Erinnerungen an die evangelischen Arbeitsrüstzeiten

Dieser Beitrag wurde teilweise aus den Rückblicken zusammengestellt, die bereits in „Der Weg der Kirche II“ (Cesta církve II, Praha: ČCE 2010, 99 S.) und „Der Weg der Kirche IV“ (Cesta církve IV, Praha: ČCE 2011, 127 S.) veröffentlicht wurden.
Zunächst geht es um eine Auswahl aus den 2010 veröffentlichten Erinnerungen Blahoslav Šoureks, eines der verdienstvollsten Organisatoren und Leiter evangelischer Arbeitsrüstzeiten von den fünfziger bis zu den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Kurz danach begannen wir, eine eigenständige Monographie über die Arbeitsrüstzeiten vorzubereiten, die ein Jahr später erschien. Blahoslavs Erinnerungen sind umso wertvoller, weil er sie Ende 1987, Anfang 1988 auf dem Krankenbett im Krankenhaus Vsetín niederschrieb. Der evangelische Pfarrer Jan Blahoslav Šourek war ein treuer Diener der Kirche im Seniorat Westböhmen, zunächst in Mariánské Lázně als Senioratsvikar und später als Pfarrer in Nejdek bei Karlovy Vary. Schließlich war er Pfarrer in der Oberen Gemeinde in Vsetín. Der Herr über Leben und Tod rief ihn noch vor dem Ende jenes Winters zu sich. Wir sind unserem Herrgott für unseren lieben Bruder, für seine Arbeit und sein lebenslanges Glaubenszeugnis und nicht zuletzt für diese Erinnerungen von ganzem Herzen dankbar.
Zum Zweiten geht es um eine Auswahl aus den Erinnerungen von anderen verdienstvollen Organisatoren und einzelnen Teilnehmern der Arbeitsrüstzeiten. Ergänzt werden sie durch Wissenswertes über diese Rüstzeiten.

Jan Blahoslav Šourek erinnert sich: Im Februar vor einem Jahr wurde ich von Marta Kačerová dazu aufgefordert, etwas über die Arbeitsrüstzeiten zu schreiben, denn es gibt immer weniger Zeitzeugen und vieles ist nirgends niedergeschrieben. Während ich im Krankenhaus ans Bett gefesselt bin und darüber nachdenke, dass ich kein junger Mann mehr bin und meine Lebenszeit begrenzt ist, möchte ich wenigstens einige Dinge aufschreiben. Die Tradition der Arbeitsrüstzeiten ging vom YMCA aus. Kurz nach dem Krieg fuhr Frau Prof. Božena Komárková mit einigen Studenten erstmals ins Altvatergebirge. Es waren vor allem zwei Weiler, Josefov und Alojzov, zwei winzige Dörfer weitab von der Zivilisation (man musste an der Station Branná auf der Strecke Hanušovice–Jeseník aussteigen), die nach dem Krieg, nach der Aussiedlung der Deutschen, nicht mehr bewohnt, aber noch bewohnbar waren. Das Grenzgebiet brauchte fleißige Hände, die viele Hektar ehemalige Weiden aufforsteten und die jungen Bäume pflegten. Über die Anfänge dieser Arbeit könnten Frau Komárková, Pfarrer Jan Šimsa und andere berichten, die dieser Tradition auch in den darauffolgenden Jahren treu blieben (Jan Čapek, Petr Čapek).

Im Jahr 1952 taten sich die Kirchenleitung und die Evangelisch-Theologische Comenius-Fakultät zusammen und riefen zu einem großen Arbeitseinsatz beim sozialistischen Aufbau des Stadtteils Ostrava–Poruba auf. Dieser Arbeitseinsatz dauerte ebenfalls über die gesamten Ferien und die Beteiligung war ziemlich groß: etwa 120–140 Teilnehmer in zwei Durchgängen im Juli und circa 80–100 in den beiden Durchgängen im August. Es wurde an verschiedenen Stellen gearbeitet – jeweils zu mehreren Personen (Ausladen von Waggons, Erdarbeiten, Bauarbeiten usw.). Man wohnte in den schon fertiggestellten Unterkünften. Das Gemeinschaftsleben war sehr schwach – eine Andacht am Abend, ansonsten im Grunde nichts. Ich war den ganzen August über dort. Gemeinsam mit Karel Trusina versuchte ich, trotzdem ein gewisses Gemeinschaftsleben zu organisieren. In Josefov ging der Arbeitseinsatz wie in den anderen Jahren weiter, und weil der Einsatz in Poruba eine Woche vor dem Ende der Ferien vorbei war, folgten einige von uns der Einladung Jan Šimsas nach Josefov. Den Arbeitseinsatz in Poruba schätzte ich mit meinen 18 Jahren sehr negativ ein. Er war alles andere als das, was ich erwartet hatte: einzelne Gruppen, die völlig auf sich gestellt waren, kein Gemeinschaftsleben, die Abendandachten waren nicht sehr gut besucht. Umso netter wirkte auf mich dann die Gemeinschaft in Josefov. Damals wurde mir klar, wie ungeeignet diese Großeinsätze und dieser Größenwahn, die damals im öffentlichen Leben immer mehr in den Vordergrund traten, für diese Dinge sind. Der Poruba-Einsatz hatte aber noch weitere Auswirkungen. Einer der reformierten Theologen, Bela Dobos, verkündete in einer Diskussion, Stalin sei der Teufel. Diese Behauptung blieb natürlich nicht geheim und hatte für Bela Folgen. Sie war etwas zu früh gekommen. Stalin starb erst im März 1953.

Im Winter 1953 organisierte ich mit Karel in Karlovice u Vrbna eine Weihnachts- und Halbjahresfreizeit für Theologen und ihre Partnerinnen, ggf. ihre Familienmitglieder. Natürlich machten wir uns keine Gedanken um irgendwelche Genehmigungen oder Ähnliches. Wir wussten auch gar nicht, dass so etwas erwartet und verlangt wurde. Es kamen etwa 30–40 Personen. Bald darauf begannen wir, über eine Sommerfreizeit nachzudenken. Nach mehreren Gesprächen mit Direktor Pospíšil und Dekan Hromádka kristallisierte sich heraus, dass die Fakultät nichts organisieren würde, der Synodalrat es nicht konnte (oder niemand bereit war, es zu machen), dass aber vielleicht in kleinem Umfang etwas möglich wäre, wenn es eine Organisation der Fakultät übernehmen würde. Im Laufe des Jahres gründeten wir an der Fakultät eine Sportorganisation. Wir wollten ein Basket- und Volleyballturnier veranstalten und eine Turnhalle anmieten. Beide waren wir Funktionäre der Freiwilligen Sportorganisation Slavia an der Theologischen Comenius-Fakultät, die ordnungsgemäß als Sportorganisation registriert war. Es ist wohl angebracht, hier noch zu erwähnen, dass es 1952 an der Fakultät eine Gruppe des Tschechoslowakischen Jugendverbandes einschließlich eines entsprechenden Leitungsgremiums gab. Dieses beteiligte sich auch am Arbeitseinsatz in Poruba. Im Studienjahr 1952–1953 wurde diese Organisation allerdings aufgelöst. Fast alle nahmen diese Nachricht ohne besondere Erregung auf und waren damit einverstanden. Etwa 12 Theologen, Karel und ich eingeschlossen, stimmten dem nicht zu und legten Widerspruch ein. Es nützte nichts. Die Jahre, in denen die Kirche aufgefordert wurde, sich am Aufbau des Sozialismus zu beteiligen, in denen Pfarrer eingeladen wurden, am 1. Mai mit auf der Tribüne zu stehen und Ähnliches, waren vorüber. Die Kirche wurde nun eher als Fremdkörper betrachtet. Weil wir eine Sportorganisation hatten, schlugen wir vor, dass diese 1953 den Arbeitseinsatz veranstalten sollte. So geschah es dann auch dank des großen Entgegenkommens von Schwester Marta Kačerová, die ein Herz für diese Arbeit hatte. So konnte dann alles in Zusammenarbeit mit dem Synodalrat organisiert werden. Dieser verschickte die Einladungen, sammelte die Anmeldungen ein, gab organisatorische Hinweise. Ich weiß nicht mehr genau, wie es formuliert war, ob als Empfehlung des Synodalrats für den Arbeitseinsatz der Sportorganisation der Theologischen Fakultät (DSO Slavia) oder direkt als Einladung dieser Organisation zum Arbeitseinsatz. Im Jahr 1953 verhandelten wir mit den Landgütern und Forstämtern, immer im Namen des DSO Slavia an der Comenius-Fakultät Prag. Das war vollkommen in Ordnung so. Natürlich sagten wir überall dazu, dass wir Theologen seien, und wir wurden als Pfarrer angesprochen. Zusammen mit Karel kümmerte ich mich um die Organisation, wir verteilten Anmeldungen, die im Synodalrat bei Marta Kačerová gesammelt wurden. Marta wurde wegen uns vom Synodalkurator ermahnt, weil sie sich von zwei Theologiestudenten mit dem Vornamen ansprechen ließ, und sie musste versprechen, uns zu bitten, künftig „Schwester Kačerová“ zu ihr zu sagen. Das sagte sie uns allerdings erst viele Jahre später, als wir schon als Pfarrer in Amt und Würden waren und sie so ansprechen durften. Marta verschickte dann die organisatorischen Hinweise, reservierte ein Zugabteil, handelte bei der Bahn einen Preisnachlass von 50 % aus, was damals möglich war. Sie stand im Hintergrund, eine Person, die die ganze Arbeit machte und den Ruhm anderen überließ. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Arbeitsrüstzeiten ohne Marta möglich gewesen wären. Dem leitenden Sekretär Pospíšil mussten wir versprechen, bescheiden zu bleiben und nichts Großes zu veranstalten. Im Sommer 1953 fand in Karlovice u Vrbna ein Arbeitseinsatz mit zwei Durchgängen statt. Sie wollten uns dort zum Heuwenden, Rübenverziehen und zum Unkrautjäten in den Kartoffeln. Wir vereinbarten auch, dass wir mit der Feldbahn am Morgen zur Arbeit gebracht und am Nachmittag wieder abgeholt würden: Morgens funktionierte das recht zuverlässig, nachmittags schon weniger. Weil wir aus Poruba schon Erfahrungen hatten, suchten wir nach einem Rüstzeitpfarrer. Im ersten Durchgang war das Pfarrer Jaromír Sklenář aus Hořátev. Er war ein großer Sänger und sang ständig Arien aus Opern und Operetten. Am Ende des ersten Durchgangs wurde sogar ein Operettenkabarett veranstaltet. Großen Erfolg hatte dabei das Lied „Meine Krone, stabil und mit Gold gedeckt, ist eine Währung“ (es war kurz nach der Währungsreform). Jaromír kümmerte sich um das geistliche Programm. Bei einer Teilnehmerin namens Milena zeigte das Christentum große Wirkung. Als Abendmahl sein sollte, sagte mir jemand, dass sie irgendwo weine. Wir hatten ein langes Gespräch. Es tat ihr leid, dass sie nicht mit uns zum Abendmahl gehen könne, obwohl sie es gern würde. Sie war nicht getauft. Damals wurde mir gänzlich klar, dass der Glaube entscheidend ist, der die Taufe und die Kirchenzugehörigkeit antizipiert. Das sagte ich ihr dann auch und für sie war es einer der glücklichsten Momente in ihrem Leben. Sie ließ sich taufen. Nach ein paar Jahren heiratete sie aber einen überzeugten Atheisten und sagte uns den Kampf an. Als ich ihr die Einladung zu meiner Ordination schickte, dichtete sie ein schreckliches Gedicht über Pfaffen und Schwarzröcke dazu. Trotzdem glaube ich, dass die Entscheidung, sie zum Abendmahl zuzulassen, die ich gemeinsam mit Karel und Jaromír getroffen hatte, richtig war. Nicht jede Arbeitsrüstzeit ist wirklich heilig. Im Jahr 1953 war sie es aber. Und dann noch manchmal – wenn wir nach einer Reihe verzogener Rüben Psalmen sangen. Eine Folge der Arbeitseinsätze war unter anderem, dass sich aus einem Teil der Studenten und Junge-Gemeinde-Mitglieder der Martins-Kreis bildete (Teilnehmer der sonntäglichen Abendgottesdienste in der Kirche St. Martin in der Mauer in Prag). Der Kreis wurde immer größer und binnen kurzer Zeit waren die Gottesdienste in der Martinskirche Jugendgottesdienste, sodass Professor Souček schon bald anfing darüber nachzudenken, was man für diesen spontan entstandenen Kreis tun könnte.

Im Jahr 1954 gingen die Arbeitseinsätze in derselben Form weiter. Nach dem Tod Stalins und Gottwalds im Jahr 1953 war eine leichte Entspannung zu spüren. Der Arbeitseinsatz fand wieder in Karlovice in zwei Durchgängen statt. Leiter waren Karel und ich, Rüstzeitpfarrer war diesmal Bruder Ladislav Horák aus Hodonín. Die Arbeit war dieselbe wie im vorherigen Jahr. Es gab mehr Teilnehmer und viele von ihnen waren nicht sehr motiviert zu arbeiten. Besondere Probleme hatten wir mit einer Gruppe, die sich „die Herren“ nannte. Das waren lustige Jungs, die große Stücke auf Jiří Tichota (den heutigen Chef des Musikensembles „Spirituál kvintet“) hielten, und über Jiří war es möglich, sie etwas zu zügeln. Eine besondere, schöne Eigenheit dieses Arbeitseinsatzes war der Jugendkreis (bis 18 Jahre) aus Vinohrady, den Karel und ich leiteten, dessen Mitglieder fast alle (etwa 14 Leute) gekommen waren und dort große Momente erlebten. Für Spaß sorgte ziemlich lange das Spiel „Wen magst du am meisten“, das sehr lustig war, besonders wenn die Leute Pärchen bildeten. Bei diesem Spiel rangen wir Honza Kotrbáček eine Antwort ab und der Ärmste wusste nicht, was er sagen sollte. Als schon alles ausgeschöpft war und er genannt hatte, was er konnte, sagte er schließlich etwas verschämt: „Ihr werdet mir nicht glauben, aber ich habe meine Heimat am liebsten.“ Dann gaben wir ihn frei. Wenn ich mich daran erinnere, frage ich mich, ob sich jemand vorstellen kann, dass heute jemand von den jungen Leuten so eine Antwort geben würde.

