) gewählt. Dort heiratete er am 7. 6. 1942 Anna Blažková (geb. am 26. 6. 1918) aus Sdolbuniw. In Kupiczów war er bis zum Juni 1943 tätig. Dann trat er zusammen mit seiner Frau der tschechoslowakischen Auslandsarmee in der UdSSR bei, wo er als Lagerarbeiter beim vierten Artillerieregiment tätig war. Seine Frau Anna arbeitete in der Kommandantur desselben Regiments. Sie wollten damit einen Beitrag zur Befreiung der Tschechoslowakei leisten, die sie als ihre Heimat betrachteten, obwohl sie nicht dort geboren waren. Jan Jelínek wurde 1946 als Unterleutnant aus der Armee entlassen, seine Frau als Unterfeldwebel. Es gelang ihm, mehrere gefälschte Taufurkunden an Ukrainer auszugeben, die vor dem kommunistischen Terror aus ihrer Heimat geflohen waren. Im Jahr 1945 wurde er Vertrauensmann der Tschechoslowakischen Auslandsbehörde in Prag und half bei der Repatriierung von Exilanten, indem er gefälschte Taufurkunden ausstellte, wobei der Name geändert und die Urkunde mit dem Stempel des Pfarrbüros in Kupiczów versehen wurde. Jan Jelínek verhalf so ukrainischen Remigranten zu einer neuen Identität und rettete die Flüchtlinge damit vor der Deportation zurück nach Sowjetrussland und vor der blutigen Maschinerie des Gulags. Er unterschrieb auch für einige Deutsche die Zuverlässigkeitsbescheinigung, damit sie nicht grundlos ausgesiedelt wurden. Jan Jelínek absolvierte in den Jahren 1945–1946 einen Kurs für Angehörige der tschechoslowakischen Auslandsarmeen am staatlichen Realgymnasium in Prag XI und legte dort am 26. 6. 1946 das Abitur ab. Am 1. Januar 1947 wurde er Pfarrer in Westböhmen (Podbořany, Valeč, Oráčov). Jan Jelínek war vom 10. Januar 1958 bis zum 11. Januar 1960 in Haft. Er wurde wegen negativer Einflussnahme auf seine Mitbürger – also im Grunde „für nichts“ – verurteilt. Das bedeutete damals im Juristen- und Gefängnisjargon zwei Jahre Haft ohne Bewährung. In der Ersten Republik wurde man „für nichts“ zu einer Strafe von 5 CSK verurteilt. Jan Jelínek kam in ein Umerziehungs- und Arbeitslager in Rtyně v Podkrkonoší. Er musste täglich 400 Meter unter die Erde einfahren und die Normen für die Kohleförderung erfüllen. In Rtyně geriet er in die gute Gesellschaft von elf römisch-katholischen und zwei evangelischen Pfarrern (Josef Hájek und der evangelische Pfarrer Tarnoci aus der Slowakei). Nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis war es ihm verboten, nach Oráčov zu seiner Frau zurückzukehren, denn Teil seiner Strafe waren fünf Jahre Aufenthaltsverbot in Oráčov sowie in den Kreisen Rakovník, Plasy, Podbořany, Žatec und im gesamten Bezirk Karlovy Vary. So war er plötzlich obdachlos, wenn ihm auch seine Frau und seine Verwandten gleich nach seiner Freilassung hilfreich zur Seite standen. Anfangs kam er bei Verwandten (zwei Erwachsene und zwei Kinder) in einer Einraumwohnung mit Küche in PragVinohrady unter. Nach einem Monat fand er Wohnraum zur Untermiete in Prag. Die Wohnung hatten ihm Freunde aus Zelów vermittelt. Seine Frau fand Arbeit in einem Altenheim in Kostelec und so konnte sich das Ehepaar am Anfang wenigstens einmal in vierzehn Tagen treffen. Jan Jelínek bekam nach einer Zeit Arbeit in einer Werkstatt für Elektromotoren für den Betrieb Stalingrad und danach begann er im Betrieb „Farben und Lacke“ zu arbeiten, wo er bis zu seiner Verrentung 1972 tätig war. In dieser Zeit beteiligte er sich am Gemeindeleben in Prag-Vinohrady, wo er auf die entgegenkommenden Pfarrer Moravec und Smetana traf, von denen der letztgenannte Zelówer Wurzeln hatte. Im Ruhestand kehrte er mit seiner Frau dauerhaft nach Oráčov zurück. Nachdem die Erteilung der sog. staatlichen Genehmigung für den geistlichen Dienst an ihn dreimal abgelehnt worden war, erhielt er schließlich 1978 die Erlaubnis für den unentgeltlichen Dienst als Hilfspfarrer in Podbořany. Seine Frau und er beteiligten sich dort umfassend am Gemeindeleben. Wo es nötig war, kümmerten sie sich um die Schwestern und Brüder aus Zelów und Wolhynien. Sie waren auch an der Organisation der gemeinsamen Gemeindetreffen sowie der Treffen der Kupiczówer in Krásný Dvůr 1997 und 2001 beteiligt. Am 24. 9. 1998 wurde Jan Jelínek von Präsident Václav Havel empfangen. Jan Jelínek initiierte die Renovierung der Kirche und machte sich 2002 mit einer großzügigen Spende und seiner persönlichen Bauaufsicht um ihre Fertigstellung verdient. Am 19. Mai 2002 wurde die renovierte Kirche feierlich eröffnet. Am 22. 7. 2008 wurde Anna und Jan Jelínek eine Gedenkplakette verliehen. Jan Jelínek erhielt im Laufe seines Lebens das Tschechoslowakische Kriegskreuz und die Verdienstmedaille II. Grades. Pfarrer Jan Jelínek überlebte seine Frau Anna um neun Monate und starb am 22. Juli 2009.

Die Erfahrung mit dem Sowjetkommunismus in der Ukraine war Jelínek eine Lehre für das ganze Leben und er machte sich keine Illusionen über die kommunistische Gerechtigkeit. Er ahnte, was die Tschechoslowakei unter der Führung der kommunistischen Partei und der kommunistischen Regierung erwartete. Sein Blick auf die geschichtlichen Ereignisse war durch seine evangelisch-reformierte (puritanische) Frömmigkeit geprägt, die auf Gottes Nähe zu den Menschen vertraut. Sie kommt für jeden verständlich in vielen Liedern aus reformatorischer und neuerer Zeit zum Ausdruck, die auch in Zelów und in anderen Gebieten gesungen wurden: „Gott, der Herr, ist meine Stärke, mein Schutz und Schild, mein Herz sei fest und erschrecke nicht.“ Weisheitliche Bibelworte und die Gebetsrufe des Psalmisten zu Gott lagen ihm nahe. Die Bekenntnisse der Psalmen und Evangelien prägten sein Gebetsleben und seine missionarische Ausrichtung. In alltäglichen Lebenssituationen wiederum fand er Zuspruch in weisheitlichen Bibelsprüchen und den alt- und neutestamentlichen Geboten. Er begründete nämlich sehr häufig sein Bekenntnis und sein Handeln mit Bibelzitaten, wovon letztendlich auch der Untertitel seines Buches zeugt: Lass dein Brot über das Wasser fahren; denn du wirst es finden nach langer Zeit. (Prediger 11,1) Er handelte und half in der Hoffnung, dass sein Handeln Sinn hatte, auch wenn es vorerst riskant und töricht erschien, wie zum Beispiel die Hilfe für jüdische und ukrainische Flüchtlinge in der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs. Jan Jelínek vertraute auf Gott und manches erahnte er, suchte sogar tastend danach und wusste um den unergründlichen Willen Gottes. In alltäglichen Angelegenheiten vertraute er auf die göttliche Vorsehung. Es ging ihm nicht um weltgeschichtliche Prozesse, er spekulierte nicht über Gottes Lenkung der Geschichte. Er zählte jedoch fest auf die biblischen Verheißungen Gottes, wie es bei Menschen mit einer tiefen inneren Frömmigkeit zu sein pflegt, die oft mit einer umfangreichen Kenntnis passender Bibelsprüche und Psalmen für verschiedene Gelegenheiten ausgestattet sind.