Im Jahr 1955 verhandelten wir mit der Forstverwaltung, die in einen Aufforstungs- und einen Holzgewinnungszweig unterteilt war. Wir entdeckten ein wunderschönes Stück Erde, das zur Gemeinde Heřmanice gehörte, einen Ort, der rund zehn Kilometer von Vrbno entfernt war und Drakov hieß. Dort war man bereit, uns Arbeit zu geben. Karel Trusina und ich sollten den ersten und vierten Durchgang leiten, den zweiten Karel, den dritten Jaroslav Marek und ich. Als Rüstzeitpfarrer hatten wir im dritten Durchgang Pfarrer Vlastimil Sláma aus Litoměřice, der auch mehrere Leute mitbrachte. Eine besondere Erscheinung war ein deutsches Mädchen, das immer – und sehr schön – das Lied „Sah ein Knab ein Röslein stehn“ sang. Wie sah es in Drakov aus? Wir bezogen Unterkünfte, die an einer sehr schönen Stelle im Wald für die Waldarbeiter gebaut worden waren, etwa 15 Minuten vom Forsthaus Drakov entfernt, von dessen Schönheit ich fasziniert war. Gearbeitet wurde im Heu und vor allem in den Kartoffeln und Rüben. Das war eine bessere Arbeit und das Wetter war herrlich. Übrigens konnte ich in den 30 Jahren, in denen ich es beobachtet habe, feststellen, dass es in der ersten Augusthälfte so gut wie gar nicht regnet. Damals entstand ein Verein, den wir BROHTR nannten (das war die tschechische Abkürzung für Kartoffelhederichjätertrust – es war die Zeit der Abkürzungen). Das war ein großer innerer Sieg. Wir jäteten Hederich, jeder eine Reihe oder zwei, und wir machten es so, dass die Geschickteren eine Reihe durchliefen und sich am Ende des Feldes hinsetzten und warteten. Einige waren nicht so schnell – weniger aus Faulheit, als vielmehr aus Schwäche und Ungeschicklichkeit. Manchmal war es auch so, dass zum Beispiel zehn oder zwanzig Reihen sehr verunkrautet waren und dann wieder ein paar Reihen weniger, sodass einige weniger Arbeit hatten. Zusammen mit Lída Dědinová dachte ich mir ein Hilfesystem aus – wir teilten die drei Schwächsten nebeneinander ein und begannen, ihnen zu helfen. So waren sie nicht mehr die Letzten. Dann fragten wir jemanden von den geschickteren Leuten, ob er nicht in den BROHTR-Verein eintreten wollte. Dann nahmen wir weitere Schwache hinzu. Am Ende waren die meisten Mitglieder im BROHTR-Verein. Wir gingen zusammen in einer langen Reihe und die Geschickteren halfen den Schwächeren. Zu den Nichtmitgliedern waren wir streng und halfen ihnen nicht. Das waren allerdings die Besseren, aber auch solche, die schnell durch eine Reihe gingen und hier und da etwas vergaßen. Der BROHTR-Verein lebte dann in unseren Köpfen als eine Form der liebevollen Hilfe für Schwächere, wobei diese nicht das Gefühl hatten, dass ihnen jemand aus Mitleid half, sondern aus dem Bewusstsein der Solidarität heraus. Auch der vierte Durchgang verlief auf sehr schöne Art und Weise. Bruder Voborník war uns ein hervorragender Rüstzeitpfarrer. Er war mit seiner Frau dort. Pfarrer Voborník gewann unsere Herzen und wir seines. Auf dem Weg von der Arbeit wurden Losungen gerufen: „Wir ertränken die amerikanischen Aggressoren im Chinesischen Meer“ oder „Für eine gemeinsame Grenze mit der Volksrepublik China.“ Als Pfarrer Voborník dann ein Jahr später mit dem Zug in Polubný, einem Ortsteil von Kořenov, ankam, hörten wir schon aus dem Zug, wie er diese Losungen brüllte. Nach dem Auftritt N. S. Chruschtschows beim XX. Parteitag der KPdSU waren allerdings die Beziehungen zu China abgekühlt, und so bedeuteten wir ihm, still zu sein. Er ließ sich aber nicht davon abbringen. Aber ich denke auch an sein Wirken als Pfarrer, an die Andachten. Ich denke auch dankbar daran, wie ich ihm einmal als junger Vikar einen niedergeschlagenen Brief schrieb, dass in meine Gottesdienste nur drei, vier Leute kämen, und er schrieb mir sofort eine ermutigende Antwort. Markante Persönlichkeiten in Drakov waren durch ihren unermesslichen Dienst am Nächsten auch Věra Kellerová und Milena Valentová. Eine fröhliche Erscheinung war Majka aus dem Prager Stadtteil Dejvice. Sie hatte Mirka Beránková mitgebracht. Wir führten mit ihr viele Gespräche und versuchten immer wieder, sie zu überzeugen, nicht auf die Militärschule für Mädchen zu gehen. Sie war in einer Familie aufgewachsen, in der Bildung keinen hohen Stellenwert hatte und sie wollte unbedingt studieren. Mirka war ein Mädchen mit Tiefgang. Als Karel sie nach zwei, drei Jahren traf und mit ihr sprach, war er völlig schockiert, wie jemand so leicht in die absolute Oberflächlichkeit abgleiten konnte. Im Übrigen war das auch auf Dauer unsere Erfahrung, eine bittere und schmerzliche Erfahrung. Wie konnten sich solche tollen Menschen derart verändern? Warum ließen sie sich so im Glauben beirren? Warum fielen sie vom Glauben ab? Was hatten wir, die wir sie anleiteten und auf sie Einfluss hatten, falsch gemacht? Vor meinem geistigen Auge erscheint eine ganze Reihe von Personen. Viele, die ich an anderen Orten wiedertreffe, sind ihrem Glauben treu geblieben. Aber ich begegne auch Leuten, die völlig gleichgültig geworden sind und denen alles egal ist. Natürlich treffe ich auch manchmal solche, die eine tiefe Sympathie in sich tragen. Aber es gibt auch diejenigen, die nicht nur aus der Kirche ausgetreten sind, sondern sich den unverhohlenen Gegnern des Christentums angeschlossen haben. Sie schmerzen mich in dieser Hinsicht bis heute am meisten. Bis heute schließe ich sie in meine Gebete ein. Jahrelang höre ich nichts von ihnen, aber es kommen mir immer die Worte des deutschen Offiziers aus dem Buch von R. Fangen „Ein Engel des Lichts“ (En lysets Engel) in den Sinn, der Pfarrer Knut, als sie über den gefallenen Carsten sprechen, erzählt, was für einen Traum Carsten hatte, bevor er fiel. Dieser, ein Atheist, der das Christentum bekämpfte, hörte im Traum Glocken und ging mit seinen Eltern in die Kirche und sagte: „Wen euer christlicher Gott einmal in seinen Bann gezogen hat, den lässt er nicht mehr los.“ Mir scheint, dass diese Worte für viele von denen gelten, die Gott in seinen Bann gezogen hatte, die ihm aber den Rücken kehrten. Aber die Frage bleibt: Warum wandten sie sich ab? Für viele von ihnen gilt sicherlich die Antwort: „Denn Demas hat mich verlassen und diese Welt lieb gewonnen.“ (2. Tim 4) Aber man darf es sich mit der Antwort nicht so leicht machen. Haben wir ihnen wirklich das geistliche Rüstzeug mitgegeben? Wir lebten zusammen, lasen gemeinsam die Bibel und beteten gemeinsam, aber eine ganze Reihe dieser Jungen und Mädchen kehrte in ein Umfeld zurück, in dem sich niemand um sie kümmerte. Vielleicht hätten wir diese Leute stärker anderen anvertrauen sollen, die ihnen schreiben, für sie beten, sie ab und zu einladen. Solche Leute gab es viele dort. Es war nicht möglich, das alles abzudecken, und wir schufen nicht das notwendige System der Fürsorge. Karel und ich führten ein so selbstverständliches Leben im Glauben. Natürlich quälten auch uns viele Fragen und auch wir waren nicht immer sicher, nicht ohne Zweifel. Aber vielleicht hatte ja das Mädchen recht, das uns schrieb, es sei besser, sich nützlicheren Dingen zu widmen als dem christlichen Glauben. Sie habe versucht, uns davon abzubringen. „Aber Sie waren so von Gott durchdrungen, dass das nicht ging.“ Für uns war es manchmal schwer, die Menschen zu verstehen, die nicht so von Gott durchdrungen waren. Karel hatte dafür allerdings größeres Verständnis als ich. Er war etwas nüchterner und sachlicher. Ich erinnere mich an eine ironische Bemerkung von ihm, als ich ihm erzählte, dass ich mit einem Mädchen zum Gebet in einer katholischen Kirche war. „Wenn du mit einem Jungen dort gewesen wärst, wäre das sehr viel besser.“ Das ist wirklich wahr. Vielleicht kam es zu vielen Entfremdungen, weil die Leute nicht von Gott, sondern von der Erotik angezogen wurden. Jemand gefiel ihnen und als junge Leute versetzten sie sich ganz in die Rolle derer, die Gott suchen, aber in Wirklichkeit waren sie auf der Suche nach dem Eros. Das ist eine der größten Versuchungen für junge Christen: die Verwechslung dieser beiden Dinge. Man denkt, dass man jemanden für Gott gewinnen möchte, dabei möchte man ihn für sich gewinnen. Man fühlt sich als Apostel zu den anderen entsendet und wird nicht von der Liebe Gottes geleitet, sondern von der erotischen Liebe. Fragen des Glaubens hängen dann oft nicht mit dem Glauben zusammen, sondern mit einer unbefriedigten Beziehung zu einem anderen Jungen oder Mädchen. Glücklich verliebt zu sein löst auf einen Schlag viele Glaubenszweifel, eine unglückliche Liebe bringt dagegen alles an die Oberfläche. Sicher, der Mensch ist ein ganzheitliches Geschöpf und sein Glaube hängt auch mit seinem Eros zusammen und wird von ihm beeinflusst. Aber der Glaube ist etwas Tieferes. In den Glauben an Gott, in den persönlichen Glauben an Jesus Christus muss man genauso hineinwachsen wie in das, was davon unabhängig ist, nämlich ob man glücklich verliebt ist oder nicht. Vielleicht noch eine lustige Geschichte aus Drakov: ein wunderschönes Forsthaus, alles sehr nett, aber keine Toilette. Was tun? Wir überredeten einen Traktoristen, den Hänger zu nehmen, und gingen zu einem Abrisshaus im Dorf, luden eine Toilette auf und brachten sie unter dem großen Jubel der Teilnehmer zu uns. Vom letzten Durchgang in Drakov fuhren fast alle per Anhalter nach Hause.

Im Jahr 1956 wurde die Forstverwaltung reorganisiert, die Abteilungen für Aufforstung und Holzgewinnung wurden zusammengelegt. Ob sie uns nicht wollten, weiß ich nicht. Das Landgut hätte uns liebend gern genommen, aber es hatte keine Übernachtungsmöglichkeiten. Die Forstverwaltung wollte uns das Forsthaus nicht überlassen. Ähnlich war es auch mit Vrbno. Zur Arbeit war es weit. So wurde nach neuen Möglichkeiten gesucht. Ich fragte beim Forstministerium, wo Helfer gesucht würden. Sie gaben mir mehrere Tipps. Einer davon war Jizerka. Karel und ich waren 1955 in der Gegend bei einem Kurs für die Hochschulvolleyballtrainer gewesen. Als DSO Slavia spielten wir beim Prager Turnier mit und das sogar mit Erfolg. Der Volleyballlehrgang fand in der Nähe von Jablonec nad Nisou statt. Von dort machte ich mich auf die Suche nach dem Ort Jizerka. Nachdem ich aus dem Bus gestiegen war, las ich am Anschlag, dass Polubný ein Ochse sei, und ich erkundigte mich, wie ich nach Jizerka käme. Der etwa sieben Kilometer lange Weg schlängelte sich durch herrliche Wälder. Am Ortsrand von Jizerka stand ein Haus, das für Rüstzeiten wie gemacht war. Ein Stück weiter das Forstrevier. Wir wurden uns einig. Die ganzen Ferien, Wohnen in dem Haus, das mir gefiel, Arbeit – Bäume pflanzen, mähen, manchmal Reisig, Heu. Verpflegung in der Betriebsküche und somit eine Sorge weniger. Die Arbeitsrüstzeiten im Jahr 1956 waren bereits sehr umfangreich: viele Durchgänge an vielen Orten. Alles wurde vom Synodalrat organisiert, vor allem von der unermüdlichen Marta Kačerová. Die Leitung der vier Durchgänge in Jizerka übernahmen im Wesentlichen die Šumperker. Als Rüstzeitpfarrer luden wir die Pastoren Šimsa, Voborník und Sláma ein. Der erste Durchgang pflanzte meistens Bäume. Das System BROHTR funktionierte unverändert. Jizerka war in allen Durchgängen ein wunderbarer Arbeitseinsatz. Er war voller Freude und brachte auch in geistlicher Hinsicht viel. Die Leiter begann man „Kult“ zu nennen. Es war in der Zeit, in der nach dem XX. Parteitag der KPdSU und dem Auftritt von N. S. Chruschtschow viel über Personenkult gesprochen wurde. Im dritten Durchgang wurde viel Heu gewendet, und auch der letzte Durchgang setzte diese Arbeit fort. Die Landschaft faszinierte uns. Das war nicht mit dem heutigen Jizerka und dem Isergebirge von heute zu vergleichen. Alles ist zivilisiert, luxuriös. Damals war es einsam und schön. Es gab keine abgeholzten Wälder. Ringsum waren viele Felsen, auf die man gehen konnte. Ich denke, es herrschte auf beiden Seiten Zufriedenheit und das Angebot für das nächste Jahr stand fest. Ich war sehr froh, denn ich beendete mein Studium und ging zur Armee. Jizerka wurde dann für viele Jahre ein Begriff. Es war möglich, auch im Winter dorthin zu fahren. Man konnte dort gut Ski fahren. Wir wohnten nicht im selben Haus, sondern in verschiedenen verlassenen Bauernhäusern. Heute sind das schön hergerichtete Pensionen. Eine prägende Gruppe in Jizerka waren die Husovicer. Unvergesslich ist der Gesang der Dus-Brüder: „Das ist alles Vergangenheit, und ich gebe meinen Kopf dafür, dass es nicht mehr zurückkommt …“ (ein tschechischer Schlager, Anm. d. Übers.), wobei sie Grimassen machten, als würden sie sich den Kopf abreißen. Am Anfang erwartete die Rüstzeitleiter wie immer ein nicht sehr lustiges, aber absolut notwendiges Erlebnis: eine nicht funktionierende, verstopfte Toilette, die wir auf einer Leiter in der Klärgrube etwa einen halben Tag reinigten. Milan Vondráček machte mit und auch Aleš Laichtr, ein intellektueller Junge mit großer Brille, überaus klug, allerdings weniger praktisch veranlagt, der in der Klärgrube stand und die verstopften Rohre sauber machte, dass er mir regelrecht leidtat. Das ist wirklich eine Arbeit für die Rüstzeitleiter. Karel und ich machten das immer, denn wir waren durchdrungen von Christi Wort, dass wer der erste sein will, am meisten dienen und sich erniedrigen muss. In diesem Sinne versuchten wir auch, unsere Mitarbeiter anzuleiten. Eine sehr viel lustigere Arbeit gab es, wenn das Wasser aufhörte zu fließen. Der Brunnen im Keller war zwar voll, aber das Wasser floss nicht. Der Saugheber befand sich etwa vier, fünf Meter unter dem oberen Rand des Brunnens und ziemlich weit unter der Wasseroberfläche. Was nun? Jemand fand heraus, dass es im Feuerwehrhaus eine alte Handfeuerwehrspritze gab. Sie war zwar schwergängig, aber nicht verrostet, denn alles war aus Messing. Honza Keller (Jan Keller, Anm. d. L.) und Pavel Hlaváč montierten sie bis zur letzten Schraube auseinander, reinigten und schmierten sie. Dann spannten sich ein paar Jungen davor und fast die ganze Gruppe schob. Wir transportierten die Spritze von der Feuerwache unten in Jizerka durch den Ort hinauf auf den Berg, steckten den Ansaugschlauch durch das Fenster und zogen ihn in den Keller zum Brunnen. Dann begannen wir zu pumpen, aber lange tat sich nichts, erst später begann das Wasser zu fließen. Es dauerte Stunden, bis der Wasserstand so weit abgesunken war, dass man an den Saugheber herankam. In der Zwischenzeit beschafften wir eine Feuerwehrleiter und hängten sie in den Brunnen. Ich stieg hinein und zog einen ekligen Lappen heraus, den ein Mädchen aus dem Arbeitseinsatz vor uns in den Brunnen geworfen hatte. Das Wasser floss wieder. Oft erinnerte ich mich später an dieses Bild, wenn ich über die Sünde sprach, die wie ein Lappen unser Herz verstopft, sodass die Macht des Heiligen Geistes unsere Seele nicht speisen kann. Auf eine Sache komme ich noch einmal zurück. Bei jeder Arbeitsrüstzeit suchten wir uns einen Stapel aus Baumstämmen. Dort lagen wir abends, sangen und erzählten. Dort erklärte ich den Jugendlichen die Sterne, die mich mit einer ungeheuren Kraft anzogen und worin ich mich gut auskannte. Dort erzählte ich Märchen. Diese Gabe des Erzählens war mir geschenkt und ich hatte sie auch von meinen Vorfahren geerbt. Ich erzählte Märchen von Wild, Andersen und K. Čapek, keine Märchen für Kinder. In diesen Märchen vernahm ich den Atem des Lebens. Durch sie lernte ich viel für das Leben, auch dass uns nichts bleibt als Staunen und Demut. Mir scheint, dass dort, wo ein Märchen ist, keine Härte, sondern Liebenswürdigkeit herrscht. Im Übrigen waren auch Jesu Gleichnisse für mich solche Märchen, denn er spricht über die Wahrheit ganz klar und doch ganz sanft. Die Märchen lehrten mich auch, Gleichnisse zu erzählen, denn in ihnen geht es um einen einzigen Gedanken, genauso wie in den Gleichnissen. Alles andere ist dem untergeordnet. Deshalb hat mich auch die allegorische Auslegung der Gleichnisse, bei der jedes Detail eine Bedeutung hat, immer so geärgert. Noch eine Sache für Rüstzeitleiter. Ein guter Leiter lernt die Namen der Teilnehmer und einige andere Dinge im Voraus. Ich erinnere mich, wie ein Mädchen ankam und sich vorstellte. Ich gab ihr die Hand und sagte: Du bist Zdena, nicht wahr, und du wirst hier Geburtstag feiern. Aus der Anmeldung wusste ich auch, dass sie die Technische Fachoberschule besuchte. Auf einen Schlag war sie eine Bekannte und nicht mehr fremd. Damals wurde mir bewusst, was es bedeutet, dass Gott uns kennt.

In den Jahren 1957 und 1958 war ich bei der Armee. Aber ich ging mit dem Gefühl weg, dass die Arbeitsrüstzeiten weiterlaufen. Wir hatten eine ganze Reihe von Leitern herangebildet. Wie die Durchgänge organisiert waren, weiß ich nicht. Im Jahr 1957 bekam ich Urlaub. Ich fuhr nach Jizerka zu einem Durchgang, den Jaromír Marek leitete. Sie wohnten unterhalb des Dorfes und ich kam an einem Samstag, etwa halb vier Uhr morgens mit dem Zug dort an. Vom Bahnhof lief ich auf dem Weg, den ich oft gegangen war, wenn ich Teilnehmer zum Zug brachte oder abholte. Etwa 20 Minuten unterhalb des Hauses schälte sich aus dem Dunkel eine Gestalt heraus. Es war Jaromír. Er war aufgestanden, um mich zu begrüßen. Ich war richtig gerührt. Bei der Armee war ich so etwas nicht mehr gewöhnt. Aber wie die einzelnen Durchgänge waren, weiß ich nicht. Auch für das Jahr 1958 weiß ich das nicht. In dieser Zeit fing Karel bereits wieder an, viel Arbeit zu übernehmen. Er kam von der Armee zurück und wurde als Sekretär für Jugendarbeit in den Synodalrat berufen.

Im Jahr 1959 wurde ich Vikar im Seniorat Mariánské Lázně. Ich versuchte, eine Junge Gemeinde zu gründen, und eine ganze Reihe von ihnen nahm ich bereits im Winter mit nach Vrbno pod Pradědem. Jizerka lief weiter und war für die gesamte Ferienzeit angekündigt. Ich übernahm den dritten Durchgang. Das waren Leute aus verschiedenen Orten in Westböhmen. Pfarrer Novák versprach mir, auch zu fahren. Darüber war ich sehr froh. Ich hielt immer die geistliche und weltliche Abteilung auseinander und es war mir nicht sehr recht, wenn ich leiten und zur Arbeit antreiben sollte. Wenn ich jemanden zurechtwies, schien es mir wichtig, dass er dann im Pfarrer einen Tröster und Fürsprecher hatte. Aber nun war ich Vikar. In Chodov wurde ich gebeten, in der Jungen Gemeinde etwas die Werbetrommel zu rühren. Ich beschrieb alles wahrheitsgemäß: Wir werden im Gebirge sein, man läuft sieben Kilometer zu Fuß dorthin, meistens auch mit dem Koffer. Geschlafen wird auf Strohsäcken. Ab und zu läuft eine Maus am Kopf vorbei. In der Betriebsküche ist das Fleisch oft zäh wie eine Schuhsohle. Ich treibe die Leute zur Arbeit an und erlaube niemandem, sich zu drücken. Wenn Heu gemacht wird, arbeiten wir länger. Aber es ist die Mühen wert. Ihr erlebt eine großartige Gemeinschaft und werdet es nicht bereuen. Außer bei jemandem von den Erwachsenen, der zurückschreckte, hatte meine Werbung Erfolg. Wir hatten eine Gruppenfahrkarte gekauft. Alles war vorbereitet, als am Freitag ein Telegramm ankam: „Fahrt nicht, wir haben kein Interesse. Die Forstwirtschaft“. Ich antwortete: „Alles ist organisiert, die Fahrkarten sind gekauft, wir kommen.“ Am Samstag fuhren wir ab. Wir schliefen im Gemeindehaus in Liberec, gingen in den Gottesdienst und fuhren dann nach Jizerka. Dort erwartete uns ein entsetzter Förster. Ein Monat mit Hilfskräften war nicht gut gelaufen: schlechte Arbeitsmoral, viel Regen, Verluste für den Forstbetrieb. Ich versicherte ihm, dass schönes Wetter werden würde. Er glaubte mir nicht. Auch nicht, dass gearbeitet würde. Er schüttelte den Kopf. Es war schönes Wetter und es wurde hart gearbeitet. Wir hatten ein paar tüchtige Arbeiter dabei – Handwerker und Leute vom Land. Sie konnten arbeiten und verstanden etwas davon. Der Förster ging drei Tage umher und wusste nicht, was er sagen sollte. Dann sagte er zurückhaltend: Hoffentlich bleibt das so. Nach vierzehn Tagen sang er Lobeshymnen auf uns. Den vierten Durchgang sagte er nicht ab, ich hatte ihn überzeugt. Die Leitung hatte jemand, von dem ich wusste, dass er keine Faulheit duldete. Ich denke, ich habe damals Jizerka für die nächste Zeit gerettet. Für wie lange, weiß ich jetzt nicht mehr. Ich verlor Jizerka etwas aus den Augen, denn um die Organisation kümmerten sich andere. In den darauffolgenden Jahren machten wir die Rüstzeiten dann selbst. Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube, dass die zentrale Leitung von Arbeitseinsätzen vom Ministerium verboten wurde. Die Rüstzeiten gingen weiter, aber nur als Privataktionen von Einzelnen. Das bedeutete keinen großen Rückgang an Teilnehmern, eher den Verlust von Einzelnen aus den Gemeinden, in denen es nur kleine oder keine Gruppen gab.

Im Jahr 1960 hatten wir eine Rüstzeit im Weiler Šafářské domky bei Teplá. Sie war nicht groß, circa 20 bis 30 Leute, aber es war nah. Das bedeutete, dass viele Teilnehmer nur für zwei oder drei Tage, für ein verlängertes Wochenende, kamen. Dadurch war der Teilnehmerkreis recht groß. Wir wohnten in einem Haus, das den Forstbetrieben in einem kleinen Weiler gehörte. Die Teilnehmer kamen nun fast immer aus Westböhmen. Sie fuhren nie irgendwohin und waren vom Rest der Kirche ziemlich isoliert. Manche von ihnen hatte man auf der Straße eingesammelt. Dies dokumentiert auch die Äußerung einer Frau, die für das Haus zuständig war, in dem wir wohnten. Jemand fragte sie, was das dort für junge Leute seien. Sie sagte: „Das ist eine Handvoll Halbstarker, um die sich die Kirche kümmert.“ Mir schien, dass man auf so eine Äußerung stolz sein kann.

Hier eine Auswahl aus weiteren Erinnerungen Blahoslav Šoureks: Zunächst fuhren wir 1961 nach Nezdice bei Teplá, wo wir einen großen Raum in einen Speisesaal umgestalteten und dort die Inschrift anbrachten, die in Karlovice von Saša Malá geschrieben worden war. Saša war eine herausragende Persönlichkeit mit ausgeprägtem Charakter und sehr fromm. Sie gehörte zu denen, die mit ihrem ganzen Wesen dem Glauben treu blieben. Sie starb jung, sehr früh. Die Inschrift drückte einen der wichtigsten Gedanken aus, die uns begleiteten: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ (Lukas 17,21) Dieses Wort Christi sollte immer mahnen, rufen, richten, warnen und ermutigen. In Nezdice gab es dann aber keine Unterbringungsmöglichkeit mehr und wir mussten uns nach etwas anderem umschauen.

Im Jahr 1962 entdeckte ich bei meinen Ausfahrten mit dem Motorroller für die Arbeitsrüstzeiten eine ehemalige Mineralwasserpumpe – den Weiler Kyselka. Das war an einem Abzweig der Straße Mariánské Lázně – Bečov, unterhalb von Louka, wo eine kleine Straße nach Nová Ves und von dort noch einmal nach Kyselka abbog. Ein großes, geräumiges Haus, auf dem Hof eine Mineralquelle, wo ab und an Zufallsbesucher vorbeikamen, ein verlassenes Haus, viele Räume. Ich verabredete mit Pfarrer Matička aus Sokolov, zusammen zu fahren. Er versprach, das mit dem Kreiskirchensekretär zu besprechen, und meldete bei ihm einen Arbeitseinsatz auf einem Landgut bei Nová Ves an. Die Anmeldung erfolgte mündlich, beide Seiten interpretierten das unterschiedlich, und wäre es nicht zu einem großen Unfall gekommen, wäre es unbemerkt geblieben. Alles lief ganz normal. Dann kam der Leiter des Landguts, ob nicht jemand Traktor fahren könne. Vítězslav Kučera meldete sich und bekam einen Traktor. Einmal baten sie ihn, die Leute von der Arbeit nach Hause zu fahren und dabei geschah ein Unglück. Der Anhänger hatte keine guten Bremsen und kippte um. Die Helfer fielen auf die Schotterstraße und vier Mädchen wurden verletzt. Zwei waren von uns, zwei aus einer anderen Gruppe. Sie mussten im Krankenhaus bleiben. Die anderen wurden in Toužim verarztet. Einige hatten den Rücken oder die Hände schlimm aufgekratzt und eines der Mädchen hatte einen Splitterbruch. Aber alle wollten zurück, sie wollten sich nicht krankschreiben lassen, auch um Vítězslav so wenig wie möglich zu schaden. Am Abend musste ich nach Mariánské Lázně zur Bibelstunde. Als ich zurückkam, saßen alle da wie die Lämmer. Einige hatten große Schmerzen, auch Jan Hříbek, Petr Samuel und andere Verletzte. An diesem Abend lasen wir aus Johannes 20,19ff.: „Am Abend aber …, da die Jünger versammelt … waren …, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!“ Diese Geschichte wurde Wirklichkeit und wir erlebten beim Lesen der Bibel und gemeinsamen Gebeten die Nähe Jesu. Auch sonst war Kyselka eine der tiefen, starken und heiligen Rüstzeiten, die einer ganzen Reihe von Teilnehmern dazu verhalf, sich auf die Suche nach dem Weg des Glaubens zu machen. Im Dezember allerdings teilte uns der Bezirksrat in Plzeň mit, dass Pfarrer Matička wegen Durchführung einer unangemeldeten Jugendrüstzeit die staatliche Genehmigung entzogen werden sollte. Senior Otter nahm sehr rasch Verhandlungen auf und erreichte, dass der Entzug der Genehmigung gar nicht erst in Kraft trat, und es endete nur mit einem Verweis. Pfarrer Matička rechtfertigte sich, er habe die Sache angemeldet. Der Kirchensekretär behauptete, er habe verstanden: der Pfarrer und ein paar Leute, aber nicht so viele. Es ging am Ende besser aus, als es zunächst den Anschein hatte. Matička handelte großherzig und sagte, er trage die Verantwortung, er habe versprochen, die Sache zu besprechen. Überhaupt kann man sagen, dass dies der erste ernstliche Unfall in der Geschichte der Arbeitsrüstzeiten war. Wir waren Gott unendlich dankbar, dass nie etwas Ernstes passiert ist, weder bei der Arbeit noch auf Reisen. Fast hatten wir das Gefühl, unter Gottes großem Schutz zu stehen.

Im Frühjahr 1965 bemühte sich Karel Trusina erneut, wie schon viele Male zuvor, die Arbeitsrüstzeiten wieder zu legalisieren. Im Sekretariat wollte man wieder nichts damit zu tun haben, aber jemand sagte zu ihm: „Schauen Sie, das ist eine Angelegenheit der Jugend. Wenn Sie das mit dem Tschechoslowakischen Jugendverband absprechen und er damit einverstanden ist, dann macht das.“ Karel zögerte nicht und ging zur Zentrale des Jugendverbandes. Dort erläuterte er das Bedürfnis, mithilfe der staatlichen Forstbetriebe im Grenzgebiet zu helfen, und unsere Bereitschaft, Hilfe zu leisten. Er vereinbarte, dass die Arbeitsstunden von der Zentrale des Jugendverbandes abgerechnet werden durften. Sie stimmten zu und erlaubten, zwei Durchgänge zu veranstalten. Die Namen der Leiter mussten gemeldet werden. Für den einen Durchgang schlug Karel Jan Šimsa und mich vor, für den zweiten Durchgang weiß ich es nicht. Und so fuhr ich im Auftrag des Synodalrats nach längerer Zeit wieder zu einer Arbeitsrüstzeit. Alojzov 1965 war eine Rüstzeit mit reichen inneren Erlebnissen. Gute Arbeit, aktive Teilnahme, Interesse und Engagement der Teilnehmer. Hier nur eine Geschichte vom Ende der Rüstzeit. Am Freitagabend fand ein Abendmahl statt. Die Jugendlichen waren sehr gerührt von dem Satz Jan Šimsas, dass wir in diesem Kreis auf dieser Erde nicht noch einmal zusammenkommen werden. Es waren dort Teilnehmer aus verschiedenen Orten. Das Erlebnis dieses Abends war stark und tief.

Im Jahr 1967 kehrten wir wieder nach Westböhmen zurück. Mithilfe eines Ehepaares, das bei den Forstbetrieben arbeitete, fanden wir Arbeit in Stříbrná bei Kraslice. Eine schöne Unterkunft am Waldrand, Arbeit im Wald, die den Fähigkeiten der Helfer entsprach, Nejdek war in der Nähe, wo ich Dinge in der Gemeinde erledigen konnte – das alles war ideal. Den Kern bildete die Junge Gemeinde aus Nejdek, die damals großen Zulauf hatte, andere kamen aus Aš, Chodov, Kynšperk und anderen Orten. Die Junge Gemeinde aus Mariánské Lázně war nicht mehr dabei, sie fuhr mit Petr Čapek zur Rüstzeit. Zur Arbeit war es weit. Einmal fragten zwei Jungen unterwegs, was das für Hufe seien, deren Spuren sie bemerkt hatten. Der Förster begann, von mit Hufen beschlagenen Hirschen zu erzählen. Daniel Uhlík gesellte sich dazu und die beiden erzählten dann den Jungen, wie man Hirsche beschlägt, wozu das gut ist usw. Die Jungen lauschten begeistert diesem Jägerlatein und verschlangen gutgläubig jedes Wort. Sie waren sehr verwundert, als sie dann feststellten, dass es nur Jägerlatein war. In Stříbrná hatten wir eine sehr schöne Arbeitsrüstzeit. Sie schweißte die Leute unheimlich zusammen und bewirkte einen sehr starken inneren Zusammenhalt zwischen ihnen.

Im Jahr 1968 kam nach Jahren wieder die Jugendmonatszeitschrift der EKBB Bratrstvo (Bruderschaft) heraus. In der April- und Mainummer war eine Übersicht über die Arbeitsrüstzeiten zu finden. Die Orte und die Ferientermine nahmen die ganze letzte Seite der Zeitschrift ein. Unter anderem auch: Ryžovna bei Horní Blatná im Erzgebirge, an der Grenze, am äußersten Ende der Republik, ein paar Meter weiter war Rittersgrün. Weil die Grenztruppen gerade abgezogen worden waren, gab es für uns freie Unterkünfte. Es war eine herrliche Gegend und auch die Unterkunft war schön. Ein kleines Stück vom Haus entfernt gab es einen kleinen Felsen, wo wir jeden Abend am Feuer Programm machen konnten. Das Essen wurde uns gebracht. Wir verabredeten mit dem Forstrevier die Möglichkeit, auch im Winter nach Rýžovna fahren zu können. Auch davon machten wir dann reichlich Gebrauch. Es war ein Ort, den man sehr gut mit einem Kraftfahrzeug erreichen konnte, sodass ich während der Rüstzeiten die Gemeindearbeit nicht ruhen lassen musste. Zu den Gottesdiensten nach Nejdek wurden die Rüstzeitteilnehmer mit einem Praga V3S (einem geländegängigen LKW, Anm. d. Übers.) gebracht. Wir fuhren sechs Jahre lang an diesen Ort.