Seine Frömmigkeit (Beziehung zu Gott und den Menschen) wurde durch ein Lied beeinflusst, das er zum ersten Mal am Seminar in Olomouc gehört hatte und das die innere Frömmigkeit vieler anderer Prediger und einfacher Gläubiger charakterisiert – es ist auch im heutigen evangelischen Gesangbuch der EKBB zu finden: „Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten. Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge. Wer ihn kennt, wer ihn nennt, schlag die Augen nieder; kommt, ergebt euch wieder.“ Das puritanisch-pietistische Pathos verharrt bei Jan Jelínek allerdings nicht beim Lobpreis und der Vereinigung mit Gott, bei der Suche nach mittelalterlich oder barock gestimmter innerer Glückseligkeit. Im Geiste der calvinistischen Frömmigkeit sieht er in der Furcht – d.

h. der Ehrfurcht, Ehrerbietung – das Fundament seiner Frömmigkeit. So wie für die anderen Calvinisten ergibt sich für ihn aus dieser Tiefe der Ehrfurcht die Betonung des verantwortlichen Handelns im alltäglichen Leben, in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Er erweist Gott die Ehre und verliert den Nächsten nicht aus dem Blick – das ist der Grund, warum er gern singt: „Gott, der Herr, ist meine Stärke.“

Jan Jelínek bekennt sich zu einer puritanisch-ehrfürchtigen Frömmigkeit, die sich im Glaubensleben nicht in einer Überängstlichkeit vor der himmlischen Autorität ausdrückt, wenn sie auch von Demut, Sich-Beugen und Ehrfurcht singt. Die puritanisch-ehrfürchtige Frömmigkeit lässt sich nicht als traumatisierende Überängstlichkeit und freudlose Furcht kulturell und religiös zurückgebliebener Menschen charakterisieren. Furcht war für Jelínek, ähnlich wie für die biblischen Zeugen, eine inspirierende religiöse Ehrfurcht. So sprachen die Propheten, Psalmisten, Evangelisten, Martin Luther in seiner Auslegung des Dekalogs, Johannes Calvin in seiner Institutio, Jan Karafiát in seinen Käferchen und Gerhard Tersteegen in seinen Liedern von Furcht. Die Furcht führte sie zum Lob Gottes, zum Vertrauen in seine Fürsorge für den Menschen, wie sie in Christus offenbar wurde. Von der Furcht wurden sie zum Vertrauen gerufen, dass Christus für den Menschen in seinem Wort gegenwärtig ist, das durch die Macht des Heiligen Geistes für das alltägliche Glaubensleben zugänglich gemacht wird. Deshalb kann verlässlich behauptet werden, dass die „vor dem Angesicht Gottes“ in der Gemeinschaft der Gemeinde gelebte Frömmigkeit der Furcht weder ein ängstlicher Glaube vor Gott noch Furcht vor den Menschen war. „Ja, Gott ist gegenwärtig. Er war mit mir in Olomouc, in Zelów, in Kupiczów, im Krieg, im Gefängnis. Und er ist seit 90 Jahren mit mir.“ Es war kein harter prädestinatorischer Glaube, der aus dem Menschen eine Marionette macht, bei der eine höhere Macht an den Fäden zieht, wie es ihr gerade gefällt. Bei Jelínek geht es um ein prädestinatorisches Vertrauen, das im Rückblick dankbar bekennen kann, dass Gott wohl gewollt hat, dass der Mensch auf den Gebieten tätig war, in denen er intensiv gelebt und Gottes Gegenwart einmal auf diakonisch mutige, ein andermal auf menschlich armselige Weise bezeugt hat, so wie jeder andere Mensch.

Jan Jelínek gehörte nicht zu denen, die die Standpunkte und politischen Ansichten vertrat, für die J. L. Hromádka sich einsetzte, der dem sozialistischen Staatsapparat sehr loyal gegenüberstand. Er gehörte auch nicht der Untergrundkirche an, aber auch nicht einem schwärmerischen Christentum z. B. pflingstlerischer Prägung. Er berief sich nicht auf den nichtinstitutionellen Charakter der Kirche und respektierte die sozialistischen Gesetze und die Kirchenordnung der EKBB. Deshalb war ihm die Erteilung der Zustimmung zur Ausübung des Predigerdienstes wichtig, deshalb ging er zu den Wahlen und betrachtete dies als seine Bürgerpflicht. Er sympathisierte mit der Charta 77, die über die Einhaltung von Recht und Gesetz wachte und auf Gesetzesverstöße vonseiten der staatlichen Organe aufmerksam machte. Während seiner gesamten Amtszeit als Prediger betrachtete er die Seelsorge als wichtigen Teil der Gemeindearbeit. In dieser Sphäre kannte er sich sehr gut aus und er wusste viel über die Ungerechtigkeiten des volksdemokratischen Regimes. Er wollte den einzelnen Mitgliedern seiner Gemeinde helfen. Deshalb sprach er mit ihnen über die Probleme der Kollektivierung, über die gesellschaftlichen Verhältnisse in Sowjetrussland, wie sie wirklich waren, und über Probleme der religiösen Erziehung in Schule und Familie. Die Praxis führte ihn zu völlig anders formulierten Ansichten, wenn er auch genauso wie Hromádka Stärkung für seinen Glauben aus dem Evangelium schöpfte. In den fünfziger und sechziger Jahren war Jan Jelínek ein Beispiel dafür, dass Protestanten nicht nur eine anpassungsfähige Gruppe waren, die ihre Traditionen und momentane Sympathien des Regimes geschickt ausnutzte, um eine bestimmte Periode der europäischen Geschichte zu überleben. In der Zeit der „Normalisierung“ und auch nach 1989 hielt er an seiner puritanischen Ausrichtung fest. Mit seinen Memoiren bereicherte er das kollektive Gedächtnis der Kirche. Er trug so dazu bei, dass eine beim Bild der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder bislang außer Acht gelassene Seite sichtbar wurde – ihre puritanischen Züge.

Der EKBB-Pfarrer Bedřich B. Bašus

Peter Morée, Filip Ženatý

Das Leben von Bedřich Bašus bis 1954

Bedřich Blahoslav Bašus wurde am 18. 12. 1922 in Pelhřimov als Sohn von Bedřich und Libuše Bašus geboren. Nach dem Abitur trat er 1942 eine Stelle als Religionslehrer der EKBB-Gemeinde in Čáslav an, später wurde er dort Diakon. Gleichzeitig begann er, an einem inoffiziellen Seminar, das der Synodalrat der EKBB betrieb, Theologie zu studieren. Ab November 1942 war er zur Zwangsarbeit in den Böhlerwerken in Österreich als Bauarbeiter eingesetzt. Der Synodalrat konnte jedoch im Dezember 1943 seine Befreiung von der Zwangsarbeit erwirken. Bašus war angeblich kränklich, weshalb er während des Krieges nicht an die Front einberufen wurde. Nach dem Krieg setzte Bašus sein Studium in Prag fort und arbeitete gleichzeitig in Čáslav. Im Jahr 1947 ging er als Diakon nach Pardubice. Im selben Jahr heiratete er Libuše Veselá. Er schloss sein Theologiestudium erfolgreich ab und wurde am 1. 12. 1948 zum Vikar in Pardubice gewählt. Im März 1949 zog Familie Bašus nach Brandýs nad Orlicí. Im November 1950 legte Bedřich Bašus am Synodalrat der EKBB in Prag die Pfarrprüfung ab und im März 1952 wurde er in Brandýs zum Pfarrer gewählt. Offiziell war er zweiter Pfarrer in Choceň mit Einsatzort in der Filialgemeinde Brandýs nad Orlicí. Im Mai 1954 war Bedřich Bašus 31 Jahre alt, er hatte eine Frau und zwei Kinder.

Er wurde gemeinsam mit Josef Kaplan verurteilt, weil sie in Brandýs nad Orlicí und Umgebung Bürger dazu angestiftet hatten, bei den geplanten Wahlen pauschal alle Kandidaten auf dem Stimmzettel durchzustreichen. Josef Kaplan, der in Brandýs wohnte und die staatliche Sparkasse leitete, war von den Verhältnissen, die in der ČSR nach 1948 herrschten, nicht angetan. Als sie am Sonntag, dem 28. 3. 1954, aus der Kirche kamen, sagte Kaplan zu Pfarrer Bašus, er wolle mit ihm über etwas Dringliches sprechen und am Mittwoch, dem 31. 3., oder am Donnerstag, dem 1. 4., zu ihm kommen. Letztendlich trafen sie sich jedoch an keinem der genannten Tage. Zu dem Gespräch kam es erst bei einer zufälligen Begegnung am Freitag, dem 2. April, auf der Treppe vor dem Brandýser Pfarrhaus. Das Gespräch drehte sich schon bald um die bevorstehenden Gemeinderatswahlen, die für den 16. Mai 1954 geplant waren.