Bevor die Arbeitsrüstzeit 1971 begann, fuhr ich Ende Juni nach Ryžovna, um die letzten Dinge abzusprechen und einer der Förster meinte, es sei sehr problematisch. Er erklärte mir, warum. Es sei ein Herr aus Pilsen gekommen, der ihm mitgeteilt habe, es sei nicht erwünscht, dass die Kirche Arbeitseinsätze durchführe, und es sei notwendig, uns abzusagen. Er dürfe uns allerdings den wahren Grund nicht mitteilen. Sie sollten uns sagen, sie brauchten keine Helfer, sie hätten genug Arbeitskräfte, oder in der Unterkunft bestehe Infektionsgefahr oder sie sollten sich etwas anderes ausdenken. Die Sache war klar. Es war jemand von der Pilsener Stasi gewesen. Wir beratschlagten, was zu tun sei. Unser Förster aus Ryžovna, Herr Šupík, war bei einer Schulung und sollte erst drei Tage später zurückkommen. Ich sollte hinfahren, nachfragen und sagen, ich hätte gehört, dass sie an uns kein Interesse hätten. Herr Šupík explodierte: „Wer konnte so etwas behaupten? Ich warte schon sehnsüchtig auf euch, höchste Zeit, dass ihr kommt.“ Er wusste genau, dass wir gute Arbeit leisteten, und ihm war bewusst, was er an uns hatte. Ich sagte ihm, ich hätte nur so etwas läuten hören, er solle selbst nachfragen, dann werde man sehen. Ich hätte noch etwas zu erledigen und käme in circa zwei Stunden wieder und dann könnten wir uns absprechen. Als ich wiederkam, sagte Herr Šupík zu mir: „Rechnen Sie mit dem Einsatz. Ich nehme das auf meine Kappe.“ Er war Mitglied des Kreisrats der Kommunistischen Partei. Also fuhren wir hin und die Rüstzeit war gerettet. Der andere Förster sagte: „Dann schreiben Sie Pfarrer Jeschke, sie sollen auch kommen. Wenn das bei Šupík möglich ist, warum nicht auch bei mir?“ Später sagte mir Förster Šupík, er habe das Ganze sehr politisch begründet: 1. Wenn die vom sozialistischen Jugendverband hierher kommen und so wie die von der Kirche arbeiten, sei er bereit, uns abzusagen. Aber aus dem Jugendverband wolle keiner kommen. 2. Dass diese Leute vor dem Essen beten, sei nicht so tragisch. Außerdem sei er mit uns in Kontakt und könne auf uns einwirken. 3. Wenn sie es uns verbieten, könnten sie auch nichts ausrichten. Dann würde der Pfarrer die Leute mit ans Wasser nehmen und habe den ganzen Tag auf sie Einfluss. So leisteten sie ein gutes Stück Arbeit. Das Argument zeigte Wirkung. Das Wort des Försters hatte Gewicht. Er ging immer offen mit uns um. Trotzdem nahmen wir eine Änderung vor und ich denke, dass wir schon von diesem Jahr an nicht mehr als evangelische Gemeinde Nejdek auftraten, sondern die einzelnen Namen aufschrieben. Für die Gemeindearbeit waren die Rüstzeiten ein Gewinn, wahrscheinlich mehr als die Ausflüge. Das wussten die Leute aus der Gemeinde sehr gut. Schließlich waren dort auch ihre Kinder. Bei der alltäglichen Arbeit, oft erschöpft und müde, lernten sie, ein christliches Leben zu führen. Schließlich gab ich selbst die Arbeit auf, es ging nicht anders. Die Kirchengemeinde Nejdek hatte von Ostrov die Gemeinde Jáchymov samt Gebäuden übernommen. Dort erwartete uns jede Menge Arbeit und unzählige Arbeitseinsätze. So fuhren wir von 1974 bis 1982 jedes Jahr nach Jáchymov. Für die Waldarbeiten blieb keine Kraft mehr. Deshalb beendete ich diese Arbeit, die ich 1953 begonnen und der ich mich die ganze Zeit (mit Ausnahme der Armeezeit) gewidmet hatte. Sie war ein ganz wesentlicher Teil meines Lebens. Andere machten mit der Jungen Gemeinde Wanderungen, Bootsfahrten, zelteten irgendwo, hatten mehr Zeit usw. Aber die 14 Tage gemeinsame Arbeit hatten ihren eigenen Reiz. Ich denke, dass viele ihr christliches Leben menschlich gesehen gerade diesen Arbeitsrüstzeiten verdanken. Oder es war für sie so ein Erlebnis, dass sie es ihr ganzes Leben mit sich tragen. Einmal war eine Lehrerin mitgekommen. Wir nannten sie „Höllen-Jana“, denn es gab dort viele Janas und es war im Winter und sie hatte, denke ich, als einzige Metallkanten an den Skiern. Der Weg war nicht gut, es gab dort Steine. Es war schon recht dunkel und bei der Fahrt flogen von diesen Metallkanten die Funken. Sie sagte: „Die Arbeitsfreizeiten waren für mich der Höhepunkt meines Lebens. Danach ging es nur noch bergab.“ Die Verbindung von Arbeit, Natur und Frömmigkeit, das alles hinterließ in den Teilnehmern tiefe Eindrücke. Es war, denke ich, ein gutes Stück Arbeit. Ich bemühte mich immer darum, dass die Rüstzeiten, wie Karel sagte, heilig sind. Karel hatte bei manchen Rüstzeiten etwas Bedenken: Sie schienen ihm zu faul, zu oberflächlich. Einmal beklagte er sich und sagte: Manchmal habe ich den Eindruck, dass nur Vladislav Kalus und dir daran gelegen ist, dass die Arbeitsrüstzeiten heilig sind. Der Tag begann mit einer Andacht und einer Schriftauslegung, vor den Mahlzeiten wurde gebetet und dann gab es noch die Abendprogramme, die immer mit einer Gebetszeit endeten (von einer Rüstzeit in Ryžovna etwa 1970 schrieb Vladislav Krajča nach Hause: „Es ist prima hier, nur dass wir fünfmal am Tag Andacht haben.“), es wurden auch Lieder gesungen, es gab ein gemeinsames Abendmahl und Gespräche bei der Arbeit. Das alles gab es bei den neun Jáchymover Arbeitsrüstzeiten auch. Ich kann also eigentlich nicht sagen, dass ich damit aufhörte. Das tat ich erst 1982, das heißt, ich war dreißig Jahre lang über die Ferien auf diese Weise mit jungen Menschen zusammen.

Hier enden Blahoslav Šoureks Erinnerungen und es folgen Texte aus einer Monographie über die Arbeitsrüstzeiten: Der Weg der Kirche IV, herausgegeben 2011.

Der Herausgeber der Publikationsreihe „Der Weg der Kirche“, Pavel Hlaváč, schrieb in der Einleitung zu eben jener Monographie über die evangelischen Arbeitsrüstzeiten: Die Arbeitseinsätze nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich zu einer Bewegung, die in der Tschechoslowakei anfangs vom uneigennützigen Bemühen um die Erneuerung der zerstörten materiellen und immateriellen Werte getragen war. Diese Motivation hielt jedoch nur kurze Zeit vor, denn schon bald nach dem Februar 1948 wurde sie von den nun regierenden kommunistischen Machthabern missbraucht, die auch viele andere hochherzige Dinge, Gedanken und leider auch Menschen niederhielten. Die Folge der damaligen geplanten und ungeplanten Zerstörung dieses Geistes ist die heutige verächtliche Wahrnehmung dieser Arbeitseinsätze (Einsätze der sozialistischen Arbeit u. Ä.). Die Arbeitseinsätze der evangelischen Jugend, wie sie mehrere Generationen junger Menschen von den fünfziger bis zu den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebten, standen aber gewissermaßen im Widerspruch zu allem Kommunistischen, Hohlen und Formalisierten. Bei diesen Arbeitseinsätzen lernten die jungen Leute in der offenen und freien Gemeinschaft des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, was Verantwortung vor Gott und dem Nächsten bedeutet, sie lernten bei der Arbeit und bei Freizeitaktivitäten wahrhaftig und mit Liebe zu leben und zu handeln. Das Gemeinschaftsleben bei den evangelischen Arbeitseinsätzen beeinflusste die Teilnehmer ihr ganzes Leben lang. Offenbar trugen gerade diese Arbeitsrüstzeiten und ihre Atmosphäre dazu bei, dass die tschechischen Protestanten nicht nur als einsame Einzelkämpfer an der Oppositionsbewegung der späteren Jahre beteiligt waren, sondern als konkrete zusammengehörige Gruppe. Aus dem Meer der Indoktrination und einer destruierten Menschlichkeit in der sozialistischen, „dem Kommunismus zustrebenden“ Gesellschaft ragten die Arbeitsrüstzeiten der evangelischen Jugend als „Inseln einer positiven Devianz“, als Orte der Erkundung echter Werte heraus. Ebenso ist es wohl kein Zufall, dass den Kern vieler Kirchenvorstände der EKBB in Vergangenheit und Gegenwart frühere Teilnehmer solcher Arbeitsrüstzeiten bilden.

Zunächst schildere ich kurz, wie es eigentlich zu diesen Arbeitseinsätzen kam: Als schon bekannt war, dass die Organisationen YMCA und Akademischer YMCA aufgelöst werden, wurde auf Anregung von Sekretär Lubor Drápal, Jan Šimsa und Marta Kačerová ein Versuch unternommen, eine Fortsetzung der Ferienarbeitseinsätze für Schüler und Jugendliche ins Leben zu rufen. Die Initiative ergriffen einerseits Studierende der Theologischen Fakultät und andererseits die Abteilung für Jugenderziehung des Synodalrats der EKBB, allen voran Vladimír Čapek und andere Mitglieder: Jan Miřejovský, Miroslav Heryán, Marta Kačerová, später Karel Trusina. Der Student Jan Šimsa und die Sekretärin Marta Kačerová konnten mehrere einflussreiche politische Persönlichkeiten für den Gedanken der Arbeitseinsätze gewinnen, unter ihnen auch den Sekretär des Synodalrats Jiří Novotný. Ihm gelang es, das Interesse des damaligen Leiters der slowakischen evangelischen Kirche A.B. Andrej Žiak zu gewinnen, der gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender der Nationalversammlung der Tschechoslowakischen Republik war und auf höchster politischer Ebene die Zustimmung zu den Arbeitseinsätzen einholen sollte. Das gelang schließlich auch und 1951 begann die legale/offizielle (später inoffizielle) Organisation evangelischer Arbeitseinsätze. Sie dauerte im Grunde bis zur Samtenen Revolution 1989 an. Ich muss einräumen, dass sich einige der damaligen Kommunisten in den Reihen der evangelischen Kirchen zweifellos um die Genehmigung dieser Arbeitseinsätze der evangelischen Jugend verdient gemacht haben. Sie und diejenigen, die diese Einsätze genehmigten, konnten zwar von der Annahme ausgehen, dass die Arbeitseinsätze für die Volks- und Forstwirtschaft im ausgesiedelten Grenzgebiet nutzbringend sind, aber sie konnten nicht ahnen, was für einen Segen sie der Kirche und hunderten jungen Christen dieses Landes, das atheistisch werden sollte, bringen würden. Ich sehe darin Gottes Führung und seinen unendlichen, ja geradezu himmlischen Sinn für Humor.

Wie bereits gesagt, knüpften die Arbeitseinsätze an eine Praxis an, die sich schon im YMCA bewährt hatte. Von 1951 bis 1958 wurden sie von der EvangelischTheologischen Comenius-Fakultät in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Jugenderziehung des Synodalrats der EKBB organisiert. Um die Verwaltung kümmerte sich aufopferungsvoll Marta Kačerová und die Organisation übernahm Karel Trusina zusammen mit Studierenden der Fakultät. Anstelle von Regimepolitikern delegierte der Synodalrat zu jedem Durchgang der Arbeitsrüstzeiten einen Pfarrer, der die geistliche Leitung innehatte. In den Jahren 1959–1967 durfte der Synodalrat die Arbeitsrüstzeiten weder inserieren noch deren Verwaltung und Organisation übernehmen. Dies übernahmen bereitwillig die Studierenden, wenn es auch recht riskant war: zunächst Honza Keller und Vojen Syrovátka, dann auch andere erfahrene Teilnehmer, die weiter inoffiziell mit Marta Kačerová zusammenarbeiteten. In den Jahren 1968–1972 konnte die Jugendabteilung des Synodalrats der EKBB, also wiederum Marta Kačerová und Karel Trusina, die „Arbeitseinsätze nicht nur der evangelischen Jugend“ in den Sommerferien organisieren. In den Jahren 1973– 1974 fanden die Arbeitsrüstzeiten dann bereits inoffiziell statt. Die Organisation übernahmen wiederum Studenten. Im Jahr 1975 wurden die Organisatoren (Robert Čejka und andere) durch das direkte Einwirken der Staatssicherheit auf die Forstbetriebe gezwungen, Telegramme an alle Angemeldeten zu senden, dass sie nicht zum Arbeitseinsatz fahren sollen. Dennoch fuhr man weiter zu den Arbeitsrüstzeiten – die evangelische Jugend war nicht sehr fügsam …

Im einleitenden Kapitel der Publikation Die Freiheit in uns (Svoboda v nás) schrieb die Herausgeberin Pavla Loucká: Ich erinnere mich dankbar an die Waldfreizeiten, die in der Zeit des Totalitarismus von der EKBB organisiert wurden. Einige Rüstzeiten waren „evangelisch“ (aber es störte niemanden, dass ich Katholikin bin), andere waren „ökumenisch“ (aber niemand fragte nach, wer woher kam, es spielte überhaupt keine Rolle). Woran ich mich bis heute lebhaft erinnern kann: Auf Anhieb fühle ich mich dort zu Hause. Ein eigenwilliger Humor, ein stiller Ernst bei den Morgen- und Abendandachten. Das prägnante Tschechisch der Kralitzer Bibel. Lieder aus Liederbüchern. Spirituals. Offenheit und Natürlichkeit (ohne Romantik, wie von Miloš Rejchrt angemerkt). Vor dem Blockhaus in Alojzov ein schlichtes Kreuz aus unbearbeiteten Birkenstämmen, im Küchenofen ein flackerndes Feuer. Debatten, die zu etwas führen, wir fragen und hören zu. Arbeit im Wald, Regen, grüne Berge und vor allem Freiheit – im Sprechen, im Denken und im Inneren. Verschiedenheit bereichert. Wir dürfen sein, wie wir sind. Es erschien mir auch nicht seltsam, dass ich z. B. von christlicher Mystik zum ersten Mal bei den Protestanten gehört habe, von denen allgemein behauptet wird, sie hielten Mystik für ein „unanständiges Wort“. Dabei hätte ich ohne die evangelischen Arbeitsrüstzeiten wahrscheinlich in Zeiten des Totalitarismus niemals Simone Weil gelesen. An der Spitze des Ökumenischen Rates der Kirchen steht heute offenbar nicht grundlos Joel Ruml. Er war mit uns schon 1969 bei einer jüdisch-christlichen ökumenischen Rüstzeit in Rathewalde in Deutschland. Damals war er eher noch unter als über zwanzig. Und schon damals sagte er, es gehe nicht darum, ob in einem Gebetsraum ein Kreuz sein sollte oder nicht, sondern darum, wie sich der Sinn des Kreuzes in unserem Leben widerspiegelt. Das SOS-Kinderdorf in Doubí bei Karlovy Vary, das wir 1970 abwechselnd unter der Leitung von Sam Hejzlar (EKBB) und Pater Pavel Kuneš (römisch-katholische Kirche) bauten, ist zwar längst in die Jahre gekommen, tut aber bis heute seinen Dienst.

Die Blockhütte in Alojzov ist vor Jahren abgebrannt. Doch etwas ist wohl von uns und in uns geblieben: vor allem der Wunsch nach Freiheit.

Es folgen Angaben und Wissenswertes über die Arbeitsrüstzeiten, die durch eine Auswahl aus den Erinnerungen einiger weiterer Organisatoren und Teilnehmer der Rüstzeiten ergänzt werden:

Art der Arbeiten: Kochen für die Teilnehmer, Heuwenden und -einfahren, Mäharbeiten zwischen Baumsetzlingen, Verschnitt und Auslichten, Verbrennen von Reisig, Ausheben von Pflanzgruben, Pflanzen von Bäumen, Einschlag und Abtransport von Bruchholz, Vermessen des Stammdurchmessers, Einschlag und Abtransport von Holz, Borkenkäferbekämpfung, Entrinden, Verbrennen von Rinde mit Borkenkäferbefall, Instandsetzung von Waldwegen, Graben von Wasserrinnen, Reinigen des Grundes und der Ufer einer künftigen Talsperre, Reinigen des Streifens am Bahndamm, Anpflanzen von Kohl für die Hirsche, Arbeit auf Kompostanlagen, in den fünfziger Jahren Sammeln von Kartoffelkäfern („Amikäfern“), Arbeiten am Grenzstreifen u. a.

Ernste und weniger ernste Programmpunkte: Morgen- und Abendandachten, Sonntagsgottesdienste, Podiumsdiskussionen unter den Teilnehmern, Themenabende (Verhältnis zwischen Jungen und Mädchen, Todesstrafe, Verhütung u. Ä.), Bibliodramen, Rezitationen mit Musik, Belletristiklesungen, Sportspiele (Volleyball, Pétanque u. Ä.), Gesellschaftsspiele, notorische Schläfer in den eisigen Bach werfen und andere originelle Wachmacher, gemeinsame Ausflüge zu Arbeitsrüstzeiten in der Umgebung.

Politische Ereignisse während der Arbeitsrüstzeiten: Abwurf von Flugblättern gegen die Währungsreform 1953, Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die ČSSR am 21. August 1968, Landung der Amerikaner auf dem Mond am 20. Juli 1969.

Musikalisches Repertoire: Evangelisches Gesangbuch, Lieder von Miloš und Luděk Rejchrt, Spirituals, Kanons, Protestsongs, Parodien auf Volkslieder, Parodien auf russische Kampflieder, Piraten-, Matrosen- und Tramplieder, Prager Gassenhauer, Lieder von Jiří Suchý und Jiří Šlitr, Liederbuch „Das neue Lied“ (Nová píseň) aus den Niederlanden, Jugendliederbuch „Es tagt“ (Svítá).

Instruktionen für Waldanalphabeten:

Mäharbeiten zwischen den Baumsetzlingen: 1. Finde im hohen Gras eine kleine Fichte. 2. Haue das Gras um sie herum mit der Sichel. 3. Ist die Sichel stumpf, nimm einen Schleifstein und schärfe sie. 4. Wenn du das nicht kannst, reiß das Gras mit den Händen aus („Rupfarbeiten“, so schon in Jizerka praktiziert). 5. Wenn du dir mit der Sichel in den Gummistiefel schneidest, läuft Wasser in den Stiefel hinein. 6. Wenn du dir den großen Zeh abhaust, läuft Blut aus dem Stiefel heraus. 7. Du darfst dem Baum nicht die Spitze abhauen. 8. Wenn du das Bäumchen ganz absichelst, häng es nicht an die große Glocke. 9. Auf den Lichtungen wachsen noch andere interessante Pflanzen – für die solltest du dich erst interessieren, wenn der Förster weg ist. 10. Schau dir deinen Arbeitsplatz nach 10, 20, 30 … Jahren wieder an.