Die Wahlen liefen damals so ab, dass der Wähler nur einen einzigen Stimmzettel in die Wahlurne werfen konnte, auf dem sich eine gemeinsame Kandidatenliste aller Kandidaten der Nationalen Front befand. Das hatte sich für das kommunistische Regime schon bei den Wahlen im Jahr 1948 bewährt. Die Kandidatenliste auf dem Stimmzettel war eine Liste von zuvor aus den einzelnen Wahlkreisen ausgewählten Kandidaten. Man konnte also niemandem den Vorzug geben, etwas ankreuzen oder jemanden auswählen. Wenn es im Wahllokal eine Wahlkabine gab – mitunter wurde diese als bürgerliches Relikt betrachtet und gar nicht erst aufgestellt –, hatte der Wähler einzig und allein die Möglichkeit, einen Kandidaten zu streichen. Es wurde jedoch Druck auf die Bürger ausgeübt, sodass sie Angst hatten, überhaupt in die Wahlkabine zu gehen oder sich an der Kandidatenliste zu schaffen zu machen. Dass man nichts an der Kandidatenliste veränderte und sie so, wie sie war, in die Wahlurne steckte, war Ausdruck des Vertrauens gegenüber dem neuen Regime.

Bašus sagte Kaplan also, er werde wahrscheinlich nicht wählen gehen, weil er keine andere Möglichkeit habe, als sich für einen vorgegebenen Kandidaten auszusprechen. Er meinte, es wäre am besten, wenn so viele Leute wie möglich nicht zur Wahl gingen, um ihren Wunsch nach „Umsetzung ihres eigenen Willens“ zu demonstrieren. Kaplan hielt aber dagegen: Was, wenn dies nicht funktionierte, wenn die Zahl der Bürger, die nicht an der Wahl teilnahmen, völlig außer Acht gelassen würde? Das Ergebnis wäre, dass die Kandidaten so, wie sie auf der Kandidatenliste standen, gewählt würden. Wie also konnte man zum Ausdruck bringen, dass man mit dem Stand der Dinge nicht einverstanden war? Kaplan schlug vor, die gesamte Kandidatenliste durchzustreichen. Er erklärte, dass die „Sendungen aus dem Westen damit Verwirrung stiften, dass sie empfehlen, die kommunistischen Kandidaten durchzustreichen und die nichtkommunistischen stehen zu lassen.“ Der Wähler sollte vielmehr die gesamte Kandidatenliste streichen.

Erfolg versprach er sich von dieser Idee aufgrund der relativ hohen Zahl abgegebener weißer Zettel bei den Wahlen im Mai 1948. Kaplan verschaffte sich ein Wählerverzeichnis, um konkrete Personen auszuwählen, die er ansprechen und für seine Wahlstrategie gewinnen könnte. Dazu sagte er später vor Gericht aus: Wenn man hätte erreichen können, bei den durchgeführten Wahlen deutlich eine oppositionelle Haltung zu bekunden, wäre das auch von internationaler Bedeutung gewesen. Der Westen und der Osten hätten die politische Entwicklung in der ČSR unter neuen Gesichtspunkten beurteilen müssen – das heißt prowestlich. Für Europa hätten wir aufgehört, ein kommunistischer Staat zu sein, und die UdSSR hätten zu einem Ausgleich mit dem Teil des Volkes finden müssen, der sich von der Politik des Kommunismus abgewandt hatte.

Am 13. 5. wurde gegen Bašus ein Haft- und ein Hausdurchsuchungsbefehl beantragt. In diesem Antrag wird die Festnahme begründet: „In der Absicht, die volksdemokratische Ordnung zu untergraben, verbündete er sich mit Josef Kaplan (…), um ihm bei seinen feindseligen Aktivitäten zu helfen, die darauf abzielten, die Gemeinderatswahlen zu stören. (…) Damit wollten sie die Mehrheit der Bevölkerung dazu bewegen, massenhaft ihre Ablehnung des Wahlgesetzes für die Gemeinderatswahl zum Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig sollte diese Aktion als Demonstration der Ablehnung gegenüber der volksdemokratischen Ordnung in der Tschechoslowakei dienen.“

Man brachte Bašus ins Untersuchungsgefängnis in Pardubice. Am 14. 5. schickte der Kommandant der Bezirksabteilung des Innenministeriums, Unterleutnant Hampl, an den Bezirksstaatsanwalt einen Antrag auf Haftverlängerung wegen des Verdachts auf Hochverrat. Der Bezirksstaatsanwalt bestätigte am 15. 5. die Haft. Am 31. 7. wurde gegen Kaplan und Bašus Klage eingereicht. Kaplan und Bašus werden darin als Feinde der Staatsordnung dargestellt, als Gegner aller Arbeiter und des ganzen Volkes, als Handlanger der „verräterischen Auslandsemigration“, „Umstürzler“ der Demokratie und der gesellschaftlichen Ordnung (die durch die Verfassung garantiert sind) und schließlich als Saboteure der „so gut organisierten Wahlen“, auf die sich das ganze Volk eifrig vorbereitet hat.

Die Hauptverhandlung fand am 5. 10. 1954 statt, also nach fast fünf Monaten, in denen Bašus in Untersuchungshaft war. Kaplan wurde zu zweieinhalb Jahren Freiheitsentzug und einer Geldstrafe in Höhe von 800,- CSK verurteilt, Bašus zu einem Jahr Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe von 300,- CSK. Gegen Kaplan wurde außerdem der „Verlust der Bürgerrechte für drei Jahre“ verhängt.

Bašus legte gegen dieses Urteil beim Obersten Gericht Berufung ein. Dieses wies den Berufungsantrag am 8. 12. 1954 ab und bestätigte das Urteil des Bezirksgerichts Pardubice. Zur Ablehnung des Berufungsantrags wurde Folgendes ausgeführt: Das Berufungsgericht teile zwar nicht die Ansicht der ersten Instanz, dass der Beschuldigte nicht der arbeitenden Intelligenz zuzurechnen sei, es sei aber zu berücksichtigen, dass er durch seine Herkunft als Sohn eines Oberlehrers durch bürgerliche Vorurteile belastet war, derer er sich infolge seines Berufs und seiner Weltanschauung nicht entledigen konnte, sodass sie bei ihm leicht den Boden für seine staatsfeindliche Tätigkeit bereiteten.

Bašus war bereits fünf Monate in Pardubice in Untersuchungshaft gewesen. Nach der Verkündung des Urteils hatte er also noch über ein halbes Jahr Haft vor sich, das er im Umerziehungs- und Arbeitslager in Rtyně v Podkrkonoší verbüßen musste. Über dieses Lager ist nicht viel bekannt. Es wurde in Zusammenarbeit mit dem Bergwerksbetrieb Východočeské uhelné doly betrieben. Die Häftlinge des Lagers wurden insbesondere in der Steinkohleförderung, im sogenannten „Düsteren Schacht“ eingesetzt.

Sobald Bedřich Bašus verurteilt war, wurde ihm vom Bezirkssekretär für Kirchenfragen die staatliche Genehmigung entzogen. Damit wurde seiner Frau Libuše die Hälfte der Bezüge gestrichen, die sie in der Zeit bekam, in der er in Haft war. Durch eine Vereinbarung mit dem Synodalrat konnte sie ihr Studium vorzeitig abschließen. Der Kirchenvorstand in Brandýs wählte sie zur Diakonin mit Dienstantritt vom 1. 12. 1954, womit auch der Bezirkssekretär für Kirchenfragen einverstanden war. Er erteilte ihr die staatliche Genehmigung bis zur Rückkehr ihres Mannes aus dem Gefängnis. Bedřich Bašus wurde im Zuge der Amnestie, die Präsident Antonín Zápotocký am 9. 5. 1955 anlässlich des zehnten Jahrestags der Befreiung verkündete, aus der Haft in Rtyně v Podkrkonoší entlassen. Paradoxerweise half ihm das jedoch nicht, sondern verkomplizierte seine Situation. Bašus wurde am 12. 5. 1955 amnestiert, nur drei Tage bevor seine Haft enden sollte. Durch die Amnestie war er nicht vollkommen frei, sondern musste im Rahmen einer organisierten Rekrutierung von Arbeitskräften mindestens ein Jahr lang entweder im Bauwesen, im Bergbau oder in der Landwirtschaft arbeiten. Nur „umerzogen“ hätte er in den kirchlichen Dienst zurückkehren können. Ohne Amnestie hätte Bašus seinen Dienst gleich wieder aufnehmen dürfen. Im Grunde wurde ihm durch die Amnestie ein weiteres Jahr Strafe aufgebürdet.