Auslichten des Unterholzes: 1. Der Förster stellt die Helfer am Rand eines dichten Unterholzes auf: „Auf Armlänge auseinandertreten!“ 2. Der Förster ruft: „Leute, man muss durchgucken können!“ 3. Der Förster warnt: „Bäume nicht auf Hüfthöhe abschlagen, da muss man sich schon runterbücken.“ 4. Der Förster lamentiert: „Ich will keine Lichtung, nur eine Auslichtung!“ 5. Der Förster resigniert: „Aus dem Reisig schöne Haufen machen!“

Aus den Erinnerungen der Teilnehmer:

Die „verdienstvolle Mutter“ der Arbeitsrüstzeiten, die Sekretärin des Synodalrats Marta Kačerová, erinnert sich folgendermaßen an die Anfänge der Arbeitseinsätze: Wenn wir uns heute gemeinsam in Erinnerung rufen sollen, welche Rolle die Arbeitsrüstzeiten während der Ferien (meist Forst-, aber auch Bauarbeiten u. Ä.) im Leben der Kirche gespielt haben, muss ich gestehen, dass der Anstoß dazu unerwartet von außen kam. Es war drei Jahre nach dem kommunistischen Umsturz im Jahr 1948, die Gesellschaft musste nolens volens zur Kenntnis nehmen, dass die Kommunistische Partei die moralische Übernahme der Macht über den Staat und das persönliche Leben seiner Bürger anstrebte. So wie die Betriebe nach und nach in Staats- oder Volkseigentum übergingen, wurden auch alle Vereine u. Ä. schrittweise liquidiert und an ihrer Stelle landesweit aktive und staatlich kontrollierte Organisationen gegründet. Anfang 1950 wurden der YMCA und mit ihm der Akademische YMCA aufgelöst. Der ursprünglichen Satzung zufolge sollte bei Auflösung des YMCA dessen Eigentum der EKBB zufallen, aber aufgrund eines Beschlusses der Nationalen Front bekam es der Staat. Der letzte Sekretär des Akademischen YMCA (AY), Lubor Drápal, kam nach der Auflösung in unser Jugendzentrum mit dem Vorschlag bzw. der Frage, ob wir nicht einen Arbeitsbereich des YMCA, der sich bewährt hat und auch für unsere Jungen Gemeinden geeignet wäre, übernehmen möchten. Etwa drei Jahre lang veranstalteten sie im Altvatergebirge, in einem völlig verlassenen Dorf, in dem von den ursprünglichen deutschen Bewohnern nur eine alte Dame übriggeblieben war, Ferienarbeitseinsätze für Studenten, bei denen sie in der Heuernte arbeiteten, Waldwege instandsetzten u. Ä. Ihnen habe das sehr gefallen – keine zu schwere Arbeit, die auch für die Mädchen zu schaffen sei, das Forstrevier stelle die Unterkunft zur Verfügung und bezahle mindestens eine Fahrt, der Verdienst reiche dann für die Verpflegung. Damals wurde noch mit Lebensmittelmarken gewirtschaftet, das Essen war also nicht so toll, aber das wenige war nicht teuer. Für uns sei günstig, dass sie uns die dortige Küchenausstattung überlassen wollten (große Töpfe, Kasserollen u. Ä.). Essbesteck und Campinggeschirr bringe jeder selbst mit. Außerdem gebe es dort grüne Wolldecken, die dort von den Amerikanern der UNRRA zurückgeblieben waren. Wir begannen darüber nachzudenken, aber ohne große Begeisterung – wir hatten einen ganzen Monat mit Kursen im Comenius-Sommerlager vor uns, einschließlich der Leitung des ganzen Zentrums. Ein weiteres Problem: Würden wir genug Interessenten finden? Auf der anderen Seite wussten wir, dass es für Schüler ab 16 Jahren zur Pflicht gemacht worden war, von den zwei Ferienmonaten 14 Tage in der Volkswirtschaft zu helfen. Diese Verordnung galt bereits etwa zwei Jahre. Die Jugendlichen mussten in diesen zwei Wochen in Gruppen arbeiten, die vom Tschechoslowakischen Jugendverband organisiert wurden. Wir wussten, dass die Arbeitsmoral in diesen Gruppen sehr problematisch war, und es kamen Mütter zu uns und fragten, ob die Kirche nicht vielleicht so etwas organisieren könnte. Das wäre für sie eine Garantie für gewisse Konventionen gewesen. Die Kirche konnte sich aber so etwas nicht erlauben – organisieren durften das nur landesweite Jugendorganisationen oder Organisationen wie der Verband der Freunde der UdSSR u. Ä. Nach längerem Überlegen kamen wir auf die Idee, dass der Tschechoslowakische Jugendverband an der Comenius-Fakultät für so eine Unternehmung seinen Namen zur Verfügung stellen könnte. Nachdem wir mit Funktionären des Jugendverbandes der Fakultät und später auch mit der Fakultätsleitung gesprochen hatten, beschlossen wir, es zu machen. Die Verhandlungen mit dem Synodalrat waren kein so großes Problem – wir erhielten die Zustimmung, aber unter zwei Bedingungen: a) dass wir von der Kirche keine einzige Krone bekommen (die Kirche war damals – wenige Jahre nach der Währungsreform 1945 – sehr arm), b) dass sich Marta Kačerová dieser Arbeit außerhalb ihrer Arbeitszeiten widmet. Damit waren wir einverstanden. Trotzdem bekam ich von Herrn Valeš Geld, um für jeden Einsatzort eine mechanische Brotschneidemaschine zu kaufen. In diesem Jahr (und auch in den darauffolgenden Jahren) schickte der Synodalrat einen Brief in die Gemeinden: „Die Studenten der Comenius-Fakultät haben uns gebeten, allen Gemeinden mitzuteilen, dass in den Ferien Evangelische Arbeitseinsätze im Wald stattfinden, zu denen sich Schüler und Studenten aus allen Gemeinden anmelden können …“ Der Fakultät mussten wir versprechen, dass das Büro des Jugendzentrums die organisatorische Arbeit übernehmen würde. Der Brief wurde also abgeschickt und wir erwarteten, dass sich 60–80 junge Leute finden würden. Aber zu unserer Überraschung gingen 500 Anmeldungen ein! Im entvölkerten Altvatergebirge gab es zum Glück Platz und Arbeit für so eine große Teilnehmerzahl. Forsthäuser, die jeweils wenige Kilometer voneinander entfernt waren, gab es auch genug, sodass das Altvatergebirge fest in den Händen von mehreren hundert jungen Leuten war, die eine solche Arbeit noch nie zuvor gemacht hatten. Aber sie ästeten junge Bäume aus, wendeten Heu und setzten Wege instand – und die Förster waren zufrieden. Die Jugendgruppen in Branná, Josefová, Ostružná und Petříkov trafen sich jeweils am zweiten Sonntag zu einem gemeinsamen Gottesdienst und einem Ausflug, am dritten Sonntag waren sie dann alle schon wieder zu Hause. An den Einsatzorten hatten die Teilnehmer einen festen Tagesablauf: morgens vor dem Aufbruch eine kurze Morgenandacht, abends das gemeinsame Nachdenken bei der Auslegung eines bestimmten Bibelabschnitts + Lieder + Gespräche. Außerdem bemühten wir uns darum, dass immer alle zusammen waren.

Im Jahr 1952 beschloss die zentrale Leitung der Aktion „Die Jugend hilft der Volkswirtschaft“, dass alle, die im Jugendverband organisiert waren, obligatorisch nach Ostrava zum Aufbau des Stadtviertels Poruba fahren mussten. Von uns fuhren wiederum mehrere hundert Teilnehmer, aber leider war das zubetonierte Poruba kein Wald im Altvatergebirge, und in einer Masse von mehr als 1500 freiwilligen Helfern geht eine kleine Gruppe unweigerlich unter. Zum Glück war der Bau von Poruba dann fertiggestellt und in den Folgejahren waren wir wieder an verschiedenen Orten im Altvatergebirge – in Josefová, Branná, Karlovice, Vrbno, Holčovice, Darkov und anderswo und vor allem ab 1955 in Jizerka. Außerdem waren wir im Böhmerwald in Černá v Pošumaví, auf dem Berg Kleť und in Kvilda, im Duppauer Gebirge in Valeč und Peklo und wer weiß, wo noch überall. Blahoslav Šourek organisierte über viele Jahre Arbeitsrüstzeiten in Westböhmen. Um 1960 tauchten dann im Böhmischen Becken die ersten Christen aus dem Ausland auf. Sie hatten Verschiedenes über uns und unsere Jugendarbeit erfahren, und obwohl wir darum gebeten hatten, nicht über uns zu schreiben, gab es – ich glaube in Frankreich – ein begeistertes Referat darüber, wie clever die Christen in der Tschechoslowakei seien und was sie alles machten. Hinzu kam, dass bei den Aufnahmegesprächen an der Comenius-Fakultät mehrere Bewerber auf die Frage, was sie dazu bewogen habe, sich für ein Theologiestudium zu bewerben, antworteten: das Leben bei den Arbeitsrüstzeiten. Es saß dort aber auch ein Mann vom Ministerium und so wurden die Arbeitsrüstzeiten 1960 verboten. Zu diesem Zeitpunkt hatten aber einige Theologen und Pfarrer bereits mehrere Ferien mit Arbeitsrüstzeiten hinter sich, sie hatten Erfahrung und Kontakte zu Forstrevieren und begannen, die Einsätze mehrere Jahre lang unter ihrem eigenen Namen zu organisieren. Dann kamen der Vorfrühling und der Frühling 1968. Die Arbeitsrüstzeiten nahmen Fahrt auf und erweiterten ihr Angebot um den Bau eines SOS-Kinderdorfes in Doubí, eine internationale Arbeitsrüstzeit in Doubí, einen Arbeitseinsatz im Pflegedienst des Sozialen Dienstes (für Mädchen von Fachoberschulen und Berufsakademien für Gesundheit) und anderes. Dann endete der Prager Frühling und die Zeit der sog. Normalisierung begann. Im Juli 1974 kam die Staatssicherheit ins Altvatergebirge – und der Traum war ausgeträumt!

Aber dank der Hilfe Gottes und couragierter Organisatoren aus den Reihen der Studenten und Pfarrer, die diese Rüstzeiten „auf ihre Kappe“ nahmen, wurden die Arbeitsrüstzeiten separat bis zur Samtenen Revolution weiter durchgeführt – an verschiedenen traditionellen und neuen Orten.

 

Der evangelische Pfarrer Jan Trusina berichtet: Ich denke, ich war im August 1951 zum ersten Mal bei einem evangelischen Arbeitseinsatz in Branná. Organisiert wurde das vom Synodalrat und wir meldeten uns bei Marta Kačerová an. Einmal besuchte uns dort der Synodalsenior Viktor Hájek mit seiner Frau. Er war etwas erschrocken, dass wir in einem Stall schliefen. Die Mädchen arbeiteten im Wald. Ich war in einer Gruppe von Jungen, die Waldwege instand setzten. Die Jahre 1952– 1955 vermischen sich in meiner Erinnerung. Die erste Rüstzeit war vielleicht die in Karlovice u Vrbna. Geleitet wurde sie von Karel und Blahoslav. Wir wohnten in beiden Gebäuden, im Pfarrhaus und in der Schule (…). Mit dem Traktor wurden wir (nach Drakov?) zur Feldarbeit, zur Heuernte usw. gebracht. Es waren ziemlich viele Leute aus der Fakultät dort. Wir spielten auf relativ hohem Niveau Volleyball. Es wurde abwechselnd gespielt: einmal Volleyball für das gemeine Volk, einmal turniermäßig (Böhmen gegen Mähren oder Theologie gegen Welt). Es nahmen auch Mitglieder von Prager Gemeinden teil – im Gedächtnis sind mir die Leute von Salvator geblieben. Jiří Tichota, genannt „Tichák“, brachte Blahoslav so zur Weißglut, dass dieser ihn nach Hause schicken wollte, als Jiří auf den Schornstein einer verlassenen Fabrik kletterte, bis ganz nach oben, natürlich auf Steigeisen – wahrscheinlich ging es um eine Wette. Wir konnten Blahoslav aber besänftigen. Alle spielten Gitarre, Jiří schon damals besonders gut – er begleitete nicht nur die Lieder, sondern spielte auch Vortragsstücke (besonders gefiel mir das Stück „Fröhlicher Landmann, von der Arbeit zurückkehrend“). Von den Pfarrern war dort z. B. Ladislav Horák (…). Die meisten Erinnerungen habe ich natürlich an Jizerka. Zum ersten Mal waren wir dort 1956 mit Blahoslav Šourek. Wir hatten das Studium abgeschlossen und fuhren direkt von Prag aus dorthin. Es waren unsere letzten Ferien. Wir waren etwas früher da, um alles zu inspizieren und in Ordnung zu bringen. Das Haus, in dem wir untergebracht waren, gefiel uns auf den ersten Blick. Ich erinnere mich, dass wir damals ein gutes Werk vollbrachten: Als wir die Toiletten kontrollierten, stellten wir fest, dass die Damentoilette mit Dingen verstopft war, die man normalerweise in den Abfalleimer wirft. Der Förster meinte, er vernagele die Tür zu dieser Toilette mit Brettern und baue so etwas wie eine Latrine. Wir folgten aber erst einmal den Abflussrohren und stellten fest, dass es im Keller ein Verbindungsstück (Knie) gab, das wir irgendwie abschraubten. Nach und nach gelang es uns, all die dubiosen Gegenstände herauszuziehen, hinauszutragen und die Toilette wieder in Betrieb zu nehmen. Das war nicht so schlimm. Dieses Metier war mir auch bei der Armee nicht erniedrigend erschienen. Danach war alles einfach nur schön. Die Mädchen arbeiteten im Heu, wir irgendwo im Wald. Nachts erklärte Blahoslav die Sternbilder. Der Star war allerdings Pfarrer Voborník. Wir mochten ihn alle sehr gern und ich denke, er uns auch. Wir hatten so unsere Schlachtrufe, die wir uns bei den Prager Erste-Mai-Demonstrationen abgelauscht hatten: „Wir ertränken die amerikanischen Aggressoren im Chinesischen Meer.“ Worauf geantwortet wurde: „Für eine gemeinsame Grenze mit der Volksrepublik China.“ So begrüßten wir uns (allerdings eher flüsternd) auch später noch, immer wenn wir uns begegneten, zum Beispiel in der Metro. Jizerka ist mir sehr ans Herz gewachsen. (…) Im unteren Teil befand sich das Gasthaus „Pyramida“, wohin wir zum Mittagessen gingen. Alle Arbeitsrüstzeiten hatten ein gemeinsames Rahmenprogramm: vormittags und am frühen Nachmittag Arbeit, nachmittags frei, Sport, Spiele, Spaß, am Abend ein ernstes, in der Regel biblisches Programm. Die Arbeit machten wir meistens ordentlich, aber viel Herzblut steckten wir nicht hinein. Sonntags hatten wir Gottesdienst, der von den Pfarrern geleitet wurde. Was die Anmeldungen angeht, habe ich das Gefühl, dass wir uns die ganze Zeit über bei der Jugendabteilung des Synodalrats, bei Marta Kačerová anmeldeten (…). Wenn es möglich war, aßen wir in einer Kantine für die Arbeiter vor Ort. Manchmal hatten wir auch eigene Köchinnen, aber das war eher die Ausnahme. Ich erinnere mich nur noch an unsere Köchin in Karlovice, die aus der Gemeinde Krnov kam. Ich hatte einen Tag zusammen mit Ludmila Třísková, der Schwester des Schauspielers Jan Tříska, bei ihr Dienst.

Der tschechische Schriftsteller Alexandr Kliment berichtet: Im Jahr 1948 fuhr ich mit einer sehr interessanten Gesellschaft, dem Akademischen YMCA, der zum großen YMCA gehörte, zu einer Arbeitsrüstzeit nach Kvilda. Es waren fröhliche, nachdenkliche Menschen, meist christlich orientiert. Nach dem Februar 1948 hatte das Regime den YMCA in der Tschechoslowakei aufgelöst. Einige alte Freunde von mir emigrierten, einige gingen ins Gefängnis, aber zu vielen hatte ich weiter Kontakt. In Kvilda waren wir damals etwa fünfundzwanzig, Jungen und Mädchen. Die Landschaft, die Natur, der Himmel, die Umgebung, die Stadt Krumlov mit ihrer wunderbaren Architektur und Tradition und natürlich meine persönlichen Erlebnisse – ich war damals neunzehn! (…) Und dann – verliebt sich ein neunzehnjähriger Mensch. In Kvilda waren lauter hübsche Mädchen, meist Abiturientinnen. Es gefielen mir einige, aber verliebt war ich in eine einzige. An sie dachte ich, sie hätte ich nicht verlassen können. Damals war ich noch eine gläubige Seele, erzogen von einer evangelischen Mutter. In Kvilda machten wir alles selbst, von der Küche bis zur sehr liberalen Abendandacht. Es entstanden dort einzigartige, manchmal sogar lebenslange Freundschaften. Tage, Abende, Nächte unter Sternen, alles spielte sich in einer schönen zwischenmenschlichen Atmosphäre ab, schöne Natur und ein Umfeld für sehr interessante und für jeden von uns aktuelle Diskussionen. Weil wir alle christlich geprägt und zwischen 19 und 26 Jahre alt waren, wurden wir alle entweder im Glauben gefestigt oder wir verloren ihn.“ (Tři žíně, 2009, S. 18–20).

Der evangelische Pfarrer Jan Čapek berichtet: Bei meiner ersten Arbeitsrüstzeit war ich 1951 in Petříkov, in der Nähe von Ostružná, und in Alojzov, U mlýna. Im Jahr 1952 war ich bei einer Arbeitsrüstzeit in Jozefová, Forstrevier Františkov, in der Nähe der Stadt Branná, früher Kolštejn. Die Arbeitsrüstzeit wurde von Frau Professor Božena Komárková aus Brno geleitet. Sie war ab 1950 im Vorruhestand und widmete sich so auch bei den Arbeitsrüstzeiten der Jugendarbeit, sie bereitete Programme vor, leitete Diskussionen, beteiligte sich am Kochen in der Küche und am Holzhacken. Das Dorf Jozefová war nach der Aussiedlung der deutschen Gebirgsbewohner leer, das Forsthaus und die Bauernhäuschen standen aber noch. Im Jahr 1950 fand dort eine Arbeitsrüstzeit statt. Bei der Rüstzeit 1951 blieben die „römische“ Via Appia und in einem Haus das Versammlungszimmer, genannt „Bei den Chaldäern“, unvollendet. Ich wohnte bei der Arbeitsrüstzeit 1952 zusammen mit sechs weiteren Teilnehmern im Haus „Bei den sieben Jungen“. An der Wand hinterließen wir eine große Zeichnung mit dem Titel „Sieben Jungen“, das Datum und die Inschrift: „Lieber Freund, bitte zerstöre diese Wand nicht, sie ist für uns sehr wichtig, hier hat sich etwas ereignet.“ Nicht nur die Wand, das ganze Dorf wurde im Laufe der Zeit demontiert und zerstört. Nach einigen Jahren waren wir mit Professorin Komárková dort und sie sagte vor einer verlassenen Feuerwehrspritze: „Sic transit gloria mundi.“ (So vergeht der Ruhm der Welt.) Wir wendeten Heu, lichteten das Unterholz aus, versahen Mäharbeiten zwischen Baumsetzlingen, reparierten Wege. Angeleitet wurden wir von Förster Miloš Jeřábek, einem netten, gewissenhaften und aufrichtigen Menschen. Ein sympathischer Fuhrmann aus Františkov brachte uns mit seinem Pferdegespann das Essen. In Františkov wohnte auch der Revierförster Čížek, ein guter Mann. Im Jahr 1953 zog die Rüstzeit von Jozefová ins Dorf Zadní Alojzov bei Branná um. Das Wasser für die Küche und zum Zähneputzen holten wir aus dem Bach, an einem Balkengerüst vor dem Forsthaus hing eine Glocke, auf einem kleinen Platz standen zwei lange Holztische und vier Bänke. Damit es im Haus nicht zog, „verglasten“ wir die Fenster mit den Folien von Röntgenbildern. Wir schliefen auf Strohsäcken, die mit Heu ausgestopft waren. Die Mädchen wohnten auf dem Dachboden des Forsthauses, die Jungen in den Bauernhäusern. Vom Boden nahm ich den Schuh eines ausgesiedelten deutschen Kindes mit. Er steht bis heute auf meinem Bücherregal. Wir arbeiteten wieder bei der Heuernte, halfen beim Auslichten, mähten zwischen Baumsetzlingen, arbeiteten in Baumschulen, Kompostanlagen, beim Entrinden und Holzeinschlagen, später halfen wir auch beim Wegräumen von Reisig. Professorin Komárková hielt im Speisesaal oder in der Küche Andachten zur Bergpredigt, sprach über Dostojewski und gab uns eine Einführung in Bonhoeffers Gefängnisbriefe. An der Wand des Speisesaals befand sich die Inschrift „Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will“ (Mt 5,42). In einem Interview (Bratrstvo 1/1969) sagte Professorin Komárková: „Unsere Arbeitsrüstzeiten im Altvatergebirge waren ab dem Beginn der fünfziger Jahre eine der wenigen Möglichkeiten für eine christliche Gemeinschaft unter Jugendlichen. Sie sollten bei der Arbeit und in der Freizeit ein Leben in gegenseitigem Vertrauen, in Geschwisterlichkeit, in Rücksicht auf Schwächere, Lebensdisziplin und einer Gebetsgemeinschaft als feste Basis für Selbstkontrolle, die Anerkennung der eigenen Fehler, für Vergebung und Versöhnung stiften.“

Aus dem Jahr 1962 stammen die „Regeln für das Leben bei den Arbeitsrüstzeiten“, die ich unter die Losung „Nicht was die Rüstzeit für mich tut, sondern was ich für sie tue!“ stellte. Zum Frühstück gab es Porridge (Haferbrei mit Marmelade, Zucker und Milch), als Zwischenmahlzeit schnitten wir Brot mit der Sichel und bestrichen es mithilfe einer Brotrinde (mit einem Brotaufstrich oder Fisch in Tomatensoße, gemischt mit Haferbrei). Wasser tranken wir aus dem Bach. An den Abenden war Programm, Podiumsdiskussionen mit Fragen, wie beispielsweise: Was denkst du über die Slowakei, über Selbstmord, über Hippies, über die Beziehung zu Israel, über die Verantwortung der Kommunisten u. Ä. Am Sonntagvormittag fand immer ein Gottesdienst statt, manchmal auch mit Abendmahl. Im Adlergebirge, wo es zu den Arbeitsorten nicht sehr weit war, trafen wir uns und veranstalteten nachmittags ein Volleyballturnier. In der Zeitschrift Bratrstvo 70/1969 wurden einige Gebete von den Arbeitsrüstzeiten veröffentlicht. Hier ein Gebet von Líba Korecká für einen Gottesdienst bei der Arbeitsrüstzeit in Alojzov: „Herr, wir danken dir, dass wir heute hier zusammengekommen sind, so wie wir es geplant hatten. Es ist ein Geschenk deiner Gnade. Eine Woche unserer Arbeitsrüstzeit mit gemeinsamen Spielen, Arbeit und Andachten liegt hinter uns. Auch für diese Gnade danken wir dir. Wir möchten singen und Danielas Auslegung hören. Einige von uns werden aus diesem Gottesdienst etwas für den morgigen Tag mitnehmen. Wir danken dir. Wir danken dir, Gott, auch für die Möglichkeit, Volleyball zu spielen und nachmittags einen Ausflug zu machen. Wir danken dir, dass wir genug zu essen und Spaß haben. Es geht uns ganz gut, wenn wir nicht daran denken, dass es noch andere Dinge gibt. Wir können sie nicht lösen, sie machen uns nervös und manchmal reagieren wir apathisch. Wir wissen aus dem Geschichtsunterricht, aus der Zeitung, aus dem Fernsehen, dass es Elend und Hunger gab und gibt und dass die Menschen perfekte Vernichtungswerkzeuge erfunden haben. In der Schule hatten wir auch Zivilverteidigung, falls unser Land überfallen wird. Es stellte sich heraus, dass wir schlecht vorbereitet waren. Viele fehlten in den Stunden, als es darum ging, Mut zu zeigen. Wir verzagen, stolpern und verlieren den Glauben in den nächsten Schritt. Hab noch mit uns Geduld, Herr. Sei uns gnädig. Amen.“

Der Forstverwaltung im Grenzgebiet kamen unsere Arbeitseinsätze sehr gelegen, denn nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung gab es zu wenig Arbeitskräfte, die sie hätten ersetzen können, und unsere Arbeitseinsätze füllten – zumindest im Sommer – in gewissem Maße diese Lücke. Die Gesellschaft erlebte in den fünfziger Jahren die harte Diktatur der kommunistischen Partei, die eine bessere, gerechtere Gesellschaft gleicher Bürger ohne Ausbeutung und Arbeitslosigkeit versprach. Die Praxis sah allerdings ganz anders aus: die Freiheit wurde eingeschränkt, Eigentum wurde enteignet und verstaatlicht, zahlreiche gebildete Menschen wurden verfolgt, andere wurden nicht zum Studium zugelassen, die „Kulaken“ wurden ausgeraubt und ausgesiedelt, der Bauernstand wurde herabgesetzt, Menschen wurden verdächtigt, zu Unrecht inhaftiert und es gab sehr viele Hinrichtungen. Die evangelischen Arbeitsrüstzeiten waren im Grunde eine Vorbereitung auf das Leben in dieser Gesellschaft, sie gaben Anleitungen, wie in ihr richtig zu handeln und das Gute zwischen den Menschen zu fördern sei. Die erwähnte Entwicklung drang auch bis in die abgelegenen Dörfer der Rüstzeitteilnehmer vor, sie war Gesprächsgegenstand und warf auch die Frage auf, welche Bedeutung die Kirche inmitten dieser Gesellschaft haben kann und soll. In den sechziger Jahren kam es zu einer immer größeren Entspannung des öffentlichen Lebens und es eröffneten sich größere Möglichkeiten für die Jugendarbeit. Natürlich war auch die militärische Besetzung des Landes durch fünf kommunistische Länder im August 1968 Gegenstand von Gesprächen und Protesten in diesen Kreisen. Als wir 1969 mit den Rüstzeitteilnehmern von Alojzov zu einem Ausflug in die Berge aufbrachen, bastelten zwei von ihnen eine Fahne mit der Aufschrift: „ZA HOVNO“ (übersetzt: BESCHISSEN), was eine Abkürzung war für: „Za hromadný odchod vojsk našich osvoboditelů“ (übersetzt: Für den geschlossenen Rückzug der Armeen unserer Befreier). Das Leben der Gesellschaft spiegelte sich im Denken und Handeln der jungen Menschen wider und führte zur Frage, wie wir in Zukunft leben würden. Die evangelischen Rüstzeiten waren in der langen Ära der kommunistischen Vorherrschaft ein großer Gewinn für die jungen Leute, für ihre Orientierung an den christlichen Grundfesten und für ihre Suche nach Verantwortungsbewusstsein, Ehrlichkeit und Selbständigkeit in einer komplizierten Zeit. Zudem überdauerte die freundschaftliche Gemeinschaft, die aus den Rüstzeiten erwuchs, viele Jahre und Jahrzehnte und ging sogar von einer Generation auf die andere über.

Der evangelische Pfarrer und spätere Sprecher der Charta 77 Miloš Rejchrt berichtet: Ich habe die evangelischen Arbeitsrüstzeiten sehr genossen. Wenn damals ein junger evangelischer Christ sagte: „Ich fahre zur Arbeitsrüstzeit“, hieß die nächste Frage nicht „Wie viel verdienst du?“, sondern „Mit wem?“ und vielleicht noch „Wohin?“ Es war klar, dass wir wegfahren, um uns an der Gemeinschaft junger, meist evangelischer Christen zu erfreuen, wobei die Arbeit im Wald nur so etwas wie ein akzeptabler Vorwand war. Schließlich deckte der Verdienst kaum die Kosten der Zugfahrt und besserte das Taschengeld bestenfalls um ein paar Kronen im zweistelligen Bereich auf. Jungwuchspflege, Holzernte, Heuwenden auf Bergwiesen und ähnliche Arbeiten waren aber nicht nur ein notwendiges Übel, sondern auch die Grundlage für ein von Verständnis geprägtes Verhältnis zum Wald und zur Natur überhaupt. Vor allem aber bedeutete es die Entdeckung, dass die gemeinsame Arbeit, frei vom Bestreben, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Geld zu verdienen, eine schöne zwischenmenschliche Bindung entstehen lässt: Einer kann dem anderen (oder gar der anderen!) ein bisschen helfen, und dabei zeigt sich, dass dieser junge Mann zwar nicht Gitarre spielt, aber einen Rechen reparieren kann, überaus geschickt ist und überhaupt viel interessanter, als anfangs gedacht. Aus dem Kennenlernen bei der Arbeit, bei der man ziemlich verlässlich erkennt, wie jemand ist, entwickelten sich oft dauerhafte Beziehungen und schöne Ehen. Die Arbeitsrüstzeiten halfen uns dabei, den Reiz des Einfachen und den Reichtum der Einfachheit zu entdecken. Wasser tranken wir meist aus Brunnen oder aus dem Bach. Wir heizten mit Holz und benutzten Petroleumlampen. Hauptbestandteil des Essens waren Haferflocken, große Packungen waren sehr billig. Wer solche Arbeitsrüstzeiten miterlebt hat, der weiß, dass Hunger der beste Koch ist. Und er weiß auch, dass gemeinsame Sprachspiele, Geschichten bei Kerzenschein, Singen zur Gitarre, das gemeinsame Erkunden der Wandlungen des abendlichen Waldes – wenn die Dunkelheit nicht zwischen die Bäume einfällt, sondern von unten nach oben aufsteigt, um sich auf einer Lichtung mit dem dunklen Hintergrund des schimmernden Himmels zu verbinden – herrliche Vergnügungen sind. Es war aber keine Romantik: Man verwendete ja dieses Wort damals auch viel seltener und zutreffender als heute. Romantik, das ist schließlich Máchas düsterer Mai oder Goethes verzweifelter junger Werther. Romantisch ist es, wenn die Gefühle und Leidenschaften stärker sind als die Konventionen und der Wille und sie den Menschen letztlich in den Wahnsinn treiben. Unsere Sommermonate waren nicht düster, Verzweiflung war nicht unsere Sache, wir waren nicht darauf aus, dem Wahnsinn zu verfallen, sondern einander zu begegnen. Romantik war bei den Arbeitsrüstzeiten also nicht angesagt. Das Zusammenleben von jungen Männern und Frauen unter einem Dach war von einer selbstverständlichen Disziplin begleitet. Das Erotische wurde durch den Takt im Benehmen und in den Worten geadelt. Wenn zwei Gefallen aneinander fanden, zeigten sie das nicht vor den anderen, Hand in Hand gingen sie erst nach der Rüstzeit. Morgens und abends konnten wir erproben, was Schwestern- und Bruderschaften im Kloster praktizierten: „regelmäßige Morgen- und Abendandachten“, die sich aus einer Schriftlesung mit Auslegung, Gebeten und Liedern zusammensetzten. Die Leitung der Andachten wurde in der Regel ähnlich festgelegt wie der Küchendienst – indem der Leiter den dafür ausersehenen Kandidaten, nachdem er mit ihm gesprochen hatte, dafür bestimmte. Im Geiste des „Priestertums aller Gläubigen“ wagten wir uns manchmal auch an die Austeilung des sonntäglichen Abendmahls heran, obwohl das nicht so ganz im Einklang mit den Gepflogenheiten der Kirche stand. Die Rüstzeiten lehrten uns zwischen Regeln, die man respektieren muss, und außergewöhnlichen Umständen zu unterscheiden, unter denen es richtig ist, der christlichen Freiheit den Vorrang zu geben, statt am Buchstaben zu kleben. Die Erfahrung aus den Rüstzeiten verhalf mir wahrscheinlich dazu, dass ich mich auch nach der Aberkennung der staatlichen Genehmigung für den geistlichen Dienst nicht völlig von der Arbeit in der Kirche abgeschnitten fühlte. Ich kann mir auch eine Zukunft der Kirche ohne staatliche Unterstützung, ja sogar ohne Pfarrer und ohne Kirchen vorstellen. Auch nach all den Jahren weiß ich nicht, wie man „evangelische Arbeitsrüstzeit“ mit wenigen Worten kurz und klar übersetzen könnte. Aber für meine einstigen Kollegen, unter ihnen auch bereits Theologieprofessoren im Ruhestand, würde ich heute das Wesen der evangelischen Arbeitsrüstzeiten mit dem Wort „Koinonia“ wiedergeben und sie würden es verstehen. Doch nicht nur sie wissen, dass schon die ersten Christen der apostolischen Lehre lauschten, Brot brachen, beteten und in der „Koinonia“ verweilten – das heißt einfach: sie waren zusammen und es ging ihnen in der Gemeinschaft gut. Die Arbeitsrüstzeiten halfen uns, Koinonia, diese unverzichtbare Dimension des christlichen Lebens, zu entdecken und zu erleben, bei der „einer am anderen Freude hat, als sei alles sein“.

Diese Freude habe ich bis heute.