Da sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, wurde Bašus für unfähig erklärt, in einem der bevorzugten Berufszweige zu arbeiten. Ab dem 1. 6. 1955 trat er schließlich eine Stelle als Hilfsarbeiter „auf dem Hof“ des volkseigenen Betriebs Kovona in Brandýs nad Orlicí an. Nach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis wurde Bašus von der Staatssicherheit beobachtet. In einem Bericht aus der Zeit nach seiner Rückkehr ist Folgendes zu lesen: „Zurzeit geht er außerhalb seiner Arbeitszeit nirgendwohin und verbringt seine gesamte Freizeit zu Hause, liest oder sitzt am Fenster, alle Kontakte, die er früher pflegte, hat er abgebrochen. Seine Arbeit hat seine Frau übernommen, die in die Dörfer fährt und dort Gottesdienste hält. Nach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis ist er verschlossen und schweigsam, er spricht mit niemandem und widmet sich voll seiner Familie. Ansonsten ist er ein sehr kluger und gebildeter Mensch, den keine Frage in Verlegenheit bringt.“

Es gibt Indizien dafür, dass der Bezirkssekretär für Kirchenfragen Bašus zunächst die Rückkehr in den Dienst verwehren wollte. Davon zeugt ein Brief von Bašus an den Synodalrat, in dem durchklingt, dass der Bezirkssekretär für Kirchenfragen wegen der Wohnung Druck ausübte und von Bašus verlangte, auszuziehen. Dennoch kehrte Bašus am 1. 8. 1956 in den kirchlichen Dienst zurück. Dies geschah aufgrund einer erneuerten staatlichen Genehmigung vonseiten des Bezirkssekretärs für Kirchenfragen.

Gleichzeitig wurde seiner Frau die staatliche Genehmigung entzogen.

 

Bedřich Bašus und die Staatssicherheit

Als sich das Ende des Pflichtzeitraums näherte, den Bašus als Folge der Amnestie abarbeiten musste, verschärfte die Staatssicherheit ihre Aufmerksamkeit. Sie wollte seine eventuelle Rückkehr in den Dienst nutzen, um eine Zusammenarbeit anzuknüpfen. Den Dokumenten der Stasi nach zu urteilen, hatten sie Bašus schon lange Zeit dafür vorgesehen, denn er hatte Umgang mit den privaten Landwirten in der Umgebung von Brandýs. Die Staatssicherheit hatte alles im Voraus geplant. Sie wollte seinen Besuch beim Bezirkssekretär für Kirchenfragen Fousek zu einem Gespräch über die Bedingungen für seine Rückkehr in die Gemeinde nutzen.  

In der Verpflichtungsakte der Staatssicherheit steht Folgendes: „In dieser Richtung wird mit ihm gesprochen, dass auch wir die Möglichkeiten für seine Rückkehr ins Amt eines evangelischen Priesters geprüft haben, aber dass wir sowohl bei Ungläubigen als auch bei Funktionären der Volksverwaltung und Bürgern von Brandýs mit der Ansicht konfrontiert wurden, dass Frau Bašusová im Amt bleiben sollte, dass sie diese Funktion gut ausfüllt und es gegen sie keine Einwände gibt, dass dagegen viele Leute nicht damit einverstanden sind, dass ihm das Amt zurückgegeben wird, und dass es, auch wenn wir es durchsetzen würden, nicht tragbar wäre, weil uns die Leute kritisieren würden, dass wir etwas gegen ihren Widerstand tun.“

Dann wollte die Staatssicherheit ihn zur Zusammenarbeit bewegen, so wie er es bei einem Verhör in Ústí nad Orlicí am 12. 5. 1954 und bei einem Gespräch im Jahr 1955 (offenbar als er aus dem Gefängnis zurückkehrte) zugesagt hatte. Bašus wurde für den 31. 8. 1956 in die Kreisabteilung des Innenministeriums Ústí nad Orlicí zu einem Treffen eingeladen. Die Stasimitarbeiter mussten ihn nicht lange bearbeiten. Zunächst fragten sie ihn, wie zufrieden er nach seiner Rückkehr ins Amt des Pfarrers sei und wie ihn die Leute aufgenommen hätten. Danach sprach Bašus „davon, dass er im Gefängnis seine Meinung zur heutigen Ordnung geändert habe und verstehe, dass er sich mit seinem Verhalten tatsächlich schuldig gemacht habe und dass seine Bestrafung begründet gewesen sei. Nun sei er sich bewusst, dass die heutige Ordnung fest verankert sei und dass es seine Aufgabe sei, sie zu unterstützen.“

Bašus würdigte angeblich auch die Tatsache, dass der Staat nach seiner Festnahme die Einführung seiner Frau in den kirchlichen Dienst möglich gemacht hatte. Auf die Frage nach dem Stand der Dinge in der Kirche sagte er, dass er noch keine Zeit hatte, sich zu orientieren, dass er aber die Kontakte aufrechterhalte. Außerdem ist im Bericht über seine Verpflichtung zu lesen: „Nach diesem Gespräch, in dem er sich als Person erwies, die bereit ist, die Sicherheitsorgane über verschiedene Dinge zu informieren, wurde ihm die Zusammenarbeit angeboten. Dieser stimmte er bereitwillig zu und versicherte uns, dass er uns wahrheitsgemäß und präzise informieren werde, und er schrieb eigenhändig seine Verpflichtung und legte für sich den Decknamen Jindřich fest.“

Bedřich Bašus erlag also dem Druck und stimmte der Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit zu. Nach einem für die Stasi nicht zufriedenstellenden Beginn erfüllte Bašus in den darauffolgenden Jahren die ihm gestellten Aufgaben, kam zu den vereinbarten Treffen und schrieb regelmäßig eigenhändig Berichte. Der Deckname, unter dem er geführt wurde, lautete, wie schon erwähnt, „Jindřich“. Da ihn die Staatssicherheit schon vor seiner Festnahme ins Auge gefasst hatte und über ihn Aufzeichnungen führte, taucht auch der Deckname „Bohdan“ auf.

Anfangs wurde er mit der Beobachtung Josef Kaplans, der nach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis als Buchhalter bei der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft JZD arbeitete, und der Bauern Janoušek, Mikulecký und Vašina beauftragt. Die Informationen, die Bašus lieferte, waren teils harmlos, teils folgenschwerer. In einem Dokument der Stasi zu IM Jindřich ist zu lesen: „Aufgrund eines sicherheitsdienstlichen Berichts des Mitarbeiters wurde die Realisierung [Verhaftung] von Pfarrer Verner aus Dvakačovice, Pfarrer der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, vorgenommen.“ Welche Informationen im Bericht standen, ist nicht bekannt. Mit größter Wahrscheinlichkeit betraf er Verners politisches Referat, das dieser bei der Pastoralkonferenz der evangelischen Geistlichen am 19. 10. 1961 in Pardubice hielt.

Verners Referat berührte angeblich weltpolitische Themen – die Beziehungen zwischen West und Ost, aber auch sozialismusinterne Debatten, es reflektierte die Situation des geteilten Deutschlands und warf die Frage auf, welche Position man als Christ dazu einnehmen sollte. Die Stasi hatte Antonín Verner zwar schon lange im Visier, aber Bašus lieferte ihnen eine Handhabe. Verner wurde zu dreieinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Nach einem halben Jahr Haft wurde er 1962 im Zuge einer Amnestie freigelassen.

Es gelang dem Regime jedoch, nachhaltig in sein Leben einzugreifen und die Solidarität vonseiten der Kirche mit ihm zu paralysieren. Er kehrte nicht mehr in den kirchlichen Dienst zurück. Die Geschichte ist umso trauriger, als dass sich die beiden Pfarrer gut kannten. Verner erfuhr freilich nie, dass seine Festnahme durch eine Information veranlasst worden war, die Bedřich Bašus an die Staatssicherheit weitergegeben hatte. Der Akte des IM Jindřich zufolge ist dies auch die gewichtigste Information, die er an die Stasi weitergab. Ansonsten ist der Charakter einiger Berichte, die Bašus vorlegte, geradezu als Klatsch zu bezeichnen.