Libuše Eliášová († 2. 8. 2011), Erinnerungen einer vergesslichen Rüstzeitteilnehmerin: In diesem Jahr ist es unglaubliche 48 Jahre her, dass ich bei meiner ersten Arbeitsrüstzeit in Jizerka war – im Vergleich zur Wanderung durch die Wüste nur wenig länger. Eines schönen Juli-Tages in jenem Jahr kam ich mit anderen verstörten vierzehnjährigen Mädchen in dem noch geheimnisumwobenen Jizerka an. Wir Mädchen wohnten im Pionierlager und die Jungen, natürlich in der Minderheit, zusammen mit dem „Kult“ genannten Rüstzeitpfarrer Jan Keller in einem Holzhäuschen ein Stück weiter unten. Zum Essen gingen wir in die Glashütte. Wir entdeckten auch das Gasthaus „Pyramida“. Dort gingen aber wohl nur die erfahrenen evangelischen Stammgäste hin, wir Grünschnäbel werden dort wohl nur ein einziges Mal gewesen sein. Allerdings habe ich jede Menge Erlebnisse von meiner ersten Arbeitsrüstzeit. Zum Beispiel schlief ich zum ersten Mal im Heu (…). Unsere Hauptaufgabe waren Mäharbeiten zwischen den Baumsetzlingen, weil wir aber nicht genug Sicheln hatten, rupften wir das Gras nur aus, es waren also eher „Rupfarbeiten“. Auf dem Berg Bukovec gab es herrliche Blaubeeren, das war eine Wonne! Im Steinbruch wurden Lagerfeuer gemacht und auf dem Felsen über dem Steinbruch spielte Jan Keller Trompete. Es wurde viel gesungen, wie im Übrigen bei allen evangelischen Veranstaltungen. In Jizerka hörte ich zum ersten Mal Kanons und Spirituals (…). Das war für mich das erste Mal, und auch in den zehn darauffolgenden Jahren fuhr ich zu Arbeitsrüstzeiten, mal zu zwei, mal zu drei Durchgängen. Ich denke, ich brauchte das zum Leben. Dazu gehörten auch die Winterrüstzeiten im Gebirge, wir fuhren auch in den Weihnachts- und Frühjahrsferien an dieselben Orte. Dann war die Atmosphäre etwas anders, vielleicht lustiger, obwohl wir auch beim Heuwenden, bei der Jungwuchspflege oder beim Mähen viel Spaß hatten. Ich würde auch gern etwas über das Rüstzeitessen und das Kochen schreiben (…). Ein besonderes Kapitel sollte dabei dem Porridge gewidmet sein. Auch über die Freizeit sollte berichtet werden – Gesellschaftsspiele, wie wir Theater spielten, wie wir auf Ausflüge gingen, wie uns die Regenwolken halfen, nicht zu arbeiten, wie wir den Sonntagsgottesdienst in Alojzov vorbereitet haben, über die „Andis“, also die Andachten, über das Bauen von Heuhaufen in Františkov, über wilde Kämpfe zwischen den Dejvicern und dem Rest der Welt (Boskovice, Brno, Vsetín) und über andere wichtige Ereignisse der Rüstzeitära. All diese Rüstzeiten in Adamov, Alojzov, Jizerka, Petříkov, Branná und an anderen Orten waren in dieser totalitären Wüste eine herrliche Oase der Freiheit (…). Und natürlich sollte ich auch über die Sonntagsgottesdienste auf dem Volleyballplatz in Alojzov, über unser geistliches Leben schreiben. Und vor allem über die – totalitäres Regime hin oder her – wunderbare Freiheit! Danach war es immer ein Schock, wieder in der Schule oder bei der Arbeit zu sein. Aber wir hatten zumindest wieder aufgeladene Akkus, und so hielten wir durch – bis zur nächsten Rüstzeit. Inzwischen konnte man auch im Winter nach Alojzov fahren und sich dort Nachschub holen (…). Wir kauften Suppenwürfel, da gab es Auswahl zwischen zwei Sorten – Erbsen- und Gulaschsuppe, ein Würfel kostete 60 Heller. Man musste sie nur entsprechend verdünnen und eindicken, nicht zu viel und nicht zu wenig. Wenn sich die Köche selbst übertrafen, machten sie auch Nachtisch – Pudding. Der Experte auf diesem Gebiet, Bob Hašlerka (Pfarrer Miroslav Čejka), vervollkommnete sich darin so sehr, dass sein Rumpudding der Höhepunkt des Silvesteressens in Alojzov war. Manchmal wurden auch sog. evangelische Sahneschnitten gekauft, das war die billigste sozialistische Pischinger Torte, zwei Fruchtwaffeln, rosa und weiß. Sie kosteten circa 70 Heller. Die evangelische Schokolade war teurer, ein sog. Sojaschmaus für 3 CSK. Einmal aßen wir aus Mangel an sauberen Tellern und Campinggeschirr das Mittagessen von Blättern der Großen Klette (wie ökologisch!, allerdings kannten wir das Wort damals noch nicht). Ich glaube, Jiří Pánek kochte in seiner Funktion als Chefkoch Spaghetti, servierte sie uns auf diesen Blättern, schüttete Ketchup darüber und es war wunderbar! (…) Demjenigen, der die Situation bzw. Atmosphäre bei den evangelischen Arbeitsrüstzeiten nicht kennt, könnte das Wort „Andi“ für Andacht abwertend erscheinen. Aber es waren einfach Morgen- und Abendandachten und wir nahmen sie ernst, ernster als das Heuwenden und das Mähen in den Schonungen. Es waren kurze oder längere unbeholfene, ungeschönte, scheue und holprige Bekenntnisse und Gedanken zu biblischen Texten. Manchmal waren es auch weisere und reifere Überlegungen junger Theologen. Es wurden dort ernste und leidenschaftliche Diskussionen geführt – über den Sinn des Lebens, über Gottes Führung, über die Todesstrafe, über den Krieg, über Liebe, Wahrheit, Moral (…). In Alojzov befand sich an der Stirnseite des Gemeinschaftsraumes die Inschrift: „Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.“ Die Hütte liegt längst in Schutt und Asche, aber die Inschrift blieb in unseren Herzen und wir sehen sie immer noch vor uns. So ist auch die Erinnerung an die Sonntagsgottesdienste mit Abendmahl in Alojzov sicherlich immer noch lebendig. Dort kamen meistens die Teilnehmer von drei Arbeitsrüstzeiten zusammen – aus Branná, Petříkov und Alojzov. Die Rüstzeitpfarrer bereiteten die Predigt vor und brachten den Kelch und alles Notwendige mit. Wir standen in einem großen Kreis auf dem Volleyballplatz und reichten einander Brot und Wein. Über den Altar breiteten wir ein weißes Betttuch und pflückten Blumen. Abendmahl unter freiem Himmel, mitten in den Bergen … Vielleicht versammelten sich so ähnlich auch unsere Vorfahren in den Zeiten der Gegenreformation. Wir fühlten dort eine wunderbare Zwanglosigkeit und Freiheit, das totalitäre Regime war in weite Ferne gerückt. Vielleicht witterten die Stasiradare ja etwas, wir jedenfalls erlebten dort die Kraft des Wortes, vielleicht würde jemand sagen – des Heiligen Geistes, ich weiß nicht … Das Wort Gottes wurde dort mit voller Kraft verkündet! (…) Eine meiner Rüstzeitfreundinnen konstatierte, dass es in Alojzov so einfach ist, aufrichtig, lauter und christlich zu leben, aber wenn man wieder zu Hause ist, in die Schule oder zur Arbeit geht und unter Leuten ist, geht es nicht mehr oder es ist im zivilen Leben schwieriger. Die Arbeitsrüstzeiten hatten also ein spezielles Fluidum und etwas davon ist in uns geblieben – Gott sei Dank!

Der evangelische Pfarrer Tomáš Bísek berichtet: 21. August 1968 in Alojzov

Mein Studium (an der TU) betrachtete ich als notwendiges Übel. Mein Herz begann sich in eine andere Richtung zu wenden, die klarer hervortrat, als ich mit den evangelischen Arbeitsrüstzeiten Bekanntschaft machte. Irgendwie wäre uns wohl gar nicht in den Sinn gekommen, dass diese Rüstzeiten nicht stattfinden könnten. Die Sorgen waren nur praktischer und organisatorischer Art. Die Arbeitseinsätze mit der Forstverwaltung zu vereinbaren, war einfach. Man musste nur im zeitigen Frühjahr hinfahren und alles persönlich absprechen. In den Sommermonaten begannen dann vierzehntägige Durchgänge mit denen, die sich spontan angemeldet hatten – dreißig, vierzig Personen. Gearbeitet wurde im Wald und auf den Wiesen. Ich erinnere mich an die Andachten, die Spiele, die Ausflüge am Wochenende. Auch lange Gespräche gehörten dazu. Ohne die Arbeitsrüstzeiten hätte ich viele meiner Freunde nicht kennengelernt. Mit einigen treffe ich mich heute noch. Ohne die Arbeitsrüstzeiten würde ich, ein Prager, nicht mit Daniela, einer Šumperkerin, durchs Leben gehen. Die Rüstzeiten waren von einem Geist innerer Harmonie und Freude getragen. Ich erinnere mich nicht daran, dass es nötig gewesen wäre, die Arbeitsmoral anzufachen oder jemanden zu ermahnen, außer bei der ersten Rüstzeit in Jizerka, als Blahoslav Šourek Petr und mich erwischte, wie wir herumsaßen, statt zu arbeiten. Es ging immer auch darum, gemeinsam herauszufinden, was die Bibel anbietet, wie es derjenige, der die kurze Andacht hält, versteht und wie wir es gemeinsam bei Gesang, Gespräch und Gebet auffassen. Der gemeinsame Aufenthalt in einem einfachen Blockhaus oder einem alten Bauernhäuschen, das gemeinsame Wirtschaften, die Arbeit, die Gespräche, die Spiele und das Einander-Begegnen, das alles bildete den Rahmen, der von der Freude am gegenseitigen Vertrauen und Verstehen ausgefüllt wurde. Dazu gehörte unbedingt auch die herrliche Natur, die damals von den Problemen der Zivilisation nahezu unberührt war. Von den vielen Arbeitsrüstzeiten erinnere ich mich an Alojzov 1968. Damals hatte sich Karel ein paar Tage zusammengespart und war mit uns dort. Ich erinnere mich, wie wir uns am 21. August nach dem Morgen-Porridge für den Weg zur Arbeit fertigmachten. Wie immer kam der Förster zu uns. Aber statt uns aufzufordern, zur Arbeit loszugehen, unterbrach er unsere Vorbereitungen: „Ihr könnt langsam machen! Heute gehen wir nicht zur Arbeit. Es ist Krieg, die Russen haben uns überfallen. Hört ihr denn die Flugzeuge nicht?“ In der Tat, über dem Altvatergebirge waren Flugzeuge zu hören und zu sehen, die nach Westen flogen. Wir kehrten in den Speiseraum zurück, setzten uns im Kreis auf den Boden und lehnten uns an die Holzwände der Blockhütte. Längere Zeit waren in der Stille nur Schluchzen und Weinen zu hören. Uns wurde massiv bewusst, wie sich das Leben der ganzen Gesellschaft durch den Einmarsch ganz plötzlich verändern, ja im Grunde zerbrechen konnte. Nach dieser Erfahrung habe ich einen völlig anderen Blick auf die Warnungen der Propheten und die Härte der Veränderungen, die das Volk Israel oder die europäischen Juden in den dreißiger Jahren oder auch Europa und die Welt nach dem Jahr 1939 durchmachen mussten. Wir begannen zu überlegen, wie es weitergehen sollte. Nachdem wir erfahren hatten, dass Prag besetzt war, war es undenkbar, die Prager, besonders die jüngeren, allein nach Hause zu schicken. Diejenigen, die nicht aus Prag kamen, fuhren einer nach dem anderen nach Hause. Die Prager Gruppe brachten wir nach Spálenka, einen Weiler auf der anderen Seite des Altvatergebirges, wo Lýdie, die ältere Schwester meiner Frau Daniela, mit ihren Kindern lebte. Ihr Mann Pavel leistete seinen Wehrersatzdienst ab, und während ich mit Daniela nach Prag fuhr, beaufsichtigten sie unsere Rüstzeitteilnehmer. In Prag besuchten wir die Familien derer, die in Spálenka geblieben waren. Wir mussten den Eltern versichern, dass ihren Kindern nichts passiert war. Die Zugfahrt lief geordnet ab, aber auf Prag waren wir nicht vorbereitet. Keine einzige der angegebenen Adressen war zu finden. Die Prager, die gegen den Einmarsch der fremden Truppen protestierten, hatten die Straßenschilder und Hinweistafeln vertauscht. So, nun sucht uns mal! Für die Aggressoren und ihre Handlanger war es unmöglich, gesuchte Personen zu finden und festzunehmen. Auch wir mussten suchen und mit Nachdruck erklären, was wir wollten und brauchten. Es war eigenartig, sich „zu Hause“ nicht zurechtzufinden. Das verstärkte noch das Gefühl der Bedrohung und der Angst, das die leeren Straßen, gelegentliche Armeepatrouillen und die an einigen Stellen stehenden Panzer hervorriefen.

Noch einmal die Herausgeberin Pavla Loucká: Wie wir 1969 in Lísek zum Mond flogen: Zum zweiten Durchgang in Lísek bei Písek waren wir 1969 direkt vom ersten Durchgang in Alojzov gefahren. Der geistliche Betreuer unseres Durchgangs sollte Tomáš Bísek sein, dem wir von Alojzov aus eine Postkarte mit einer kuriosen Adresse schickten: Bísek Lísek Písek. Wir wissen nicht einmal, ob er sie bekommen hat – als wir dort ankamen, war Bísek nicht in Lísek bei Písek. Unser geistlicher Betreuer in Lísek war am Ende Tomáš Jirků, also ein Theologe. Die Arbeit teilte uns der Förster Jan Jirků zu, der Bruder von Tomáš. Bekocht wurden wir (sehr gut) von Vojen Syrovátka, genannt „Rejsek“. Unter anderen Umständen wäre er Rüstzeitpfarrer gewesen, aber er erholte sich noch von einem schweren Motorradunfall, den er ein Jahr zuvor, im Jahr 1968, auf dem Weg zum zweiten Durchgang in Alojzov gehabt hatte. Wir schliefen in einer kleinen Holzfällerhütte. Wasser holten wir in einem nahegelegenen Brunnen, wir wuschen uns im Stausee der Orlík-Talsperre am Zusammenfluss von Moldau und Otava, tief unter dem Schloss Orlík. Karel und Tom gingen mit den versierten Holzfällern zum Holzeinschlagen. Zu uns kamen sie nur zu einer Zwischenmahlzeit. Wir anderen mähten die Umgebung der niedrigen Bäumchen, die zwischen hohen Brombeeren, Brennnesseln und Labkraut versteckt wuchsen. Wir wurden von Mücken und Bremsen gefressen, ab und zu stach uns eine Wespe und hier und da schnitt sich jemand mit der Sichel in den Gummistiefel, gegebenenfalls ins Bein. Da begannen wir, die jeweilige Tagesdosis zu beobachten und die Tage als „Wespentribut“ oder „Brennnesseltribut“ zu bezeichnen. Die Sonne brannte, und wenn wir sehr verschwitzt, zerkratzt und zerstochen waren, sprangen wir in die Otava. Jan Loucký wollte das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, weshalb er mit der Arbeitsmontur ins Wasser sprang und versuchte, sie durch wilde Schwimmbewegungen zu waschen. Zu diesem Zweck hatte er die Montur auch eingeseift. Retten mussten wir ihn zwar nicht und sogar seine Arbeitsmontur überlebte es, aber der Schmutz hatte sich im eisigen Wasser festgefressen und die erstarrte Seife zauberte seltsame Konturen auf seine Arbeitshose und -jacke. Wir anderen bevorzugten Badekleidung. Es wurde auch viel gesungen. Tom spielte Gitarre. So lebten wir gleich neben der Stadt Písek in der „Wildnis“, es hätten genauso gut die Wälder Ontarios sein können. Eines Tages kamen wir wie immer abends zum Forsthaus. Es war der 20. Juli 1969 und Jan Jirků scheuchte uns aufgeregt vor den Fernseher: „Die Amerikaner sind auf dem Mond gelandet!!!“ Wir starrten auf den Bildschirm. Einerseits war die Sache schon an sich aufregend, andererseits empfanden wir (ein Jahr nach dem beklemmenden 21. August 1968) Schadenfreude darüber, wie es die Amerikaner den Russen gezeigt hatten. Wir sahen Armstrong und Aldrin mit eigenen Augen, wie sie durch den Mondstaub wateten, und plötzlich war das der echte Mond, kein leuchtender Punkt am Himmel. Und wir flogen mit ihnen dort hinauf, in unsere Vorstellung von der Freiheit. Die Schadenfreude wandelte sich zu riesiger Dankbarkeit. Wir dankten inbrünstig. Voller Euphorie kehrten wir durch den dunklen Wald in die Hütte zurück, wieder schien der Mond, aber nun war es der echte Mond, wir wussten, wie es dort aussah, und gerade gingen dort Menschen spazieren.