Bašus erhielt die Möglichkeit, ins Ausland zu reisen. Auch dort hatte er Aufgaben zu erfüllen. Für seine Informantentätigkeit erhielt Bašus eine finanzielle Vergütung. Er blieb bis 1985 Mitarbeiter der Staatssicherheit.

Das Leben von Bedřich Bašus (ab 1956) und sein Werk

Bedřich Bašus bemühte sich um Rehabilitierung. Den ersten Antrag stellte er zusammen mit Kaplan im Jahr 1970. Das Bezirksgericht Hradec Králové lehnte jedoch seinen Antrag auf Rehabilitierung aus formalen Gründen ab. Im Jahr 1991 beantragte Bašus erneut seine Rehabilitierung – diesmal erfolgreich. Das Bezirksgericht Hradec Králové verkündete am 4. 1. 1991 die Aufhebung des Urteils und die Strafverfolgung wurde in vollem Umfang eingestellt.

Pfarrer Bedřich Bašus war über einen Großteil seines Lebens hinweg mit der EKBB-Gemeinde in Brandýs nad Orlicí verbunden. Ab 1962 war er auch Pfarrer in Choceň. Beide Gemeinden – Choceň und Brandýs – verwaltete er dann gleichzeitig in einer Art Personalunion. Ab Dezember 1973 war er darüber hinaus Senior des Seniorats Chrudim. Von Oktober 1978 bis Oktober 1980 war Bašus Sekretär des Synodalrats der EKBB in Prag und ab November 1980 war er wieder Pfarrer in Choceň. Dort blieb er, bis er Ende 1990 in den Ruhestand ging. Danach zog er nach Brno und war dann von September 1996 bis Ende August 1999 noch Pfarrer in der Gemeinde in Brno-Husovice.

Bedřich Bašus war Dichter, Historiker und Übersetzer. Von seinen Büchern sei zumindest eine Anthologie mit evangelischer Poesie erwähnt: Ich singe meinem Herrn: Ein Blick auf das Schaffen evangelischer Dichter (Zazpívám Pánu svému: pohled na tvorbu evangelických básníků, 1988). Ein historisches Werk aus seiner Feder trägt den Titel In der männlichen und weiblichen Linie (Po meči a po přeslici, 1979). Mit Blahoslav Pípal arbeitete er an einer Revision der Kralitzer Bibel. Sein Name ist verbunden mit den Büchern Jesaja (Izajáš, 1988), Die Psalmen (Žalmy, 1987), Die Sprüche und die fünf Festrollen (Přísloví a pět svátečních svitků, 1985), außerdem mit dem Buch Die zwölf kleinen Propheten (12 malých proroků, 1984) sowie mit dem Buch Hiob, das Evangelium nach Johannes und die Briefe des Johannes (Job, Evangelium podle Jana a epištoly Janovy, 1988). Des Weiteren übersetzte er das Buch Jesus von Nazareth von Günther Bornkamm aus dem Deutschen. ThDr. Bedřich Blahoslav Bašus starb am 25. 7. 2004.

Schlusswort

Der Prozess, der gegen Bedřich Bašus und Josef Kaplan geführt wurde, war politisch und konstruiert. Er hatte tiefgreifenden Einfluss auf das Leben von Bedřich Bašus. Ergebnis dieser bitteren Erfahrung war die Einwilligung in die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit. Regelrecht tragisch ist, dass durch sein Zutun ein weiterer Pfarrer in ein kommunistisches Gefängnis kam – Antonín Verner. Der Prozess gegen Verner, zu dem Bašus die Schlüsselinformation lieferte, veränderte das Leben des Dvakačovicer Pfarrers grundlegend, der danach innerhalb der EKBB stark isoliert war. Bedřich Bašus diente der Kirche durch seine seelsorgerliche Arbeit und seine Publikationen. Er war eine prägende Persönlichkeit des evangelischen Lebens in der Tschechoslowakei.

Die stille Defensive von Libuše Bašusová

Jaroslav Hubený  Ein Jahr in ihrem Leben: 11. Mai 1954 – 11. Mai 1955  

Der Weg der Kirche ist durch die persönlichen Lebensgeschichten ihrer Mitglieder geprägt. Manche erinnern an stille Buchten, andere an herabstürzende Gebirgsbäche, manchmal erfüllt uns die Begegnung mit ihnen mit Verlegenheit, ein andermal mit Ehrfurcht. Zu letzteren gehört die Geschichte von Libuše Bašusová. Ältere Leser des evangelischen Kalenders Evangelický kalendář oder der Zeitschrift Kostnické jiskry verbinden ihren Namen mit den Erzählungen, die sie von den sechziger Jahren bis zu ihrem Tod Mitte der achtziger Jahre verfasste. Die Musikliebhaber in Choceň und Umgebung wiederum kennen sie als Klavierlehrerin an der Musik- und Kunstschule und als fesselnde Interpretin sowie als Ansagerin bei musikalischen Veranstaltungen oder auch als Organistin und Chorleiterin des Senioratschors. Diese Zeilen sollen jedoch die Geschichte einer Frau schildern, der das kommunistische Regime in den fünfziger Jahren Leid zugefügt hat, indem es ihren Mann aus politischen Gründen ins Gefängnis sperrte.

Oft wird nur an die Namen derer erinnert, die direkt ins Getriebe der kommunistischen Maschinerie gerieten, ob sie nun ehrenvoll daraus hervorgingen oder ihren teuflischen Verlockungen erlagen. Ihre Geschichten haben sich aber nie isoliert abgespielt, immer betrafen sie auch die Personen, die ihnen am nächsten standen. Es schadet nichts, sich das ab und zu ins Gedächtnis zu rufen. Diesem Zweck kann auch die Schilderung eines Jahres aus dem Leben von Libuše Bašusová, der Frau des Pfarrers Bedřich B. Bašus, dienen.

„Dienstag, 11. Mai 1954. Um viertel elf am Vormittag fuhr Béda (Koseform für Bedřich, Anm. d. Übers.) mit einem lächelnden jungen Mann weg, zum Rat des Kreises, hieß es. Vor der Abfahrt zog er seinen grauen Anzug über. Am Revers trug er das Abzeichen der evangelischen Jugend, in der Tasche das 1.-Mai-Abzeichen. Ich lausche auf jeden Zug und achte auf jedes graugrüne Auto. Um Viertel vor sieben am Abend kam Béda mit dem Auto, aber mit einem schwarzen. Wohlbehalten und ruhig. Ich solle nicht fragen, wo er war und was er gemacht hat.“

So beginnt die erste Seite des persönlichen Tagebuchs von Libuše Bašusová, das sie „Tagebuch der traurigen Tage“ nannte.

Am nächsten Tag wurde Bedřich Bašus erneut mit dem Auto abgeholt. „Draußen ist eine kleine Menschentraube. Warum holen sie ihn in der Nacht, wohin bringen sie ihn? So fragen sie. Sie fuhren weg. Es ist fast zehn Uhr abends.“ Diesmal kehrte der Hausherr, der Pfarrer von Brandýs nad Orlicí, nicht wieder nach Hause zurück. Am nächsten Tag kamen ein Herr in Zivil und zwei uniformierte, bewaffnete Männer ins Pfarrhaus. Sie führten eine Hausdurchsuchung durch. „Die Kinder ahnen nichts, sie freuen sich, dass sich die Männer für all unsere Bücher interessieren. Lyduška meint, dass die ,Männer sehr neugierig sind‘ und die Männer lächeln darüber. Es sind viele Bücher, viele Seiten.“

Am nächsten Tag fuhren ihren Notizen zufolge mehrere Leute aus der Stadt zu Verhören und kamen wieder zurück. Dieses Ereignis sorgte in dem kleinen Städtchen an der Hauptstrecke nahe Ústí nad Orlicí für gehöriges Aufsehen. Die Kommunisten nahmen den evangelischen Pfarrer und den Leiter der staatlichen Sparkasse fest, andere wurden verhört. Eingeweihte konnten sich den Grund dafür gleich denken, zu den anderen gelangten die Informationen später oder sie dachten sie sich aus.

Die Hauptanschuldigung gegenüber Bedřich Bašus und Josef Kaplan lautete, sie hätten in der Stadt und den umliegenden Dörfern einige Wähler dazu angestiftet, bei den bevorstehenden Gemeinde- und Kreisratswahlen am 16. Mai auf der Liste alle Kandidaten durchzustreichen. Damit gaben die Wähler, ähnlich wie durch die Abgabe weißer Zettel im Jahr 1948, deutlich zu verstehen, dass sie mit der kommunistischen Politik nicht einverstanden waren. Beide „Verschwörer“ hatten im April begonnen, ihre Bekannten, vor allem die aus evangelischen Familien, in diesem Sinne anzusprechen. Die Missbilligung der Wahlen kam auch bei einem Treffen der Jungen Gemeinde bei einer der Familien im benachbarten Němčí zur Sprache, was als erschwerender Umstand hinzukam, denn das Treffen war nicht genehmigt. Bedřich Bašus erwartete ein Gerichtsprozess, was Libuše Bašusová in den ersten Tagen noch nicht ahnte, aber dass der Hintergrund für die Festnahme ihres Mannes der geplante Wahlboykott war, wusste sie offenbar. Zu diesem Thema äußerte sie sich natürlich in ihrem Tagebuch nicht – die Hausdurchsuchung musste schließlich nicht die letzte gewesen sein. 

Am Dienstag, dem 18. Mai, suchte sie den Bezirksstaatsanwalt Goldschmied auf. Dort erhielt sie eine eindeutige Antwort. „Er sagte mir, Béda sei wegen staatsfeindlicher Aktivitäten festgenommen worden, er sei ein staatsfeindlicher Verbrecher.“ Am selben Tag besuchte sie auch den Senior, der ihr Vorhaben, die Diakonenprüfung abzulegen, befürwortete. Zehn Tage später schickte sie einen Brief an den Synodalrat der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, in dem sie um Zulassung zur Diakonenprüfung und einen vorgezogenen Prüfungstermin nachsuchte. Sie gibt offen zu, dass dies die einzige Lösung sei – nicht nur aus inneren, sondern auch aus existenziellen Beweggründen heraus. Später erfuhr sie, dass sie der Synodalrat nicht zur Prüfung zulassen wollte, damit sie diese nicht umsonst ablegte. Er gestattete sie nur im äußersten Notfall: wenn ihr Mann verurteilt würde.

Die Pfarrfrau musste auch mit vagen Gerüchten fertig werden, die in der Stadt und im Umland kursierten. „Sie sind so wüst und schrecklich, dass einem sofort klar ist, dass sie unsinnig sind, und doch lassen sie einen verzagen. Wie leicht schenkt auch die treueste Seele dem allen Glauben; und sie können auch jetzt noch Schaden anrichten.“ Das Tagebuch wurde für sie zum Vertrauten und schenkte ihr Trost, es sind Zeilen, die nie abgeschickt wurden, denn es gab keine Adresse, an die sie sich hätte wenden können – sie wusste nicht, wo ihr Mann inhaftiert war. „Ich habe ein Protokoll darüber, dass ,nichts beschädigt wurde‘. Nichts? Nichts Sichtbares. Aber Du fehlst mir, den Kindern fehlt der Vater, der Gemeinde ihr Pastor, und Dir fehlt es an allem. Abgesehen von den Momenten, in denen ich in feige Verzweiflung verfalle, bin ich voller Ruhe und Kraft, aber sie kommen nicht aus mir, und ich kann nicht dankbar genug dafür sein. Mein Teuerster, gute Nacht.“

Tagaus, tagein wartete sie auf ein paar Zeilen oder ein Lebenszeichen von ihrem Mann, doch sie blieben aus.

Später, als sie dann einen Brief schreiben konnte, wusste sie nicht, wie vertraulich er sein durfte. „Mir ist so seltsam zumute, wenn ich daran denke, dass Fremde ihn lesen werden. Auf der anderen Seite möchte ich nicht, dass der Brief kühl ist.“

Die ersten Zeilen ihres Mannes erhielt sie am Freitag, dem 24. Juli, also nach etwa sechs Wochen. Sie antwortete: „Mir ist bange, wenn ich an Deinen Gesamtzustand denke: an Deine Kopfschmerzen, an die Entzündung des Zwischenrippennervs, an Dein schwaches Herz, die schmerzenden Augen, die unbehandelten Zähne, die Schmerzen, von denen Du sagtest, sie kämen vielleicht von der Galle. Und dass Du, Bédi, nichts, kein einziges Wort über den Glauben geschrieben hast – schließlich könnte und sollte ein Pfarrer so schreiben“, beklagte sie sich.

Die Briefe, die der damals 31-jährige Pfarrer Bašus nach Hause schrieb, stehen nicht zur Verfügung. Später erinnerte er sich jedoch folgendermaßen an diese Zeit: „Die einzige Verbindung nach draußen sind die eingehenden und abgeschickten Briefe; beides geschieht einmal im Monat unter der Aufsicht eines Untersuchungsbeamten, der beständig zur Eile drängt und die eingegangenen Briefe behält. (…) Einer der hiesigen Wachbeamten verdient es, ausdrücklich erwähnt zu werden – der Aufklärer. Von seinem Diensteifer zeugt die Tatsache, dass er in den Briefen, die an mich geschickt wurden, mit Radiergummi und Messer sorgfältig die Bibelverse aus dem Briefkopf entfernte.“

Neben den traurigen Einträgen enthält das Tagebuch auch eine Reihe humorvoller Notizen aus dem Leben der Kinder. Lýdie war damals sechs Jahre alt, Michaela vier. Am Montag, dem 16. August beispielsweise: „Lídina fragte vor dem Abendessen nach Dir. Alles Mögliche, unter anderem mit zitterndem Stimmchen: ,Und ist der Vati dort bis zum Tod?‘ und ,Ist er nicht alt, wenn er wiederkommt?‘ Sie fürchtete, dass Du dann keine Gedichte mehr für sie aufsagst, denn alte Leute – der Opa zum Beispiel – sagen keine Gedichte auf. Wir gelangten stolz zu dem Schluss, dass Du die Gedichte niemals vergessen wirst, weil Du ein Dichter bist.“

Dennoch ist das Tagebuch weiter von einer unaussprechlichen Traurigkeit durchdrungen. „Jeden Tag kämpfe ich um Heller und Kronen und bemühe mich um die alltägliche Ordnung der Dinge, um die Erziehung der Kinder, und mittendrin überkommt mich plötzlich ein Moment, in dem mir das alles sinnlos erscheint. Ich habe Sehnsucht, unaussprechliche Sehnsucht und ich soll zur Prüfung gehen, wieder über gleichgültige Dinge sprechen und über Dich mit niemandem sprechen können. Es ist schon Abend, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie traurig es ist, hier so allein zu sitzen.“

Das ist nicht die Eintragung eines Tages, sondern das sind einzelne verzweifelte Aufschreie mehrerer aufeinanderfolgender Tage. Auch wenn sie in der Mitte ihrer evangelischen Gemeinde blieb, litt sie an der Gleichgültigkeit ihrer Umgebung. „Die Kinder und ich sind so elend und verlassen, es fehlt uns an Nahrung, nicht materiell, sondern geistlich, seelisch. Und niemand, niemand versteht das, der es nicht selbst durchgemacht hat, alle begnügen sich mit ihrer ruhigen, lächelnden Maske. ,Wenigstens haben Sie einen Nervenkitzel!‘ – das tut weh.“

Proben und Konzerte, besonders in der Brandýser Heilanstalt, erwähnte die Schreiberin des Öfteren, vor allem im Zusammenhang damit, dass sie ihr Zeit wegnahmen. In Wirklichkeit half ihr die Musik jedoch, die Last des Alltags abzuschütteln.

Der Prozess gegen den angeklagten Brandýser Pfarrer fand am Dienstag, dem 5. Oktober, statt. „Weil sie Macht über uns hatten, konnten sie uns das auch zeigen. Das betraf die Ermittlungsreferenten, von denen ich nicht sprechen möchte. Das betraf den Gerichtspräsidenten, über den man nur sagen muss, dass er mir zwei Tage vor Verhandlungsbeginn das Strafmaß mitteilte, natürlich nur für den Fall, dass ich ordentlich aussage, ansonsten werde es sehr viel schlimmer“, schrieb später Bedřich Bašus, der zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Josef Kaplan bekam zweieinhalb Jahre. Ihr Einspruch wurde im Dezember desselben Jahres vom Obersten Gericht abgelehnt.