Der deutsche evangelische Pfarrer Ernst Fengler berichtet: Ein stiller Brückenbau in Zeiten des Kalten Krieges

Den Jahreszahlen 1967, 1969, 1973, als ich mit Jugendlichen aus dem Rheinland bei den Brigaden (gemeint sind die Arbeitsrüstzeiten, tsch. „brigáda“, Anm. d. Übers.) in Nová Seninka war, muss ich noch zwei weitere hinzufügen: 1965 und 1968. Beide sind auf besondere Weise mit meiner Biographie und meiner Beziehung zur EKBB verbunden.

1965: Vorgeschichte

Ich war damals als Vikar in der kirchlichen Jugendarbeit im Rheinland tätig. Ich arbeitete vor allem mit Schülern der Gymnasien auf Landesebene (Seminare, Freizeiten usw.). Im Sommer 1965 fuhr ich mit meinem VW-Käfer zum ersten Mal nach Tschechien. Ich wollte gerne nach Nimburg an der Elbe, wo mein Vater als deutscher Offizier am letzten Kriegstag, am 8. Mai 1945, ums Leben gekommen war. Vielleicht würde sich ja noch ein Grab finden, ein Gedenkstein oder ein Mensch, der sich an die damaligen Vorgänge erinnerte. Ich kam ohne Probleme über die Grenze – von der DDR war ich viel gründlichere Kontrollen gewohnt. Freilich erfuhr ich nach der Öffnung der DDR-Archive nach 1989, dass schon damals mein Name von den tschechischen Organen an die Stasi nach Ostberlin gemeldet worden war. Meinen ersten Halt machte ich bei Pfr. Alfred Kocáb in Chodov. Sein Name war mir von Karl Immer, dem späteren rheinischen Präses, genannt worden. Das Ehepaar Kocáb empfing mich freundlich, und am nächsten Tag nahm ich den Schwiegervater Karel Mysliveček auf die Weiterfahrt nach Prag mit. Aber es geschah etwas, woran ich nicht von ferne gedacht hatte. Etwa auf halber Strecke zwischen Karlsbad und Prag hatte ich einen Unfall. In einer Kurve kam ich von der regennassen Pflasterstraße ab, fuhr gegen einen alten Chausseestein aus Basalt und landete halb im Graben. Böse Ereignisse gleich zu Beginn der Reise! (Hier und im später folgenden Text wird beschrieben, wie er sein Auto in der Werkstatt lassen musste, wie die nötigen Ersatzteile über die Fluggesellschaft SABENA beschafft wurden und wie sich der Termin für die Reparatur um fast eine Woche hinauszögerte, Anm. d. Red.) Dort wurde ich von Pfr. Jaroslav Stolař (†) und Marta Kačerová in Empfang genommen; beide begegneten mir mit aller Hilfsbereitschaft. (…) Nun konnte ich den Weg nach Nimburg antreten. Damals war dort Pfr. Beneš im Dienst; Marta Kačerová hatte mich ihm angekündigt. Er begrüßte mich freundlich, hörte mich an und sagte: „Lieber junger Freund, zu Kriegsende herrschte hier solch ein Hass zwischen Deutschen und Tschechen, dass sie einander totgeschlagen haben wie die Hunde. Da gibt es nichts mehr zu sehen, was an die damaligen Toten erinnert. Die sind irgendwo verscharrt worden.“ Wehmütig fuhr ich nach Prag zurück, gastlich aufgenommen von Jaroslav Stolař, dessen Familie in Urlaub war. Fünf Tage blieben bis zur Ankunft der Ersatzteile. Ich wollte gerne etwas vom Land sehen und möglichst auch etwas von der Jugendarbeit der EKBB kennenlernen. Marta Kačerová schlug mir vor, ins Gebiet von Jeseníky zu fahren, um dort zu wandern und die kirchliche Brigade in Alojzov zu besuchen. Ich sollte abends gegen 19.00 Uhr im Dorfgasthaus von Branná von Jugendlichen abgeholt und nach Alojzov begleitet werden. Wie Marta es geschafft hatte, diese Nachricht zu der völlig abgelegenen Forsthütte durchzugeben (es gab ja noch kein Mobiltelefon), ist mir bis heute ein Rätsel.

So fuhr ich mit dem Zug nach Karlova Studánka, stieg von dort bei schönstem Wetter zum Praděd auf und wanderte am späten Nachmittag ins nächste Tal nach Branná hinunter. Das Dorfgasthaus war ein mächtiger Altbau mit dicken schweren Balken in der Gaststube, deren Innenraum ich noch heute vor mir sehe. Und tatsächlich holten mich gegen 19.30 Uhr zwei Jugendliche ab – beide sprachen nur Tschechisch, und ich verstand kein Wort, aber sie nahmen mich mit, da ich ja angekündigt war. Eine gute Stunde stiegen wir in der zunehmenden Dunkelheit zur Hütte in Alojzov auf – ich kam mir vor wie bei den Camisarden in Frankreich, die auf geheimen Wegen nachts in der Illegalität zusammentrafen. Die Forsthütte in Alojzov war ziemlich verfallen – eine Dachhälfte hing tief durch. Das störte aber nicht die heitere Atmosphäre, in der wir auf dem Dachboden auf Heu nächtigten. Die anwesende Gruppe begegnete mir mit aller Gastfreundschaft, aber wie meine beiden Begleiter sprach auch hier keiner Deutsch oder Englisch. Ich meine mich zu erinnern, dass der verantwortliche Pfarrer aus irgendeinem Grund nicht anwesend war. So blieben alle unsere Gesprächsversuche ziemlich stumm. Deshalb entschloss ich mich am nächsten Morgen weiterzuwandern, um mich an der schönen Landschaft von Jeseníky zu erfreuen. Ich hatte glücklicherweise eine gute Wanderkarte und einen leichten Rucksack. Als Ziel hatte ich mir die Baude unterhalb des Králický Sněžník vorgenommen, die damals noch stand, was sicher nicht realistisch war. Denn über weite Teile des Waldgebirges waren die Wege von umgestürzten Bäumen bedeckt – Folgen eines vorangegangenen Sturmwetters. So musste ich immer wieder unter Bäumen hindurchkriechen oder über Bäume hinüberklettern. Einmal stieß ich mir sehr unangenehm einen Holzspan ins rechte Bein. Am Nachmittag führte mich mein Weg ganz nahe an der Forsthütte von Nová Seninka vorbei, lt. Karte etwa 7 km nördlich von Staré Město. Vor der Hütte saßen zwei nette Mädchen und schälten Kartoffeln. Ich wollte einen Moment rasten und wurde von beiden ausgefragt. Ein Westdeutscher plötzlich mitten in dieser Waldeinsamkeit – das machte sie sicher neugierig. Eines der Mädchen sprach etwas Englisch. Ich hörte, dass sie für eine Brigade, die in dieser Hütte stationiert war, das Abendessen vorbereiteten. Als ich schon aufbrechen wollte, fragten sie mich nach meinem Beruf. Ich zögerte mit der Antwort, weil ich nicht wusste, ob es sich eventuell um eine Brigade der Parteijugend handelte, sagte dann aber doch: „I am a Vicar!“ Da sagte Jana, eine der beiden: „My father is also a pastor!“ Es war Jana Veberová, die Tochter von Jiří Veber, Pfarrer in Šumperk, der hier mit seiner Gemeindejugend als Waldbrigade drei gemeinsame Wochen verbrachte. Und – Jana sagte: „My father is speaking the German language!“ Da war für mich klar, dass ich die nächsten Tage vor meiner Rückkehr nach Prag hier bleiben würde. Eine Stunde später kam Jiří Veber mit den anderen Jugendlichen zur Hütte zurück. Die Jugendlichen waren von meinem plötzlichen Erscheinen genauso verblüfft wie ich meinerseits von der unverhofften Begegnung. Jiří Veber war seit 1960 Gemeindepfarrer in Šumperk, nachdem er 1959 in Domažlice wegen politischer Missliebigkeit abgesetzt worden war. So war er für mich ein faszinierender Gesprächspartner. Ich habe diese Eindrücke meiner ersten Reise nach Tschechien so ausführlich geschildert, weil daran etwas deutlich wird von den schwierigen, heute fast unvorstellbaren Bedingungen und glücklichen Zufällen, unter denen damals Begegnungen an der Basis zustande kamen. – Für mich war sofort klar: Wenn es irgendwie zu schaffen ist, wollte ich früher oder später mit Jugendlichen aus dem Rheinland an einer Brigade in Nová Seninka teilnehmen. Jiří Veber war einverstanden, und Pan Komárek, der Waldhüter (er sprach Deutsch), ebenfalls. Im September 1966 fuhr ich nach Šumperk, um mit Jiří Veber Einzelheiten für 1967 zu besprechen, und kehrte erwartungsvoll nach Wuppertal zurück.

1967: Gemeinsame tschechisch-deutsche Brigade

Die politische Atmosphäre jener Zeit war merkwürdig diffus. Seit dem UngarnAufstand (1956) waren elf Jahre vergangen, seit dem Mauerbau in Berlin (1961) sechs Jahre. Im Westen begannen die Studentenunruhen mit einer starken utopischen Linkstendenz, hinter dem Eisernen Vorhang gab es eine vorsichtige Liberalisierung, freilich nach dem Motto: Alles unter Kontrolle! Um keinen Argwohn zu erregen, trug ich auf meinem Visumantrag unter Beruf ein: „Lehrer“ und nannte die nächste Wuppertaler Grundschule als Arbeitgeber. Reiseziel für mich und die Jugendlichen, die mitfuhren: „Prag und Jezeníky“. Reisezweck: „Wandern in Jezeníky“. Das war ja nicht gelogen, aber es war dennoch nur ein Teil der Wahrheit. Immerhin: Alle Visumanträge für die Teilnehmer (14 Schüler zwischen 17 und 19) und mich wurden genehmigt. Über Prag fuhren wir nach Zábřeh und von dort nach Staré Město. Jiří Veber hatte einen LKW organisiert, und der brachte uns samt Gepäck nach Nová Seninka. Was ist von dieser ersten Begegnung in Erinnerung geblieben? Da war zunächst der ganz unkomplizierte Umgang der tschechischen und deutschen Jugendlichen miteinander. Jiří Veber sprach Deutsch, einige tschechische Jugendliche Englisch. Aber wichtiger war der gute Wille, und so gelang die Verständigung mit Händen und Füßen – vom Essen bis zur Benutzung der einzigen Toilette, vom Abwasch bis zur Morgenandacht. Der Tagesablauf war festgelegt durch die Arbeit im Wald. Sie bestand in erster Linie in der Rodung des Unterholzes, das ziemlich verwildert war. Diese Arbeit war nicht allzu schwer, auch nicht für meine Schüler, von denen viele zum ersten Mal im Leben Axt und Säge in der Hand hielten. Zu den ersten tschechischen Worten, die ich neu lernte, gehörte „malá přestávka“ (kleine Pause, Anm. d. L.)! Die Arbeit ging in gemächlichem Rhythmus voran – mit Pausen für ein zweites Frühstück und für den Mittagsimbiss. Am Nachmittag kehrten wir dann zur Hütte zurück, wo Jiřina Veberová bereits in der Küche waltete und auf einem uralten Feuerherd die besten Mahlzeiten zauberte – am schönsten „knedlíky a borůvky“ (Knödel und Schwarzbeeren, Anm. d. L.). Die „borůvky“ wuchsen massenweise ringsum im Wald und wurden von uns selber gepflückt. Die hygienischen Verhältnisse waren mehr als einfach. Wir wuschen uns im Bach, der vorüberfloss. Die Toilette war ein Plumpsklo im hinteren Teil der Hütte. Einmal lief die Sickergrube über, und es dauerte zwei Tage, bis das Auto zum Abpumpen kam. Ich war angenehm überrascht, dass meine westdeutschen Jugendlichen sich ohne jedes Murren auf diese sehr einfachen Lebensbedingungen einließen. Die schöne Atmosphäre der Gemeinschaft wog alles auf. Die rund 30 Jugendlichen schliefen alle gemeinsam auf uralten quietschenden Feldbetten auf dem Dachboden. Fast an jedem Abend gab es ein Lagerfeuer, bei dem viel gesungen wurde. Jiří Veber spielte Gitarre, ein Mädchen unserer Gruppe hatte eine Ukulele mitgebracht, ein winziges Zupfinstrument – das war Kommunikation auf einer sehr emotionalen Ebene. Auch die Wanderungen in die Nachbardörfer und zum Králický Sněžník gehörten zu den gemeinsamen Erlebnissen. Die Gespräche, die geführt wurden, waren nicht besonders tiefgründig – gerade angesichts der Sprachschwierigkeiten: die Alltagsthemen der täglichen Versorgung und der Arbeit im Wald, Fragen nach Schule und Berufsausbildung. Die kirchliche Prägung zeigte sich in kurzen Morgenandachten und im Tischgebet. Am Ende unseres Aufenthaltes feierten wir im Essraum der Hütte gemeinsam das Heilige Abendmahl. Ich erinnere mich, dass Jiří Veber mich einmal fragte: „Machen unsere tschechischen Jugendlichen auf dich einen unfreien Eindruck?“ Ich konnte nur sagen: „Nein, hier in der Gemeinschaft der Brigade überhaupt nicht!“

Spielte die Politik eine Rolle? Spontan würde ich sagen: „Nein!“ Kein Kontrolleur der Partei hätte etwas Illegales feststellen können. Indirekt hatte unsre gemeinsame Brigade freilich doch eine politische Dimension. Die deutschen und die tschechischen Jugendlichen erlebten miteinander: Das ist ja nicht der „Klassenfeind“, das ist ja nicht der „Ostblock“, sondern das sind Menschen wie du und ich. Sicher stand für die tschechischen Jugendlichen im Hintergrund auch die Frage: „Warum dürfen diese gleichaltrigen Jugendlichen ohne Probleme hierher reisen, warum wir nicht ebenso zu ihnen?“ Mir war klar, dass ich diese Kontakte unbedingt fortsetzen wollte. (…) Sie (die Arbeitsrüstzeiten) waren jedenfalls so etwas wie ein stiller Brückenbau in Zeiten des Kalten Krieges.

Der evangelische Pfarrer und spätere Militärseelsorger Pavel Ruml berichtet: Eine unglaubliche Schule des Lebens

Im Jahr 1971 war ich in Alojzov, im 2. oder 3. Durchgang. Es endete mit einem Fiasko – ich landete mit Durchfall auf der Isolierstation des Krankenhauses Šumperk und die Rüstzeitleiter Pavel Keřkovský und Joel Ruml wurden zu Synodalsenior Kejř zitiert. In den Jahren 1968–1976 fuhr ich immer nach Kunvald. Dort gab es meist nur einen zweiwöchigen Durchgang. Die Arbeitsrüstzeiten wurden von Vladimír Kalus, später von Radek Svoboda geleitet. In Kunvald lösten sich die einzelnen Teilnehmer beim Kochen ab. Es wurden folgende Waldarbeiten verrichtet: Mähen von Schonungen, Vermessen von Baumstämmen, Verbrennen von Abfallholz, Trocknen von Heu, in Ausnahmefällen Instandsetzung von Wegen oder Entrinden von eingeschlagenem Holz. Die Morgen- und Abendandachten wurden von den Rüstzeitteilnehmern vorbereitet; zu den Sonntagsgottesdiensten ging man in die umliegenden Gemeinden, es folgten Sonntagsausflüge. Sport, Spiele, Rüstzeitprogramme, in Ausnahmefällen Betrachtungen, Filmvorführungen. Es war eine unglaubliche „Schule“ fürs Leben. Es wurde redlich gearbeitet. Wecken war um 4.30 Uhr, es folgten der Morgensport, dann ein schnelles Frühstück und schon um 6 Uhr ging es zu Fuß zur Arbeit, oft sehr weit vom Forsthaus, in dem wir wohnten, entfernt. Es war eine herrliche Truppe – eine Schule in Kommunikation, Zusammenleben und christlicher Nähe. Paradoxerweise bereiteten mich die Arbeitsrüstzeiten auch auf meine Arbeit in der Gemeinde vor, denn Kunvald gehörte zu Letohrad, wo ich später 13 Jahre lang Pfarrer war, und mit der Familie des Kunvalder Försters Egert war ich immer in Kontakt.

Möge dieses Werk gelingen!

 

Zum Schluss noch einmal Pavla Loucká: Wir waren junge Christen ohne (falsche) Romantik, wie Miloš Rejchrt geschrieben hat. Und so möchte ich alles mit den Worten aus einem von Milošs Liedern beschließen, das wir bis heute singen: Vergib mir, wo ich mich um Liebe / zum Nächsten zu wenig bemühte, / vergib mir jedes nutzlose Wort / vergib mir, Gott, durch deine Güte.