Seine Frau sammelte beim Prozess unterschiedliche Eindrücke. Auf der einen Seite war sie begeistert, dass sie sich endlich küssen konnten, auf der anderen Seite wurde sie nicht damit fertig, was sie bei der Verhandlung erlebte. „Mir geht immer wieder durch den Kopf, dass Du hättest mit mir heimfahren können und nicht gefahren bist. Du hast die Möglichkeiten, Dich zu verteidigen, überhaupt nicht genutzt – so ein Redner und kluger Mensch, wie Du es bist. Ich sehe, dass Du die Lust am Leben und an der Freiheit völlig verloren hast. Wenn Du schon überhaupt nicht mehr an Dich selbst denkst, wenigstens an uns hättest Du denken sollen. Was können die Kinder dafür, ewig sind sie allein und ich bin gehetzt und nervös. Daran hättest Du beim Prozess denken sollen. Mir macht alles Angst, ich bin am Ende meiner körperlichen und seelischen Kräfte; statt wenigstens zu sagen: ,Still, Libuše, wenn ich zurückkomme …‘ Aber Du sprachst nur davon, was ist, wenn Du nicht zurückkommst. (…) Entweder hast Du etwas getan und denkst, dass es nicht strafbar ist (das ist meine Meinung), dann hättest Du das so sagen sollen, oder Du hast es gewusst, dann hättest Du mit allem, was folgte, rechnen und Dich darauf einrichten müssen.“

Sie konnte nicht begreifen, wie ihr Mann darauf verzichten konnte, sich zu verteidigen. Sie konnte nicht wissen, dass in der Zeit der politischen Prozesse jeder Beschuldigte schon vorher so bearbeitet wurde, dass er gar nicht erst den Versuch einer freien Verteidigung unternahm. Schon allein bei den Verhören waren die Beschuldigten oftmals brutalen Methoden ausgesetzt, die sie ihrer Würde beraubten. Eine gängige Methode waren Drohungen in Bezug auf die Familie. Die Prozesse waren nicht dazu da, die eigenen Standpunkte zu rechtfertigen, sondern nur dazu, einstudierte Antworten zu wiederholen.     

Auch deshalb sah die Welt für die enttäuschte Libuše Bašusová immer schwärzer aus und auch in ihrer Umgebung fand sie wenig Trost. „Jetzt habe ich den Eindruck, dass mich die Leute weniger grüßen.“

Es gab aber Momente, in denen es ihr gelang, sich den Optimismus zu bewahren. „Je mehr ich über alles, über uns, den Prozess und die gegenwärtige Situation nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass nichts verloren ist, wir sind 30 Jahre alt und Du kommst wieder, und deshalb gilt auch für uns: Leinen los und volle Kraft voraus.“

Aber es gab auch Tage, an denen sie litt und an einer glücklichen Zukunft zweifelte. „Ach, werden wir jemals wieder glücklich zusammen sein, werden wir wieder lachend zusammen die Straße entlanggehen, verliebt und sorglos? Ich kann es mir kaum vorstellen. Wir sind beide um viele Jahre gealtert und manches ist wohl schon unwiederbringlich verloren. (…) mein liebster Béda, mir ist manchmal so schwer ums Herz, wie es vielleicht nicht einmal Dir sein kann. Ich weiß, hier sind die Kinder, Wärme, ein Zuhause, Bekannte und Verwandte, kein materieller Mangel, aber gerade deswegen. Gutes und Schlechtes gemeinsam tragen, ja, das verstehe ich. Aber alles Gute, das mich umgibt, versetzt mir nur einen Stich nach dem anderen, weil Du es nicht hast, und alles Schlechte, das Dich umgibt, nimmt für mich riesige Ausmaße an und ich bin ohnmächtig. Dabei musst Du Dich nicht annähernd so verstellen wie ich.“

Im letzten Satz ist die Lebenslast tausender Frauen enthalten, deren Männer in den fünfziger Jahren in kommunistischen Lagern einsaßen. Aber die Gläubigen hatten trotz allem eine Stütze. „Die Gemeindearbeit gibt mir Kraft und Ruhe und es erwächst mir aus ihr geistlicher Segen, das spüre ich“, schrieb Libuše Bašusová an einem Oktobertag.

Einige Wochen später legte sie die Diakonenprüfung ab und war von ihrem Verlauf ein wenig überrascht. „Sie war gar nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Meistenteils Nachsicht, und ich hatte so gelernt. Eines hatte ich mir in meiner Naivität vorgenommen: lernen, lernen und nochmals lernen; so viel wie möglich von der Theologie kennenlernen – eine wahrhaft königliche Wissenschaft. Aber eines bedrückt mich mehr und mehr: wie wenig die Leute über ihren Glauben wissen, wie wenig bibelfest wir sind, die Jugend schon gar nicht, und das ist aus menschlicher Perspektive das Ende. Wie dem auch sei, Deine Frau, liebster Béda, ist Diakonin. Hoffentlich nicht für lange, denn überall gilt der Termin ,bis zur Rückkehr des Ehemannes‘.“

Die staatliche Genehmigung für den geistlichen Dienst erhielt sie vom Bezirksrat am 22. November mit der Post und am 3. Dezember wählte sie der Kirchenvorstand in Brandýs zur Diakonin. Der Bezirkssekretär für Kirchenfragen erteilte ihr die staatliche Genehmigung bis zur Rückkehr ihres Mannes aus dem Gefängnis.

Zum Jahreswechsel durchlebte sie traurige Momente, weil sie keine Briefe bekam, kein Päckchen schicken und nicht zu Besuch fahren konnte. Die Post kam erst am Dreikönigstag 1955. „Aber in was für eine Stimmung versetzte sie mich. Du bist nicht mehr in Chrudim, und sie schreiben nicht, wo Du bist. Hoffentlich bist Du bei dieser Kälte nicht in Jáchymov oder in der Slowakei, ach, hätten wir nur keine Berufung eingelegt, von keinem bekommt man zur rechten Zeit einen weisen Rat. Ich hoffe nur, Du hältst durch.“

Ein paar Wochen später sagte man ihr nach einer langen Wartezeit in Pankrác, sie habe Pech, ihr Mann sei gestern nach Rtyně v Podkrkonoší gebracht worden. Dort besuchte sie ihn dann nach einiger Zeit. „Immerfort kehre ich im Geiste zum gestrigen Tag zurück. Jede Frau hört gern bestimmte Dinge von ihrem Mann, auch wenn sie ihn nicht danach fragt, aber ich bekam sie nicht zu hören. Das sieht Dir allerdings ganz ähnlich und es ist eigentlich dumm von mir, sie wider besseres Wissen zu erwarten. Ich beginne, im Radio Bergmannssendungen zu hören, und ich muss das Buch Die erste Kolonne lesen, es fallen mir auch alle möglichen Bergmannslieder ein.“

Das Tagebuch hielt Tag für Tag vor allem die Gemütslagen der unglücklichen Ehefrau fest, aber gleichzeitig auch der Mutter, die gewillt war, ihrem Mann für die Zeit nach seiner Rückkehr die alltäglichen lustigen und eigenwilligen Äußerungen ihrer zwei kleinen Töchter zu beschreiben.

Das alltägliche Leben der Menschen in den fünfziger Jahren spiegelt sich im Text nur indirekt wider, aber auch so sind einige Passagen lehrreich. Für spätere Generationen könnte die Notiz über die Bergmannssendungen im Radio unverständlich sein, aber möglicherweise noch interessanter ist zum Beispiel in diesem Kontext die Eintragung vom 25. November 1954. „Ich wollte heute die Hälfte der Kohlen abholen und mir wurde gesagt, dass dies bis zum 30. September hätte angemeldet werden müssen und dass auch die Angemeldeten, wenn überhaupt, kaum die Hälfte von dem bekommen, worauf sie Anspruch haben. Wenn ich nur wüsste, wie ich den Winter überstehen soll.“

In einer Eintragung beschrieb sie, dass freitags beim Fleischer immer eine lange Warteschlange stand. „Ich habe keine Zeit und so habe ich schon lange kein Fleisch mehr gegessen“, fügte sie hinzu. Ein Vierteljahr später schrieb sie wieder zum selben Thema: „Gerade kam ein Trauerzug mit Musik vorbei. Lída meint, dass sie noch keinen Sarg auf einem Pferd gesehen hat. Ich wiederum bemerkte eine andere Sache: dass hinter dem Sarg nur etwa 10 Leute herliefen. Es ist nämlich der Nachmittag, an dem alle nach Fleisch anstehen, an einem anderen Nachmittag würden sie würdig gekleidet hinter dem Sarg herschreiten. Vivimus, ut edamus.“

Allgemeine Überlegungen zum Leben in der kommunistischen Tschechoslowakei würde der Leser im Tagebuch vergeblich suchen. Das ist im Übrigen nach den Erfahrungen mit der Hausdurchsuchung und mit der Aussicht auf ein schwieriges Leben unter dem Stigma des politischen Häftlings von seiner Autorin auch nicht zu erwarten. Auch aus ihrer oft schwer lesbaren Schrift kann man schließen, dass ihr nicht an eventuellen späteren Lesern gelegen war, sie dürften wohl in einigen Passagen kaum Lust haben, sie zu entziffern. Ein Schriftgutachter könnte jedoch bestätigen, was auch für den Laien zu sehen ist: In den seltenen Momenten der Ruhe und vielleicht, wenn sie ausnahmsweise ein paar aufmunternde Zeilen aus dem Gefängnis erhalten hatte, lassen sich ihre Zeilen sehr viel besser lesen als nach Tagen der Trauer und Müdigkeit.

Am Freitag, dem 1. April 1955, machte sie sich zu Hause feierlich eine 41 Zentimeter lange Schnur zurecht, von der sie dann jeden Tag einen Zentimeter abschnitt. Am Mittwoch, dem 11. Mai schrieb Libuše Bašusová dann: „Vor einem Jahr hat dieses Tagebuch begonnen, eine Reihe von 365 traurigen Tagen und Nächten, warum nur bist Du noch nicht hier? Ich füge hinzu: Heute, um drei Uhr, endet dieses Tagebuch der traurigen Tage, Béda ist lebendig (aber nicht ganz gesund) zu uns zurückgekehrt. Unser Mund ist voll Lachen und unsere Zunge voll Jubel. Herr, bring zurück unsere Gefangenen wie die Bäche in dürres Land. Amen.“

Mit diesen Worten endete ein umfangreiches gebundenes Heft mit vertraulichen Aufzeichnungen, das 350 eng mit dem Federhalter beschriebene A5-Seiten umfasst. Danach begann sie ein anderes Heft, das den Titel „Tagebuch des wiederhergestellten Heims“ erhielt und die Zeit festhält, in der Bedřich Bašus als Hilfsarbeiter tätig war und am 1. August 1956 in den Pfarrdienst zurückkehrte. Die Gewohnheit, ein Familientagebuch zu führen, behielt Libuše Bašusová, zeitweise darin abgelöst von ihrem Mann, noch weitere zehn Jahre bei.

Das zweite Tagebuch Libuše Bašusovás, das sie gleich am 11. Mai 1955 anfing, beginnt folgendermaßen:

„Wir sind wieder eine Familie, wir haben wieder ein Zuhause. Vieles um uns herum und in uns hat sich verändert. Ersteres mal so, mal so; wir – hoffentlich zum Guten. (…) Ich muss erzählen und erzählen, ein ganzes Jahr habe ich zu berichten. Seine Last und seine Ängste abschütteln. Und nun darf ich auch weinen. Und es gibt jemanden, dem ich zuhören kann. (…) Während ich sichtlich gealtert bin, ist er eher jünger und strahlender geworden. Zaghaft gehen wir gemeinsam von einer vernachlässigten Liebe zur nächsten: Garten, Poesie, Musik, Bücher. Die Kinder haben noch nicht gezeigt, was sie können, sie sind scheu. Und wenn sie von draußen kommen, haben sie Angst, der Papa könnte nicht mehr da sein. Ich auch.“

Die Kinder hatten Angst, der Papa könnte nicht mehr da sein. Die Vorgänger der heutigen tschechischen Politiker und Richter säten so viel Angst und griffen derart in die Schicksale von Menschen ein, dass sich auch noch die nächste Generation nur schwer davon erholte. Wir haben heute auch Angst, aber es ist eine andere, nämlich die Angst, die reine Freude an der Freiheit zu verlieren, von der wir in schlechteren Zeiten nur träumen konnten und die uns vor mehr als zwanzig Jahren in den Schoß gefallen ist. Libuše Bašusová gehörte zu denen, die die besseren Zeiten nicht mehr erlebt haben. Aber auch die neuen Schwierigkeiten, die sie ihr eingebracht hätten, musste sie nicht erdulden. Für diejenigen, die sie gekannt haben, bleibt sie jedoch ein Vorbild, als Frau, die ihr Schicksal tapfer getragen hat und die uns in einer ihrer Erzählungen zu verstehen gibt: „Schickt mich nicht in die Wüste. Auch ich liebe die bunten Wellen des Lebens. Auch mich fasziniert ihr irrsinniger Puls. Auch mich betört die Musik ihrer Atemzüge. Unterbrochen, aber nicht zum Schweigen zu bringen. Wild und zärtlich. Wohltuend und quälend. Doch kann es sein, dass sie uns schon heute oder morgen oder übermorgen gegen eine furchtbare Klippe schleudern, wo wir dann still und wehrlos auf den Knien liegen.“

Libuše Bašusová

lebte von 1924 bis 1985. Sie wurde in Prag geboren. Ihre Mutter, Marie Veselá, war Zahnärztin. Ihr Vater, František Veselý, war Oberst der tschechoslowakischen Armee und ehemaliger Legionär, der zunächst in Galizien auf der österreichischen Seite kämpfte, später auf der anderen Seite der Front in Rumänien, Russland, Griechenland, Italien und in der Slowakei. Libuše hatte zwei jüngere Geschwister, den zwei Jahre jüngeren Bruder Vlastimil und die drei Jahre jüngere Schwester Jitka, die später Pfarrerin der EKBB war. Im Jahr 1943 legte sie am Realgymnasium in Čáslav das Abitur ab, danach wurde sie als Hilfsarbeiterin zur Zwangsarbeit in eine Maschinenfabrik nach Třemošnice-Hedvikov geschickt. Ihr Vater wurde in dieser Zeit von der Gestapo festgenommen und in Prag-Pankrác inhaftiert. 1945 begann sie, als Sozialarbeiterin in Čáslav und Prag zu arbeiten. Ein Jahr später absolvierte sie als erste aus der Tschechoslowakei ein Studienjahr am Ökumenischen Institut im Chateau de Bossey (Schweiz). Dies tat sie so erfolgreich, dass sie gebeten wurde, in der Leitung dieses Instituts mitzuarbeiten. Sie wollte jedoch lieber in ihrer Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, an der Seite ihres Mannes, des Pfarrers Bedřich B. Bašus, arbeiten, den sie nach mehrjähriger Bekanntschaft 1947 heiratete. Nach zwei Jahren in Pardubice wurde ab 1949 Brandýs nad Orlicí ihre Heimat. Am Dienstag, dem 11. Mai 1954, begann eine der schwierigsten Etappen im Leben ihrer Familie. Ihr Mann wurde von der Staatssicherheit abgeführt und verbrachte danach ein Jahr als politischer Häftling im Gefängnis. In den folgenden zwei Jahren vertrat ihn Libuše Bašusová als Diakonin in der Gemeinde. Zu den beiden Töchtern kamen einige Jahre nach der Rückkehr ihres Mannes aus dem Gefängnis noch zwei weitere hinzu, später noch zwei Adoptivsöhne. Ab 1961 bis zum Ende ihres Lebens lebte Libuše Bašusová mit ihrer Familie im Pfarrhaus in Choceň. Im Laufe der Jahre erlangte sie bei den Kirchenmitgliedern und einer breiteren Öffentlichkeit Bekanntheit als Autorin von Erzählungen, Gedichten, Liedern, Predigten und Betrachtungen, als Übersetzerin, Chorleiterin, Organistin, Pianistin, Drehbuchautorin und Moderatorin kirchlicher und nichtkirchlicher Veranstaltungen und Konzertreihen, sie absolvierte das Konservatorium, arbeitete als Diakonin, Musikschullehrerin, Pflegerin und Putzfrau.

Im Januar 1985 wurde sie auf dem Friedhof in Choceň beerdigt.